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Medien: Erfolg in Serie

Michael Grade leitete lange Zeit den britischen „Channel 4“, nun soll er die gesamte BBC aus der Krise führen

Von Caroline Fetscher

Die BBC ist mehr als ein Sender. Sie ist Mythos und Aufklärungsmaschine. Seit drei Generationen besitzt sie ein internationales Millionenpublikum. Und der Sender bewältigt just die schwerste Krise seiner Geschichte – nachdem im Januar der Report eines Lordrichters offiziell feststellte: Der Sender hatte Falschaussagen über Tony Blair und sein Irak-Dossier verbreitet. Die Chefetage nahm ihren Hut, weltweit waren Mitarbeiter verstört und in Panik. Jetzt hat der Weltsender einen neuen Aufsichtsratsvorsitzenden, der den Weg aus der Krise meistern soll.

Unter knapp achtzig Mitbewerbern fiel die Wahl auf Michael Grade, 61, einen Mann, den die „Financial Times“ einmal als „Entertainer“, als Populisten, beschrieb – und der sich schon 2001 um den Posten beworben hatte. Grade leitete lange den „Channel 4“ der BBC, hatte Erfolg als Serienproduzent, zeigte sich als Mann mit Humor und Sinn für Business, durchaus ohne Scheu vor Sex und Crime, Comedy und Hollywood. Grade wird als Erstes den mächtigsten Posten füllen, und einen neuen Generaldirektor für die BBC ernennen, als Nachfolger für den im Januar zurückgetretenen Greg Dyke.

Doch Michael Grade hat noch andere Aufgaben. Er wird, so erklärt die BBC; „langfristige strategische Ziele für den Sender“ erarbeiten. Als Generalmusikdirektor eines weltpolitischen Medien-Orchesters wählt er den Dirigenten, der wiederum die Musiker, die Redaktionsleiter. Die BBC mit ihren rund 25 000 Mitarbeitern und einem Jahresbudget von 2,6 Milliarden Pfund erreicht rund 335 Millionen Menschen rund um den Globus per Hörfunk oder Fernsehen. Sie empfangen die werbefreien, von Rundfunkgebühren finanzierten internationalen Programme von BBC World, die große, globale Schwester der inzwischen weitaus kommerzieller gewordenen nationalen Programme BBC 1 oder BBC 2. Ein Machtmensch wie Michael Grade weiß sehr gut, warum und worum er sich bewarb.

Der weltweite Einfluss der BBC ist kaum zu unterschätzen. Einen seiner ersten Höhepunkte erreichte er während der Zeit des Nationalsozialismus – auch in Deutschland. Im Herbst 1940 erhielt Thomas Mann in seinem kalifornischen Exil eine Nachricht aus London. Absender: Bush House, der Sitz der British Broadcasting Corporation. Die BBC bat den exilierten Schriftsteller um einen monatlichen Radiobeitrag, einen „Letter from America“, gerichtet an sein Herkunftsland. „Deutsche Hörer!“ begann Mann im Oktober 1940. „Ein deutscher Schriftsteller spricht zu Euch, dessen Werk und Person von Euren Machthabern verfemt sind, und dessen Bücher, selbst wenn sie vom Deutschesten handeln, von Goethe zum Beispiel, nur noch zu fremden, freien Völkern in ihrer Sprache reden können.“

Sechzig Sendungen produzierte Mann für die BBC. Man schätzt, dass zehn bis fünfzehn Millionen Deutsche zuhörten, obwohl der „Führer“ das Empfangen ausländischer Sender zum „Verbrechen gegen die nationale Sicherheit“ erklärt hatte. Ab September 1937 war der BBC-German-Service auf Sendung, brachte Jazz und Swing, Satire, Frontberichte, Hörspiele. Wie so viele erinnert sich der emeritierte Musikprofessor Robert Alexander Bohnke aus Berlin bis heute an seine latente Angst als BBC-Hörer. „Bei uns im Haus waren SS-Leute einquartiert“, erzählt er. „Die Wasserrohre transportierten jeden Laut von Raum zu Raum und wir mussten immer fürchten, dass man uns beim Hören des so genannten Feindsenders erwischt.“ Die BBC war Teil des antifaschistischen Kampfes – auf das Hören stand Gefängnis. Akustisches Kennzeichen des German-Program waren die Anfangsakkorde von Beethovens 5. Symphonie: Ta ta ta taam. Der Rhythmus entsprach dem Zeichen für „V“ – wie Victory – im Morsealphabet.

