zum Hauptinhalt

Erst zahlen, dann lesen: Eine Frage des Überlebens

Mut oder Verzweifelung? Die „New York Times“ will ihren Online-Auftritt kostenpflichtig machen. Und zwar bereits von Ende des Monats an.

Eigentlich ist es Mitarbeitern der „New York Times“ strengstens untersagt, über Interna zu plaudern. In der vergangenen Woche konnten jedoch einige Redakteure der größten Zeitung der Welt nicht mehr an sich halten. Was bei der „Times“ derzeit vor sich geht, erschien den Journalisten wohl als zu wichtig für die Zukunft ihrer gesamten Profession, um es noch länger vor der Öffentlichkeit zu verbergen. Die „Times“, erfuhr das „New York Magazine“ aus anonymen Quellen innerhalb des Verlags, plant noch vor Ende des Monats im Internet nach einem abgestuften System für einen Teil seiner Artikel Geld zu verlangen. Inzwischen hat die Zeitung erste Details mitgeteilt. Einige Beiträge pro Monat bleiben demnach weiterhin kostenlos, danach werden Nicht-Abonnenten mit einer Pauschale zur Kasse gebeten. Genaueres will die „Times“ nachliefern.

Die Entscheidung von „Times“-Verleger Arthur Sulzberger ist richtungsweisend. Bislang hatte Sulzberger die Strategie verfolgt, möglichst viele Besucher auf die Website der Zeitung zu locken, um das Online-Werbegeschäft irgendwann profitabel zu machen. Die große Mehrheit der Zeitungen rund um die Welt folgte dieser Linie. Wenn die „Times“ diese Taktik nun für gescheitert erklärt, könnte dies einen generellen Umschwung zum Bezahlcontent auslösen.

Dem Entschluss vorangegangen waren offenbar zähe Debatten im Haus. Die Redaktion war in zwei Lager gespalten – Chefredakteur Bill Keller plädierte für eine Bezahlseite, die Redakteure der Online-Times, Martin Nisenholz und Jon Landmann, waren dagegen. Das Risiko, lautet ihr Argument, ist zu groß: Die „Times“ setzt damit ihre 20 Millionen Online-Leser rund um den Globus aufs Spiel und damit ihr Kapital in einer zunehmend digitalen Medienwelt.

Deshalb hat man bei der „Times“ auch lange gezaudert. Erst vor zwei Jahren hatte die Zeitung Versuche wieder eingestellt, für einen Teil ihres Online-Angebots Gebühren zu erheben. Inzwischen haben sich jedoch einige Dinge in der Branche geändert. Konkurrent Rupert Murdoch, Verleger von „Wall Street Journal“ und „New York Post“, setzt seit vergangenem Jahr aggressiv auf Bezahl-Content. Murdoch versucht sogar Google dazu zu bewegen, für das Verlinken auf die Seiten seiner Zeitungen Geld zu bezahlen. Insofern gibt es zumindest die theoretische Möglichkeit, dass die „Times“ gemeinsam mit Murdoch ein Klima schaffen kann, in dem das Publikum dazu bereit ist, auch für hochwertigen Journalismus im Netz zu bezahlen.

Darüber hinaus glaubt man, dass neue Hardware-Technologien Sulzberger zu seinem Schritt ermutigt haben. So wird spekuliert, dass es ein Abkommen zwischen der „Times“ und Apple gibt, das Ende des Monates mit seinem neuen, superflachen „Tablet-PC“ auf den Markt kommt. Auf dem Tablet ist eine ähnliche Darstellung von Zeitungen und Zeitschriften wie im traditionellen Druckformat möglich und es gibt viele Beobachter, die deshalb das Tablet für die Rettung des klassischen Journalismus halten. Für die Tablet-Anmutung, so hofft man, werden Leser wieder bereit sein, wie für Produkte auf Papier Geld zu bezahlen.

Skeptiker glauben hingegen, dass Sulzberger in seiner Entscheidung vor allem von der Verzweiflung getrieben wurde. Die Hoffnung, dass das Anzeigengeschäft im Internet irgendwann die Produktion der Inhalte trägt, ist durch die Wirtschaftskrise in unerreichbare Ferne gerückt. Gleichzeitig ist der finanzielle Druck auf die verschuldete „Times“ so sehr gewachsen, dass sie einfach dringend eine neue Einnahmequelle braucht. Erst im Dezember musste die „Times“ 100 Redakteure entlassen – trotz des Gelübdes Sulzbergers, nie die Qualität seines Blattes zu kompromittieren. „Das Einzige, was sich bei der ,Times’ in den vergangenen zwei Jahren geändert hat“, schreibt der Kolumnist Michael Neff von der Branchenwebsite Newser, „ist der Grad der Verzweiflung.“

Das größte Problem der „Times“, glaubt Neff, sei nicht so sehr der Übergang vom Print zu Online, sondern die Konzeptlosigkeit der Führung in dieser Lage. „Anstatt eine potenziell fatale Entscheidung zu treffen, sollte die ,Times’ lieber Sulzberger feuern“, schreibt Neff. Aussagen aus der Redaktion bestätigen diesen Eindruck der Führungsschwäche: „Man hat nicht das Gefühl, dass hier irgendjemand weiß, wo es langgeht“, sagte Kolumnist Thomas Friedman dem „New York Magazine“. Eine beängstigende Aussage für den Rest der Branche, der noch immer gehofft hatte, dass die „Times“ dem Journalismus den Weg ins digitale Zeitalter weist.

Sebastian Moll[New York]

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false