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Buch oder E-Book, das ist hier die Frage: Nicht zuletzt das "Kindle" von Amazon jagt dem gedruckten Buch Marktanteile ab.

© dpa

eBooks,Tablets und Co.: Buch trifft Bildschirm

Sie liest nicht mehr auf Papier, er hat einen Verlag übernommen: Die Bloggerin Kathrin Passig und "Matthes & Seitz"-Verleger Andreas Rötzer im Gespräch über Lesekulturen.

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Herr Rötzer, Frau Passig hat mal geschrieben, sobald das Lesen nicht mehr zwingend ein physisches Medium erfordert, wird das Besitzen von Büchern uninteressanter. Stimmt das?
ANDREAS RÖTZER: Es bekommt zumindest einen anderen Stellenwert. Ich glaube, dass Teile der Buchproduktion eine andere Wertigkeit bekommen werden. Etwa, indem man sogar stärker auf Materialität setzt, indem man stärker auf den Sammlungscharakter Wert legt.

Gibt es Bereiche, bei denen man hingegen sagen würde: Die müssen eigentlich nur digital vorhanden zu sein?
ANDREAS RÖTZER: Vermutlich Zeitungsartikel und alle Texte, die dafür geschrieben sind, Tages- oder Wochenaktualität zu haben. Keine, die länger Bestand haben sollen. Dafür ist das Medium Buch schon geeigneter.

Was sind das für Texte, die ins Medium Buch streben?
ANDREAS RÖTZER: Texte mit einer eigenen Form der Literarizität, die an das Medium Buch gebunden ist. Und so etwas wie Lexika oder wissenschaftliche Standardwerke. Dafür halte ich das Buch immer noch für am geeignetsten.

Frau Passig, gibt es Texte, die als Buch einfach am besten funktionieren?
KATHRIN PASSIG: Nein, das überzeugt mich nicht. Ich habe neulich im Netz ein Zitat aus einem Text von Johannes – Name vergessen – Abt von Sponheim, aus dem Mittelalter gefunden. Der macht sich Gedanken darüber, dass dieser neumodische Buchdruck ja keine Zukunft hat, weil so ein Buch nur 200 bis 300 Jahre hält, etwas, was ordentlich auf Pergament geschrieben ist, aber 1000 Jahre ...

ANDREAS RÖTZER: ... womit er ja nicht unrecht hat ...

KATHRIN PASSIG: ... womit er völlig recht hat. Das hat auch seine Berechtigung, allerdings vor dem Hintergrund, dass dieser Abt es seiner Religion gemäß annahm, dass es ewige Wahrheiten gibt. Und wenn man die einmal hingeschrieben hat, hat es Sinn, dass sie 1000 Jahre Bestand haben. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob diese Annahme in außerreligiösen Kreisen noch so Gültigkeit hat und ob irgendwas, was wir heute produzieren, auch nur zehn Jahre später noch so erhaltenswert ist, außer für historische Zwecke. Wir produzieren einfach keine Wahrheiten mehr, von denen wir glauben, dass sie in tausend Jahren noch gebraucht werden.

ANDREAS RÖTZER: Schade für unser Zeitalter eigentlich.

KATHRIN PASSIG: Ich glaube nicht, dass es das Qualitätskriterium für einen Gedanken ist, dass er auch in 300 Jahren noch richtig sein muss. Ich glaube, man kann sehr gute Ideen haben, die genau von jetzt bis nächsten Sommer richtig sind und danach nicht mehr. Die flüchtigen Medien eignen sich viel besser dazu, Themen in einer Konversation, in einem Prozess, zu behandeln. Wir leben nicht mehr in einem mittelalterlichen Kloster.

Die Bloggerin: "Wir leben nicht mehr in mittelalterlichen Klöstern."
Die Bloggerin: "Wir leben nicht mehr in mittelalterlichen Klöstern."

© Doris Spiekermann-Klaas

Brauchen wir also gar keine gedruckten Texte mehr, weil wir keine mittelalterlichen Äbte sind?
ANDREAS RÖTZER: Es ist klar, dass jedes neue Medium das alte nicht komplett ersetzt. Das Kino hat das Theater nicht ersetzt und die Fotografie nicht die Malerei.

KATHRIN PASSIG: Das sind aber zwei sehr schmeichelhafte Beispiele. Das Theater ist heutzutage ein hoch subventioniertes Geschäft.

ANDREAS RÖTZER: Es gibt ja genug Off-Theater. Es gibt ein sinnliches Bedürfnis danach.

KATHRIN PASSIG: Man kann aber leicht viele andere Beispiele finden, in denen die durch den Fortschritt abgelöste Technik ein Nischendasein in irgendwelchen Handarbeitsecken fristet. Das Weben von Hand oder das Pferdehalten zum Beispiel. Das gibt es zwar noch, aber es ist nicht die Branche, die es vor 100 Jahren gewesen ist. Und das ist ja für die Buchbranche von Interesse. Nicht: Wird es noch kleine mit Faden geheftete Liebhaberbände geben? Sondern: Wird die Branche in einer Form existieren, die noch im Entferntesten etwas mit ihrer heutigen Form zu tun hat?

