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An amerikanischen Schulen gehen die iPad-Klassen in den Regelbetrieb. Apple-Manager Phil Schiller stellte am Freitag Kooperationen mit mehreren US-Verlagen vor.

© reuters

E-Books: Das iPad macht Schule

Apple ruft die nächste Medienrevolution aus. Zumindest die deutschen Verlage bleiben zurückhaltend. Nicht nur die Finanzierung ist problematisch.

Die Schüler schauen gebannt auf ihr iPad. Mit einem Fingerstrich greift ein Mädchen in die Zellteilung unter dem Elektronenmikroskop ein. Einen Klick weiter markiert sie eine Textpassage, die automatisch auf einer Lernkarte gespeichert wird. In der Schule, der Bibliothek oder zu Hause – überall ist der Tablet-PC dabei. Die Schüler sind sichtlich mit Spaß bei der Sache. So jedenfalls stellt Apple die Zukunft des Lernens in einem Werbefilm für sein neuestes Projekt dar.

Der Technologiekonzern will in den Handel mit elektronischen Schulbüchern einsteigen. In New York stellte Apple eine neue Version seines kostenlosen Programms „iBooks“ vor. Mit der App sollen Schüler und Studenten digitale Lehrbücher auf ihr iPad laden. Mit mehreren Verlagen wie Pearson, McGraw-Hill Education und Houghton Miffin Harcourt wurden Verträge abgeschlossen, um digitale Schulbücher für das iPad zu verkaufen. Die E-Books für die Schule sollen maximal 15 Dollar kosten. Hat das klassische Schulbuch also bald ausgedient?

In Berlin werden bereits Erfahrungen gesammelt, wie gut ein Tablet-PC wie das iPad in den Schulalltag passt. Im November startete an der Poelchau-Oberschule in Charlottenburg-Wilmersdorf die erste iPad-Klasse. Die Schule wurde wegen ihrer Sportbetonung ausgewählt. „Die 19 Schüler der Klasse 7s2 sind häufig im Training und bei Wettkämpfen, darum eignet sich diese Klasse besonders für den Modellversuch“, sagte Markus Kuschela, der Geschäftsführer der Einrichtung „Cids! – Computer in die Schulen“, die das auf vier Jahre angelegte Projekt begleitet. Das iPad2 sei das erste Gerät, das die Voraussetzungen für den Schuleinsatz erfüllt. Mit zehn Stunden Laufzeit hält es einen ganzen Schultag durch, es ist sofort startbereit und erlaubt es, viel Schulstoff sehr schnell zu nutzen.

Simone Lässig, Direktorin des Georg-Eckert-Instituts für internationale Schulbuchforschung in Braunschweig, glaubt, dass Apple die „digitale Revolution des Bildungsmedienmarktes“ langfristig vorantreiben könnte. Bisher hätten Verlage enorme Entwicklungskosten, die sich aber bislang nicht rentierten. Mit der kostenlosen Autorensoftware des Computergiganten falle für die Verlage ein wesentliches Hindernis beim Einstieg weg. Auch für Schüler biete die neue Software Vorteile: „Interaktive Schulbücher sind für Kinder attraktiv und motivierend, sie werden in ihrer Lebenswelt abgeholt.“ Lässig rechnet allerdings nicht damit, dass Schulbücher auf Tablets bald Alltag in deutschen Klassenzimmern werden. Fraglich sei vor allem, ob die Kultusminister flächendeckend Tablet-Computer finanzieren würden. Offen ist auch, inwieweit digitale Schulbücher das Lehren und Lernen verändern und Einfluss auf Chancengleichheit im Bildungssystem nehmen könnten. Nicht alle Schüler brächten die nötigen Kompetenzen im Umgang mit Computern von zu Hause mit, wird eingewandt.

