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Medien: Ein ausgezeichneter Rat

Jürgen Domian tröstet WDR-Zuschauer in allen Lebenskrisen – und bekommt dafür jetzt das Bundesverdienstkreuz

Es ist kalt in Deutschland, doch Jürgen Domian fährt mit dem Fahrrad vor. Die Kleidung sieht nicht besonders winterfest aus, und die unvermeidliche Mütze auf dem Kopf ist wohl nur ein relativer Schutz gegen die Minustemperaturen. Der Mann ist offenkundig ziemlich fit, und beim abendlichen Interview in einem Kölner Lokal gibt’s keinen Alkohol, sondern nur einen Kakao mit Sahne. Ein paar Stunden später wird er wieder vor dem Mikrofon sitzen.

Seit mehr als sieben Jahren schiebt der 44-Jährige Nachtschichten. Sein minimalistisch mit nur einer Kamera abgefilmtes Talk-Radio „Domian“ wird heute zum 1500. Mal ausgestrahlt (WDR Fernsehen, 1 Uhr), und wenige Tage später wird dem Moderator sogar das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse verliehen.

Das ist nicht ganz ungewöhnlich: Manche Fernsehleute, besonders Korrespondenten wie Gerd Ruge, Friedhelm Brebeck oder Sonia Mikich, wurden mit dieser Auszeichnung geehrt. Aus der Begründung in Sachen Domian machen die beteiligten Ämter vor der offiziellen Verleihung noch ein Staatsgeheimnis, aber der WDR hat schon mal in Erfahrung gebracht, dass die „professionelle Hilfe“ in der Sendung und außerdem Domians Engagement gegen Aids belohnt werden soll.

Karl Josef Mertens jedenfalls darf sich bestätigt fühlen. „Ich bewundere, wie der mit den Menschen spricht“, sagt der Frührentner aus Wachtberg bei Bonn. Am 11. Oktober 2000 schrieb er einen Brief ans Bundespräsidialamt nach Berlin: „Es ist erschreckend, wie viel Elend es in unserem Land gibt. Was dieser Mann jede Nacht an unserer Gesellschaft leistet, um die Menschen von Schrecklichem abzuhalten, ist gar nicht abzuschätzen.“ Könne man „so einem Menschen“ nicht das Bundesverdienstkreuz verleihen, fragte damals der Herr Mertens den Herrn Rau. Der verwies die Anfrage an die zuständige Staatskanzlei in Düsseldorf, wo die ordensbürokratische Prüfung zwei Jahre (!) dauerte. „Da habe ich nicht daran geglaubt, dass ich als kleiner Rentner das erreichen kann“, freut sich Karl Josef Mertens, der unter Schlaflosigkeit leidet.

Und Jürgen Domian, laut „Focus“ der „Vater Teresa der Schlaflosen“, freut sich auch. „Ich war äußerst erstaunt und überrascht. Es ist eine tolle Anerkennung für das, was wir seit sieben Jahren machen.“ Ist ihm ein Orden zu staatstragend? „Nein, ich lebe gerne in diesem Staat. Ich fühle mich hier sehr wohl.“

Jürgen Domian hat Philosophie studiert und beim WDR-Radio Eins Live gearbeitet, ehe er im April 1995 seine eigene Sendung bekam. Lebenshilfe via TV hat ja mittlerweile Konjunktur, doch bei „Domian“ geschieht etwas Seltsames, eigentlich Erschreckendes: Vielen Anrufern gilt der Mann auf der Mattscheibe als einzig möglicher Gesprächspartner, als Freund, dem die intimen Geheimnisse anvertraut werden, manchmal sogar als letzte Instanz, dem kurz vor dem geplanten Selbstmord noch einmal die aussichtslose Lage geschildert werden kann. Die Selbstentblößung bleibt anonym, aber authentisch. Während jeder Sendung steht ein Psychologe bereit, um das Schlimmste zu verhüten oder einfach nur Adressen von Selbsthilfegruppen weiter zu geben.