ANDREAS RÖTZER: Ich glaube, es wird stark an den Texten liegen. Jeder Text braucht ein bestimmtes Medium. Man kann einen Text nicht eins zu eins ohne Bedeutungsverlust in ein anderes Medium transferieren. Egal, ob vom gedruckten Buch ins Hörbuch oder ins E-Book oder sonst wohin. Ich glaube nicht an den vom Material losgelösten Gedanken.

Am PC zu lesen hat Vorteile, behauptet Kathrin Passig. Lesen Sie weiter auf der nächsten Seite.

Der Verleger: "Für mich ist das ein Kulturverlust."
Der Verleger: "Für mich ist das ein Kulturverlust."

© Doris Spiekermann-Klaas

KATHRIN PASSIG: Wenn das ein Thema wäre, was die Menschen beschäftigt, dann müsste es doch heute noch mehr Texte in Papyrusrollenform geben. Aber wissen Sie, was mich in den letzten Jahren am Buchlesen gestört hat? Man hatte immer diesen unpraktischen Gerätewechsel. Ich hatte den Rechner an, habe mich dort mit Leuten unterhalten, und eigentlich alles, was mir wichtig ist, fand in diesem einen Gerät statt. Dann musste ich aber ein anderes in die Hand nehmen, um zu lesen. Das war unpraktisch und hat dazu geführt, dass ich noch weniger Bücher gelesen habe, als das eh schon der Fall war. Jetzt, wo ich nur noch am Rechner lese, funktioniert das wieder viel besser. Man kann fließend zwischen dem einen und dem anderen wechseln und muss nicht immer eins hinlegen, das andere wiederfinden.

Ist nicht gerade diese Form von Zerstreuung auch problematisch?
KATHRIN PASSIG: So heißt es immer: dass die Leute gern ungestört lesen würden. Für mich war es eine Erleichterung. Mir würde dieses Argument auch theoretisch einleuchten, wenn es mir nicht in der Praxis anders ginge. Ich finde das eher erholsam, mich nicht so vollständig aus allem anderen ausklinken zu müssen.

Herr Rötzer, wie lesen Sie eigentlich, was nicht in Buchform ist? Gibt es bei Ihnen abseits des Buches auch richtige Formen von „Lesen-Lesen“, die Sie genießen können?
ANDREAS RÖTZER: Ich drucke mir jeden Text, der länger als zwei Din-A-4-Seiten ist, aus, um ihn zu lesen. Das ist nicht sehr ökologisch, deshalb werde ich mir jetzt auch ein Lesegerät besorgen. Ich bin aber sehr an das Medium Papier gewöhnt. Hinzu kommt, dass ich über die Jahrzehnte des Lesens auch ein Qualitätsempfinden für den Inhalt erlernt habe, das sich über das Material vermittelt. Das ist eine Orientierungshilfe, die ich mit einem reinen Lesegerät nicht habe.

KATHRIN PASSIG: Aber es ist doch nicht immer so, dass schöner Inhalt und schönes Material zusammenfallen.

ANDREAS RÖTZER: Häufig funktioniert das aber, das Erkennen über das Äußere. Da sehe ich übrigens auch in den Verlagen eine Gegenbewegung: dass wir fast eine Manufaktur für Bücher werden. Die Sorgfalt, die jemand auf einen Text verwendet, vermittelt sich über die Sorgfalt, die er auf das Material verwendet. Und man verwendet keine Sorgfalt auf etwas, das einem nichts wert ist.

KATHRIN PASSIG: Aber manchmal decken sich die ästhetischen Vorstellungen eines Verlegers, der ein inhaltlich interessantes Buch anbietet, nicht mit den meinen. Beim E-Book kann ich es mir so zurechtfummeln, wie ich das möchte. Überhaupt misstraue ich einem schönen Buch. Ich selbst habe das im Studium immer gern gemacht: Wenn ich einen Text von mir inhaltlich unzulänglich fand, habe ich ihn erst mal schön gesetzt. Gleich machte der Inhalt auch mehr her.

Es ist ja nun nicht nur die Frage der Gestaltung, die elektronische Texte von gedruckten unterscheidet. Es ist auch die Frage, wie man in ihnen navigiert. Wo man früher noch ein präzises Erinnerungsvermögen oder Anmerkungen brauchte, um eine Textstelle zu finden, hilft heute die Suchfunktion.
ANDREAS RÖTZER: Für mich ist das ein Kulturverlust. Das stößt in den Kern des Unterschieds zwischen Bildung und Wissen, oder Sein und Haben, um es klassisch auszudrücken. Man kann natürlich alles permanent verfügbar haben: Ich kann auch alles googeln, was ich nicht weiß, um es dann eine Sekunde später wieder nicht zu wissen. Das trägt aber nicht zu wirklicher Bildung bei, die zusammengesetzt ist wie ein Puzzle aus latent verfügbaren Wissenspartikeln, die nichts zu tun hat mit dem Googlebaren. Das mag ein bürgerlicher Begriff sein, aber mir erscheint diese Fähigkeit wichtig.