Aus der Berliner Schulverwaltung heißt es dazu, Tablet-PCs gehörten derzeit nicht zu den Lernmitteln, die das Land Berlin den Schülern zur Verfügung stellt. Neue Entwicklungen würden aber „beobachtet und analysiert“. Und viele Schulen seien bereits mit Notebooks für die Arbeit in der Klasse ausgestattet. Der Generalsekretär der Kultusministerkonferenz, Udo Michallik, betont, dass die Länder auf Medienvielfalt setzen. „Elektronische Medien wie E-Books, Whiteboards oder Lernprogramme sind – klug eingesetzt – eine gute Ergänzung zu Schulbüchern.“ Ebenso wichtig wie die Technik seien jedoch gut geschulte Lehrer, die neue Lernkonzepte in der Praxis umsetzen können, sagt Michallik. Deshalb hätten die Länder zahlreiche Projekte wie „Schule Interaktiv“ auf den Weg gebracht.

Zu große Abhängigkeit von Apple?

Die deutschen Schulbuchverlage wollen keineswegs eine exklusive Kooperation mit Apple oder einem anderen Unternehmen eingehen, sagt Irina Pächnatz von Cornelsen, einem der beiden größten der 86 deutschen Schulbuchverlage: „Wir bleiben für alle technischen Formate und Anbieter offen.“ Auf der Bildungsmesse Didacta Mitte Februar werden die im Verband Bildungsmedien organisierten Schulbuchverlage eine gemeinsame Branchenlösung für E-Books präsentieren. Details könnten noch nicht gesagt werden, die Lehrer sollen sich aber auf mehr Komfort bei der Auswahl digitaler Schulbücher freuen können.

Cornelsen fühlt sich vom digitalen Wandel nicht überrascht. Schon 1988 machte das Berliner Unternehmen erste digitale Angebote, seit 1995 hat es ein Online-Angebot, das ständig wächst. 300 000 Nutzer sind bei cornelsen.de registriert. Zwar sei auch jetzt noch das gedruckte Schulbuch das Hauptprodukt unter den 20 000 lieferbaren Titeln des Verlags: „Doch mittlerweile kommen neue Lehrwerke nur noch mit digitaler Ergänzung auf den Markt“, so Pächnatz. Das reicht von Apps, über Software für Whiteboards, E-Learning bis zu Werkzeugen zur Leistungsmessung.

Dass das gedruckte Schulbuch schon bald aus dem Verkehr gezogen wird, glaubt man im Cornelsen-Verlag nicht: „Nicht überall macht digitales Lernen Sinn“, sagt Pächnatz. Cornelsen geht auch für die Zukunft von einer Medienvielfalt im Unterricht aus. Zumal mit der Digitalisierung auch keine Kostensenkung zu erwarten sei. Auch digitale Medien müssten ständig wegen neuer Methoden und neuer Lehrpläne überarbeitet werden.

Jeder Schüler in Deutschland sollte mit staatlicher Unterstützung einen eigenen Laptop oder einen eigenen Tablet-PC bekommen. Das fordert die Internet-Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages. Fast zwei Jahre nach ihrer Einsetzung legte die Enquete-Kommission am Freitag dem Parlament einen ersten Zwischenbericht zum Thema Medienkompetenz vor. Der Bericht der Projektgruppe empfiehlt unter anderem das staatlich geförderte Beschaffungsprogramm, um die Medienkompetenz von Schülern und Lehrern zu fördern. „Wenn erst jeder Schüler seinen (Lern-)Computer mit in den Unterricht bringt, werden alle Beteiligten dazu gezwungen sein, sich mit dem Internet auseinanderzusetzen“, heißt es in dem Bericht.

Eine zu große Abhängigkeit von einem Anbieter befürchtet Cids-Leiter Kuschela indes nicht. „Einer prescht vor und die Wettbewerber ziehen nach. Schließlich verkauft auch Amazon erfolgreich E-Books“, sagt er. Ob das Projekt der iPad-Klasse in Berlin Schule macht, nachdem Apple nun den Schulbuchmarkt neu erfinden will, hänge unter anderem davon ab, wie weit das mit dem E-Education-Masterplan vereinbar sei. So lange müssen auch die Berliner Sportschüler zum iPad auch die herkömmlichen Bücher in ihre Taschen packen.

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