Die BBC, entstanden im Jahr 1922; sendete nicht nur in England die Reden der Royals und der Premierminister, sie wurde bald im ganzen Empire gehört. Ihr Arab-Service, der zu den ersten ausländischen Angeboten zählte, erklang ab 1938. Heute berichtet der BBC World Service in 43 Sprachen, darunter Russisch, Chinesisch, Kasachisch, Kroatisch, Albanisch, Vietnamesisch und Hindi. Wer die Radiosendung „Talking Point“ mit Moderator Robin Lustig verfolgt, der hört Anrufer aus Lagos und Karachi, Tokyo, Lahore oder Stockholm, aus Dörfern und Städten rings um den Erdball, die sich etwa zur Debatte um den Schleier melden.

Trocken aber empathisch, tendenziell stets skeptisch gegen die Mächtigen, so verfolgen BBC-World Radio und Television 24 Stunden täglich live das Weltgeschehen. Reporter befragen Aids-Waisen in Afrika und Oppositionelle in China, erklären Rassenunruhen in Indien, kommentieren Debatten der Uno. Viele Mitarbeite waren auf Eliteuniversitäten. Sie gelten als hoch gebildet, alert, unmanipulierbar.

Die BBC, das war das alte Großbritannien. Das Empire ist gegangen, geblieben war, als sein bester Nachhall, ein demokratisches Medien-Empire in Staatsbesitz, in seiner Mischung aus Erstklassigkeit und demokratischem Spirit. Doch nicht nur der Druck der Quote durch private Konkurrenten macht der BBC inzwischen zu schaffen. Tief sitzen bei einigen Mitarbeitern alteingesessene Automatismen, etwa: links ist gleich gut, Werte, wie sie auch der Londoner „Guardian“ repräsentiert. Die aber erweisen sich als immer weniger realitätstauglich. Seit sich Israels Politiker 2003 plötzlich weigerten, der allzu palästinenserfreundlich wirkenden BBC Interviews zu geben, waren manche bereits alarmiert. Blairs „New Labour“ schien mitunter beweglicher als „The Beeb“, wie man in England sagt. „The Beeb“ trug noch die Kleider von Old Labour.

Ein distinguiertes Aufsichtsgremium von zwölf „Governors“ – offiziell ernannt von der Queen im Auftrag des Kabinetts – soll dafür sorgen, dass die 16 Abteilungen der Sendeanstalt höchste Standards erfüllen. Unabhängig, neutral, ethisch, balanciert – nach diesem angelsächsischen Codex des Journalismus soll die BBC arbeiten. Recherche statt Gerücht, Information statt Indoktrination, Fairness statt Polemik – diese Standards gelten, insbesondere bei BBC-World. Dafür stehen heute Mitarbeiter wie die exzellente Interviewerin und Reporterin Lyse Doucet, der Krisen-Globetrotter John Simpson, der Moderator Nik Gowing oder der unbeirrbare Nachfrager Tim Sebastian in „Hard Talk“.

Wer BBC-Leute bei der Arbeit erlebt, sieht selten Starallüren. Und fast ein Drittel der Spitzenpositionen sind nach einer umwälzenden Reform vor ein paar Jahren von Frauen besetzt; zehn Prozent von Angehörigen ethnischer Minderheiten. Doppelt so viele Briten trauen laut einer Umfrage eher der BBC als ihrer Regierung. Weltweit halten mehr Menschen die BBC für glaubwürdig als die mit Amerika assoziierte CNN.

Doch wo Ethos und Glaubwürdigkeit Markenzeichen sind, ist jeder geringste Verlust an beidem ein Desaster. Aus dem aktuellen Tief müssen Michael Grade und der neue Generaldirektor die BBC ziehen. Allein schon, weil es 2006 bei der Mammutanstalt um Milliarden gehen wird, denn dann soll die Regierung, was alle zehn Jahre fällig ist, den Lizenzvertrag der BBC erneuern. Grade ist bekannt als der Mann mit dem zuversichtlichen Lächeln. Die BBC kann seinen Optimismus jetzt gut gebrauchen.

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