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Papi, guck mal. Promis wie Boris Becker (3. v. r.) und sein Sohn Noah (4. v. r.) bekommen oft mehr Aufmerksamkeit als die Mode. Foto: rts

© REUTERS

Event statt Ereignis: Stoff, Schweiß, Stecknadel

Von wegen Fummel und Freakshow – warum viele Medien ein falsches Bild der Modeszene bedienen.

Die Berlin Fashion Week ließ sich nicht übersehen. Trotz der mächtigen Konkurrenz durch die Fußball-Weltmeisterschaft räumten Zeitungen, Magazine und TV-Sender dem Thema Mode einige Tage lang erheblichen Platz ein. Um die gezeigten Kollektionen ging es oft nur am Rande. Im Vordergrund standen eher die Nebenschauplätze – welche Marke die meisten Prominenten anzog, die größte Show oder die rauschendste Party veranstaltete. Diese Form der Aufmerksamkeit ging manchmal so weit, dass mehr über die Outfits der anwesenden Prominenz berichtet wurde als über die Kleider auf dem Laufsteg, um die es doch eigentlich gehen sollte. Die Modenschau wurde damit oft zum bloßen Anlass für die spektakulären Society-Events degradiert.

Vor allem Boulevardmedien bedienen ein eher verzerrtes, aber populäres Bild der Modebranche. Geprägt wurde es durch Vorabendserien, die im Modemilieu angesiedelt waren, wie die Telenovela „Verliebt in Berlin“ oder Castingshows wie „Germany’s Next Topmodel“. Die Mode selbst bleibt meist im Hintergrund, dafür wird die vermeintlich glamouröse, etwas exaltierte, insgesamt aber begehrenswerte Welt der Modeszene in aller Ausführlichkeit geschildert. Mit weitreichenden Folgen, denn genau diese Bilder werden wiederum in der Berichterstattung über reale Ereignisse reproduziert. Es geht dann nicht mehr darum, die gezeigten Entwürfe differenziert zu bewerten, stattdessen wird die Modeszene als ihr eigenes Klischee inszeniert. Entsprechend wird die Aufmerksamkeit verteilt. An erster Stelle stehen die Großereignisse, die mit den meisten prominenten Gästen aufwarten können, Petitessen wie verrutschte oder durchsichtige Blusen auf dem Catwalk werden hochgejazzt, zur Qualität der Kollektionen wird geschwiegen.

Die Modemacher bedienen diese Begehrlichkeiten, um Aufmerksamkeit zu erhalten. Zu den Virtuosen des Medienspiels zählt der Berliner Designer Michael Michalsky. Schon immer waren seine Schauen opulent inszeniert und prominent besucht, bei der Fashion Week veranstaltete er bereits seine zweite „Style Nite“. Dass er im Tempodrom auch eine überzeugende Kollektion vorstellte, ging in der auf das „Event“ fixierten Berichterstattung fast unter.

Für Michael Michalsky ist das kein Problem: „Auf die inhaltlichen Schwerpunkte, die die einzelnen Medien setzen, haben wir als Veranstalter natürlich keinen Einfluss. Manche Medien sehen das gesellschaftliche Event im Vordergrund, andere berichten ausschließlich über die Mode und konzentrieren sich auf fachliche Inhalte.“ Beides sei verständlich und richte sich natürlich nach den Zielgruppen, die die Medien ansprechen wollten. Hinter Michalskys großen Inszenierungen steckt wirtschaftliches Kalkül. „Die ,Style Nite‘ ist, wie andere Fashion-Shows auch, eine Fachveranstaltung. Deshalb sind die meisten Besucher Einkäufer und Kooperationspartner unserer Firma“, betont der Designer. Noch ist seine Marke nicht so groß, dass sie teure Werbung schalten kann, die Modenschauen sind für ihn daher das beste Mittel, dem Label Aufmerksamkeit zu verschaffen.

Auf andere Art spielt der Münchener Avantgarde-Designer Patrick Mohr mit den Medien. Seine Schauen inszeniert er bewusst theatralisch. In Berlin schickte er diesmal männliche und weibliche Models mit falschen Bärten und Glatzen auf den Laufsteg, ein Model, das fast nackt auftrat, war so dünn, dass es magersüchtig wirkte. Diese Schockästhetik wird von der Presse auf der Suche nach spektakulären Bildern gerne gezeigt, sie kann ernsthafte Diskussionen über Geschlechterrollen und Essstörungen anfachen – birgt zugleich die Gefahr, dass die Modeszene in erster Linie als Freakshow wahrgenommen wird.

Das ist die Kehrseite der medialen Inszenierung von Mode als leicht verrückter Glamourwelt. Dieses Image weckt nämlich nicht nur Begehrlichkeiten, sondern auch Ablehnung. Wer sich nicht vom vermeintlichen Reiz der Reichen, Schönen und Exaltierten verführen lässt, hält Mode daher oft für den Gipfel spätkapitalistischer Dekadenz – und meint, es sei ein ethisch korrektes Statement, alles, was mit Mode zu tun hat, pauschal abzulehnen. Dass gutes Modedesign eine Kunstform ist, die im besten Fall mindestens so komplex wie Malerei oder Architektur sein kann und ähnlich kompetente Rezensionen verdient hätte, wird in der Öffentlichkeit selten wahrgenommen.

Es besteht aber Hoffnung, dass sich die Mode-Berichterstattung grundlegend ändert. Im Internet gibt es nämlich genau das im Überfluss, was den traditionellen Medien fehlt: Raum und Zeit. Hier können ganze Kollektionen mit Fotostrecken oder Videos dokumentiert werden. Eine Chance, die nicht nur von den Medien, sondern auch von den Designern selbst zunehmend geschätzt wird: „Für Interessenten stellen wir kurz nach der ,Style Nite‘ sämtliche Catwalk-Looks auf unserer Website zur Verfügung. Zusätzlich kann die gesamte Fashion-Show auf unserem offiziellen Youtube-Channel angeschaut werden“, sagt Michael Michalsky.

Modeblogs wie „Les Mads“ aus Berlin haben sich zu einer echten Bereicherung entwickelt. „Es gibt sehr gute Leute unter den Bloggern“, sagte beispielsweise Suzy Menkes von der „International Herald Tribune“, die als weltweit wichtigste Modekritikerin gilt. Ihr Vorteil ist, dass sie keine Klischees bedienen müssen. Man muss nur ein paar Videointerviews in den Blogs anschauen, um festzustellen, dass Modedesigner keine schrillen Freaks sind, sondern meist nachdenkliche, bescheidene und hoch begabte Leute. Natürlich unterscheiden sich die Blogs stark in ihrer Qualität. Aber allein das neue Format erweitert die Berichterstattung und gibt der Modeszene ihre Mitte zurück: die Mode.

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