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Mehr als 20 Jahre ist Udo Reiter Intendant des Mitteldeutschen Rundfunks (MDR) gewesen. Mit seiner Nachfolgerin Karola Wille, seit 2011 im Amt, hadert er jedoch.

© dpa

Ex-MDR-Intendant Udo Reiter: Meister des Wohlfühlfernsehens

Er hat Thomas Gottschalk und Günther Jauch entdeckt, ist zum „Ossi-Versteher“ geworden und haderte auch schon mit dem Leben. Nun hat Udo Reiter, Gründungsintendant des MDR, seine Biografie geschrieben. Es ist ein Bekenntnisbuch geworden.

An einem Frühlingstag 1991 wurde der Hörfunk-Programmdirektor des Bayerischen Rundfunks in den Sächsischen Landtag bestellt. Dort eilte „ein kleiner Mann mit rotem Gesicht und Bürstenhaarschnitt“ herbei; erklärte, er sei unter Zeitdruck, denn er müsse in zwanzig Minuten den Abgeordneten einen Intendanten für den neu gegründeten Mitteldeutschen Rundfunk vorschlagen, deshalb die Frage an den verdutzten Gast: „Haben Sie nicht Lust, das zu machen?“ – Der sagte „ja“ und wurde gewählt. Diese rustikale Art bei der Besetzung von Führungspositionen der ARD beschreibt Udo Reiter in seiner an diesem Montag erscheinenden Autobiografie, nicht ohne anzumerken, dass die Methoden für die Auswahl des Personals sich inzwischen verfeinert hätten.

Es ist ein vergnügliches Buch. Es ist ein Bekenntnisbuch. Und es ist ein Stück Zeitgeschichte. Es handelt vom 1944 geborenen Arbeiterkind, das in Lindau am Bodensee aufwächst, auf Drängen des Lehrers auf ein altsprachliches Gymnasium wechselt, mit einem Begabtenstipendium Germanistik und mittelalterliche Geschichte studiert, nach einem Autounfall mit Querschnittslähmung dem Tod von der Schippe springt, Karriere beim Bayrischen Rundfunk macht und nach der Wende zum Gründungsintendanten des MDR berufen wird. Ungeschminkt beschreibt Reiter das Leben eines Mannes im Rollstuhl mit „Phasen der Verzweiflung, der Wut“, denn „alles muss der Behinderung abgetrotzt werden“. Ein solches Leben hat wenig gemein mit dem Kino-„Gelähmten-Kitsch“ (Reiter) à la „Ziemlich beste Freunde“. Auch dann nicht, wenn man als Intendant durch die Gegend kutschiert wird.

Reiter hatte sich nach seiner Promotion über den expressionistischen Dichter Jakob van Hoddis eine Smith-&-Wesson38-er spezial besorgt, ein letztes Bier eingeschenkt, den Abschiedsbrief an die Eltern geschrieben, bis ihn ein Gedankenblitz ins Leben zurückriss: „Ich war viel zu vital, um freiwillig auf das Leben zu verzichten, und sei es dreimal im Rollstuhl und noch so beschissen.“ Aber dennoch ist sein Buch ein Plädoyer für den selbstbestimmten Tod. „Einen Cocktail einnehmen, der gut schmeckt und mich sanft einschlafen lässt“, das sei das Recht eines jeden in einer freien Gesellschaft. So hat es Reiter für sich entschieden.

Wer dem Tod so nah war wie er, sieht die Rankünen des Alltags gelassen. Reiter ist ein Macher. Beim BR hat er die Entertainmentgenies Gottschalk und Jauch entdeckt und mit B 5 das erste deutsche Nachrichtenradio auf Sendung geschickt. Er hat aus dem Nichts den MDR zum Erfolg geführt, mit einem TV-Programm, das an der Spitze der Dritten steht und – hoppla, da warnt die Geschmackspolizei! – mit Serien wie „In aller Freundschaft“, „Tierärztin Dr. Mertens“ und „Um Himmels Willen“ im Ersten die Quoten abräumt.

