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Medien: Fernsehen als Schadensfall

Wenn Gottschalk Grippe bekommt und im ARD-Gutshaus Porzellan zerbricht: Wie sich das Reality-TV versichert

Fernsehen ist eine riskante Sache. Vor einiger Zeit musste ein „Big Brother“-Kandidat einen Alligator küssen. Was, wenn das Raubtier trotz Dressur Appetit auf mehr gehabt hätte? Die Produktionsfirma Endemol ließ die Tier-Nummer jedenfalls vorsichtshalber versichern.

Weil beim Fernsehen jede Menge schief gehen kann – angefangen vom kleinen Requisitenschaden bis zum kurzfristigen Ausfall des Hauptdarstellers –, spielen Versicherungen einen wichtigen Part. „Wenn Gottschalk nicht antritt, können Sie alles vergessen“, sagt Peter Bockelmann von der Deutschen FilmversicherungsGemeinschaft (DFG) in Hamburg. „Wetten, dass?“ ist ohne ihn nicht vorstellbar. Sendungs-Ausfall. Eine, sagen wir, Grippe von Thomas Gottschalk wird für die Versicherungen teuer. Schon als Jürgen Fliege wegen eines Autounfalls mehrere Folgen seines täglichen Talks nicht moderieren konnte, hat das Bockelmanns DFG „mehrere hunderttausend Euro“ gekostet. Harald Juhnke wollte deshalb gar niemand mehr versichern – der am Ende seiner Karriere schwer alkoholkranke Entertainer war einfach zu unzuverlässig. Bei Willy Millowitsch und Inge Meysel hat man dagegen trotz ihres hohen Alters Ausnahmen gemacht.

So gesehen, sind die vielen Reality-Formate, die in den letzten Jahren die Fernsehprogramme überschwemmt haben, kostengünstiger als Shows und mit Stars besetzte Fernsehfilme. Die Kandidaten sind weitgehend austauschbar, das Risiko eines Totalausfalls ist geringer. Bei einem Dauerprojekt wie „Big Brother“ beträgt die Deckungssumme allerdings dennoch einige Millionen Euro. Außerdem werden die Mutproben immer härter. Mochte das Dschungelcamp auch nur von C-Prominenten bevölkert sein; Peter Bockelmann fürchtete sich vor dem gemeinschaftlichen Ruf der Kandidaten: „Ich habe Durchfall – Holt mich hier raus“.

Auch „Schwarzwaldhaus“ und andere Formate der Öffentlich-Rechtlichen, die Living History genannt werden, sind nicht ohne Risiko. Die Mitspieler, ins anstrengende Leben vergangener Jahrhunderte zurückversetzt, „sind abends rechtschaffen müde“, sagt Hartwig König, Producer der ARD-Reihen, zu denen auch „Abenteuer 1900“ zählt. Wenn da einer die Kerzen brennen lässt, kann das gefährlich und teuer werden. Genauso, wenn Mitspieler zur Axt greifen, die noch nie Holz gehackt haben. Der größte Schaden (knapp 10 000 Euro) bei „Abenteuer 1900“ entstand, weil ein Stubenmädchen ein Tablett mit Meißener Porzellan fallen ließ. Menschen blieben bisher weitgehend unversehrt. Im „Schwarzwaldhaus“ gab’s einen Leistenbruch, im ZDF-Südsee-Format „Traumfischer“ einen entzündeten Moskitostich im Fuß eines 59-jährigen Mitspielers.

Für die „Traumfischer“-Beteiligten, also auch das gesamte Drehteam, hatte das ZDF eine zusätzliche Unfallversicherung (inklusive einer einmaligen Zahlung im Todesfall) abgeschlossen, doch das gilt nicht für jede Produktion. Bei Krankheiten muss sowieso die eigene Versicherung der Kandidaten einspringen. Immerhin mussten die Teilnehmer der Box-Duelle bei Pro 7 („Tag der Ehre“) unterschreiben, dass sie ihren nicht eben gesundheitsfördernden Ausflug in die Entertainment-Branche ihrer Krankenkasse rechtzeitig mitgeteilt haben. Auch der Arbeitgeber will das gerne wissen, bevor er seinen Angestellten auf dem Bildschirm entdeckt.

Die von Produzenten und Sendern gezahlten Prämien sind abhängig von den Nettoherstellungskosten und liegen derzeit, je nach Risikokalkulation durch den Versicherer, in der Regel zwischen einem und zwei Prozent plus 16 Prozent Versicherungssteuer. Ein Prozent Prämie macht somit bei einer eine Million teuren Produktion 11 600 Euro aus. Hinzu kommt teilweise eine Selbstbeteiligung von bis zu 20 Prozent der Schadenssumme. In den Niederlanden werden die Produktionen weit weniger abgesichert, weiß Endemol. In Deutschland gibt es eine andere Mentalität: Man rechnet buchstäblich mit dem Schlimmsten. Versicherungen legen als Kalkulationsbasis ein „worst-case-Szenario“ zugrunde.

Für eine TV-Dokumentation über den Papst ließ sich zum Beispiel ein Fernseh-Team dagegen versichern, dass der Heilige Vater während der Drehreise erkrankt und das Team vergeblich in den Vatikan reist, erinnert sich Uwe Wagner von Gerling. Wagner ist Psychologe und bei Gerling für „Human Riscs“ zuständig, für den Risikofaktor Mensch also. Der Kölner Konzern versicherte auch die ersten Staffeln von „Big Brother“. So war Wagner neben einem weiteren, von Endemol verpflichteten Psychologen bei der Auswahl und der Betreuung der Kandidaten beteiligt. Der Medienrummel war groß, die Sicherheit der Kandidaten habe an erster Stelle gestanden, sagt Wagner. So wurden bereits in der ersten Staffel von „Big Brother“ Kameras auch auf den Toiletten angebracht, nicht um anzügliche Bilder zu senden, sondern um jederzeit die Sicherheit der Kandidaten gewährleisten zu können. Es sei seriös zugegangen, betont Wagner. Später wurde das ursprüngliche Konzept mehr und mehr erweitert – Bungee-Sprünge und Alligatoren-Küsse gehören seitdem dazu.

Überlebt haben bisher alle das „Big Brother“-Abenteurer, auch wenn der künstlich erzeugte Stress im Container-Dorf immer weiter erhöht wurde. Runter gingen, jedenfalls im Vergleich zur ersten Staffel, nur die Quoten. Dieses Risiko ist freilich nicht versicherbar.

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