Das Fernsehen als Therapieanstalt? Das will sich Domian nicht anmaßen: „Die Psychologen haben die Aufgabe, in der Nacht die erste Hilfe zu leisten, auch Leute zu betreuen, die nicht auf den Sender sollen. Das ist natürlich keine therapeutische Arbeit, aber eine professionelle Hilfeleistung ist es schon.“ Etwas mehr als Erste Hilfe wünscht er sich dennoch: „Mein Traum wäre es, eine Art Stiftung zu gründen, in der sich Vollzeitkräfte wirklich langfristig kümmern können.“

Jürgen Domian räumt durchaus ein, zuweilen an Grenzen zu stoßen. Zum Beispiel, als vor einiger Zeit eine junge, an Leukämie erkrankte Mutter anrief, die hoffte, noch den fünften Geburtstag ihres Kindes im Februar zu erleben. „Ich habe mit den Tränen gerungen, weil das Mädchen so toll, so tapfer erzählt hat“, sagt Domian. Gerade bei aussichtslosen Fällen „wünsche ich mir manchmal, Herr Fliege zu sein. Ich glaube, dass ein Geistlicher besser trösten kann als ein Mensch, der nicht religiös gebunden ist wie ich.“ Andererseits versteht er seine Sendung gerade nicht als Telefonseelsorge. „Das ist natürlich ein Spagat: Wir müssen dem Anrufer genauso gerecht werden wie dem Publikum, das informiert und unterhalten werden will.“ Wenn Leute allein aus Eitelkeit anrufen, findet er das auch nicht schlimm. „Wenn die eine gute Story erzählen können – wunderbar. Man hat in einem Medium immer mit Eitelkeiten, mit Exhibitionismus zu tun.“ Kurz vor Weihnachten gönnte er sich die Themensendung „Ich bin ein Luder“. Das sei Entertainment, „das kann man sich nach sehr vielen ernsthaften Themen auch mal erlauben“.

Manchen Medienkritikern ist diese gewagte Mischung suspekt. Domian gehe es „in erster Linie darum, Geschichten zu sammeln“, schrieb die „Neue Zürcher Zeitung“ und bezweifelte, dass Anrufern durch die Sendung wirklich geholfen wird. Und die „Süddeutsche Zeitung“ schalt Domian, weil in seiner Sendung „nur noch die Moral der bilateralen Privatverträge“ zähle: „Wenn zwei Menschen untereinander aushandeln, dass das, was sie tun, in Ordnung ist, dann ist das in Ordnung.“

Jürgen Domian reagiert auf solche Einwürfe ausgesprochen gelassen. Nur wenn er bildungsbürgerliche Hochnäsigkeit gegenüber den Sorgen seiner Anrufer wittert, gerät er ein wenig in Rage. „Meine Mutter ist Putzfrau, mein Vater war Hausmeister und ist jetzt Rentner. Die ganze Familie sind einfache Leute. Ich weiß, wie es da zugeht, wie groß Probleme sein können, wenn man sich sprachlich nicht so zu helfen weiß.“ In diesem Sinne verteidigt er auch die umstrittenen Nachmittags-Talkshows: „Die so in Bausch und Bogen zu verdammen, ist ungeheuer arrogant und elitär. Jemand aus dem Großbürgertum kann sich das überhaupt nicht vorstellen, wie man mit fünf Kindern in Köln- Chorweiler und Berlin-Marzahn lebt, wie man da Konflikte zu lösen versucht und wie froh man ist, wenn jemand, der die Probleme auch kennt, im Fernsehen darüber erzählt.“

Jürgen Domian will keinen Zweifel daran aufkommen lassen: Sein Interesse am nächsten Anrufer ist ungebrochen. Kann das sein nach Tausenden von Gesprächen? Er hoffe nicht, dass er sich verändert habe, sagt Domian. Wie glatte Routine, wie Fließband-Betroffenheit wirken seine Reaktionen auf die zuweilen abgedrehtesten Geschichten sicher nicht. Aber der immer in die Kamera gerichtete Blick ist auch professionelles Kalkül: Denn dass Anrufer ihm während des Gesprächs in die Augen blicken können, vermittelt den Eindruck einer direkten Kommunikation. Das Medium Fernsehen erzeugt, auch in seiner formal schlichtesten Variante, eine Illusion. Doch Jürgen Domian würde sich reale Begegnungen wünschen.

Vor einiger Zeit versuchte der WDR ein Live-Format, bei dem Domian seine Gesprächspartner in einem Zelt mitten in der Kölner Innenstadt persönlich empfing. Es kamen Hunderte aus allen Teilen Deutschlands. Dem WDR war das Experiment zu teuer, Domian selbst hat diesen Traum noch nicht aufgegeben. Also von Müdigkeit keine Spur? „Nein, überhaupt nicht. Weil es ein großes Glück ist, etwas gefunden zu haben, das so gut zu mir passt und dann auch noch funktioniert.“

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