Reiter war nie der typische Intendant, der öffentlich „absolute Qualität“ beschwor, um dann die nächste Schmonzette in Auftrag zu geben. Er ist Meister des Wohlfühlfernsehens und bekennt sich dazu. Und meckrige Journalisten, die vom hohen Ross „Missmut, Überdruss und schlechte Laune“ befördern, sind bei ihm ohnehin unten durch.

Aber diese Schlechte-Laune-Leute haben sich all die schönen Titel für ihn und den MDR ausgedacht: „Schunkelsender“ oder „Affärensender“, „Ossi-Versteher“ und „Chef einer Zockerbude“. Was die Zockerbude angeht, erzielte der Sender mit der Anlage eines Teils seiner Anschubfinanzierung 1999 einen Supergewinn: 79 Millionen Mark. In dieser Höhe konnte der MDR auf Gebührengelder verzichten. Das wünscht man sich doch! Doch weil mit einer geplatzten Ecuador-Anleihe 2,55 Millionen verschwanden, raste ein Empörungstsunami über den Sender hinweg. Reiter brauchte ein Bauernopfer und schasste den Verwaltungsdirektor. Eine „opportunistische Fehlentscheidung“, die ihn heute schmerzt. Mit dem begnadeten Geldvermehrer hat er sich wieder versöhnt.

Als der „Ossi-Versteher“ Reiter beschuldigt wurde, nicht hart genug gegen Ex-IMs unter den MDR-Mitarbeitern vorzugehen, empfahl er im Gegenzug, „die moralische Qualität“ der auf Moral pochenden West-Journalisten zu untersuchen. Jetzt wagt er die steile These, dass die Betrüger, die den Kinderkanal Kika um acht Millionen Euro erleichterte, vielleicht aus gekränkter Ehre gehandelt hat: Als Ossis wollten sie den Wessis in den Chefetagen mal zeigen, wie plietsch der Ossi sein kann. Ein bisschen mulmig wird dem Leser bei dieser Sichtweise schon.

Reiters Ex-Intendantenkollege Peter Voss schreibt Gedichte, Fritz Pleitgen stürmte nach dem Abschied vom Amt mit der Kamera durch die Taiga, Reiter unterhält sein Publikum lieber mit Geschichten – wie die von seinen Besuchen beim Papst: Wie zwei Schweizer Gardisten seinen Rollstuhl mit so viel Schmackes auf das Papstpodest schwangen, dass Reiter beinahe auf den Knien des Pontifex landete, wie das Jesuskind auf dem Schoß der Jungfrau Maria. Oder die Wunderheilung seines Referenten Klug, den eine Berührung Woytilas an seiner Schulter auf ewig schmerzfrei stellte. Klug und Reiter könnten – wenn sie nur wollten – die ultimativen Zeugen für die Heiligsprechung Johannes Paul II. sein. Vielleicht lohnt der Heilige Stuhl das mit der Vergebung aller Skandale des MDR.

Aber Reiter, verheiratet mit Romanautorin Else Buschheuer, sitzt in seiner behindertengerecht ausgebauten „Alten Schule“ in der Einflugschneise des Leipziger Flughafens, mäht im Sommer auf einem Traktor sitzend die Wiesen, hadert nicht mit seinem Schicksal, aber mit seiner Nachfolgerin Karola Wille: „Wenn man in Interviews liest, wie verdorben das Unternehmen doch ist, wie von Grund auf alles anders werden muss, wie dringend man neue Strukturen und neue Inhalte und neue Personen braucht, dann spürt man, ob man will oder nicht, einen kleinen Knacks im Herzen.“ Stasi-Affären, Ecuador-Anleihen, Kika-Skandal hat Reiter selber durchlitten und aufgeräumt. Da wurmt ihn der demonstrative „Putzeifer“ seiner Nachfolgerin.

Aber mal ehrlich, lass sie doch putzen. Ist allemal besser, als in die ARD-Geschichte als „Udo, der Putzmann“ einzugehen.

Der Autor war Gründungsintendant des Deutschlandradios.

Udo Reiter: „Gestatten, dass ich sitzen bleibe. Mein Leben“. Aufbau-Verlag, 248 Seiten, 19,99 Euro.

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