Sind Erinnerungshilfen das Ende aller Bildung? Lesen Sie die Erwiderung von Kathrin Passig auf Seite drei.

KATHRIN PASSIG: Das sehe ich umgekehrt. Ich finde das auch großartig, dass das menschliche Gehirn zu so etwas wie Erinnern in der Lage ist. Ich kann das – wissen, auf welcher Seite eines Buches etwas gestanden hat. Doch das menschliche Gehirn kann viel großartigere Dinge, als sich etwas zu merken. Ein Computer kann sich besser erinnern. Und ich kann Dinge, die Google nicht kann. Ich finde es besser, sich darauf zu konzentrieren.

ANDREAS RÖTZER: Aber welches sind diese anderen Dinge, und braucht man nicht, um diese anderen Dinge zu tun, ein Erinnerungsvermögen, mit dem diese Wissenspartikel inkorporiert werden?

KATHRIN PASSIG: Dass wir Erinnerungshilfsmittel haben, ist ja nicht neu. Wenn sie einen älteren Kollegen anschauen, wird er ein papiernes Archiv mit einem Zettelkasten haben. Ich weiß nicht, ob man den Menschen früher Vorwürfe gemacht und gesagt hat: „Nein, das gehört in den Kopf! Sonst ist das das Ende der Bildung!“ Die Hilfsmittel werden mächtiger und sind besser zu handhaben. Natürlich muss ich mich aber auch heute noch erinnern, dass ich da mal was gelesen habe, und ich muss in der Lage sein, noch zwei googlebare Stichwörter zu reproduzieren.

ANDREAS RÖTZER: Es ist in dem Zusammenhang interessant, dass Platon ja ein großer Kritiker der Aufschreibesysteme war, weil er gesagt hat, dass sich damit auch das Erinnerungsvermögen verliert. Gleichzeitig ist Platon der größte gedankliche Block in der abendländischen Geschichte. Mit ihm beginnt offenbar schon der Abstieg.

KATHRIN PASSIG: Ich begebe mich jetzt auf sehr dünnes Eis, weil ich keine Ahnung von Evolutionsbiologie habe: Ich habe nur gelesen, dass man das Zusammenkommen von Mensch und Wolf an der Gehirnentwicklung sowohl des Menschen als auch des Hundes ablesen kann, weil sich bestimmte Fähigkeiten verlagert haben. Der Mensch riecht schlechter und kann bestimmte andere Dinge schlechter, der Hund wird unselbstständiger. Schon da lagert man Fähigkeiten an ein Gerät aus und schon da hat es Folgen für die Hardware. Man kann danach bestimmte Dinge einfach nicht mehr so gut, nutzt den freigewordenen Platz aber für was anderes. Man kann jetzt sagen: Das hat unsere Riechfähigkeit ruiniert. Aber es geht ja doch immer in eine Richtung weiter, die auch ganz interessant ist.

Trotzdem gibt es Entwicklungen, die manchen gefährlich werden können. Frau Passig, zum Schluss: Braucht es eigentlich noch Verlage?
KATHRIN PASSIG: Ich glaube, es gibt im Wesentlichen zwei Punkte, an denen das klasssische Verlegerhandwerk den anderen noch etwas voraus ist. Das ist zum einen der Vorschuss. Der Autor muss von irgendwas leben. Und es ist der Status. Das macht sich einfach besser, wenn man sagt: „Das Buch ist bei Rowohlt erschienen.“ Dann sagen die Leute ganz brav: „Aha, bei Rowohlt!“ Wenn man sagt „Ich habe das bei Amazon veröffentlicht“, denken alle: „Jaja, mal so eben ins Internet reingeschrieben.“ Das sind aber alles Dinge, die sind nicht in Stein gemeißelt. In anderen Bereichen werden Vorschüsse auch von Venture-Kapitalgebern bezahlt, von Firmen, die das als Dienstleistung anbieten.

ANDREAS RÖTZER: Na, Verlegen hat für mich auch mit Verbreiten zu tun. Das ist etwas, was ein Autor alleine nicht leisten kann. Dafür braucht er Strukturen, Verlage, Listen, Preise, kanonisierende Instrumente zur Orientierung. Ob die nun immer so funktionieren wie heute, weiß ich nicht, aber es braucht Kanäle, in Zukunft genauso wie jetzt.

KATHRIN PASSIG: Ich frage mich ja, was passieren würde, wenn wir schon in dem Zustand wären, wo es das alles nicht mehr gibt, wo die Leute aber von jedem Buch im Netz einfach das erste Kapitel lesen können, vielleicht sogar da, wo man kapitelweise weiterkaufen kann. Da würde mich schon interessieren, was dann passiert, wenn zum Beispiel jemand den Literaturnobelpreis bekommt, ob das Auswirkungen auf das echte Leseverhalten hat, oder nur auf das Buchkaufverhalten, ob die Leute solche Ereignisse wirklich als Chance sehen, einen unbekannten Autor kennenzulernen, oder ob man das Buch bisher nur gekauft hat, weil man dadurch das Gefühl hatte, Teil einer Lesebewegung zu sein.

Das Gespräch führten Gregor Dotzauer und Johannes Schneider.

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