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Erlkönig

© dpa

Fernsehen: Ich rase, also bin ich

„Erlkönig“, ein ZDF-Krimi über eine fahrlässige Tötung mit der Tatwaffe Auto.

Ein Manta-Fahrer sei, so geht einer der üblichen Witze, selbst in der Sauna zweifelsfrei zu erkennen, und zwar an seinen verchromten Eiern. Ungeachtet ihrer humoristischen Zuspitzung trifft die Aussage einen wahren Kern, nicht nur beim Manta-Klientel: Automenschen pflegen die Insignien ihres Gefährts für die eigene Person zu übernehmen, schließlich fahren sie ja nicht nur zum Zwecke der Fortbewegung. „Ich fahre, also bin ich“, sagen sie, ein wohliger Tritt aufs Gas, und ihre Worte verlieren sich im Motorengeräusch.

Mit derlei kräftigen Motoren startet auch der „Erlkönig“: Es ist Nacht auf der Autobahn, die Wagen heulen auf wie die Wölfe; einer unter ihnen ist besonders ungestüm, flach auf den Asphalt gedrückt rast er dahin und hat schon bald sein erstes Opfer – eine junge Frau mit Sohn auf der linken Fahrspur befindlich, die sich vor dem Wolf hinter ihr erschrickt, rechts rüberzieht, von der Fahrbahn abkommt, stirbt.

Kommt das bekannt vor? Das soll es – und soll es auch wieder nicht, darf es nicht, sonst drohte dem ZDF ein ähnlicher Ärger wie ihn der WDR mit seinem Contergan-Film „Nur eine einzige Tablette“ hatte. Drum ist im „Erlkönig“ von Daimler-Chrysler nicht die Rede, und doch ist klar, dass es diesen Film nicht gäbe ohne Rolf F., den Mercedes-Testfahrer, der 2004 verurteilt wurde, weil er eine Frau nebst Tochter auf der Autobahn in den Tod gedrängelt haben soll.

Im „Erlkönig“ – wie Automobil-Prototypen im Branchen-Jargon genannt werden – heißt sie Katrin Tries; sie hat einen Sohn, der zunächst überlebt, und außerdem eine starke Neigung, am Leben zu leiden. So tippt die Firma, bei der sie eine Woche vor ihrem Tod eine Lebensversicherung abgeschlossen hat, auf Selbstmord, aber die zuständige Versicherungsmathematikerin, die schwangere Marlies Heidorn (Silke Bodenbender), plagt der Fall noch, als er schon längst in die Akten gewandert ist: Ob es wohl doch eine fahrlässige Tötung mit Fahrerflucht war?

Marlies beginnt Fragen zu stellen, und die Antwort, die sie sich erstreitet, besteht aus drei Buchstaben: DAW, so heißt ein großer Automobilkonzern, und dort arbeitet ein Testfahrer, der zwar nicht Wolf heißt, sondern Fuchs, aber vielleicht nur ein Wolf im Fuchspelz ist.

Zufällig passiert dabei nichts, Autor Stefan Dähnert („Was tun, wenn’s brennt?“), hat den Plot sorgfältig gebaut, es ist seine Leistung, dass er dennoch nie konstruiert wirkt. Und offenbar weiß er sehr genau um die unbewusste Kraft von Bildern. So sieht man Marlies mit ihrem Mann Ulli (Felix Eitner) immer in Kontexten des Unfertigen, im Gespräch mit einem Fliesenleger etwa, mit Farbeimer vorm Großmarkt, auf dem Rohbau ihres Hauses, der Subtext: Hier versuchen zwei, sich ein gemeinsames Haus zu errichten, eingezogen sind sie noch nicht, es kann noch alles schiefgehen. Auch in den Dialogen ist Dähnert stark; mitunter legt er seinen Figuren starke Prosa in den Mund, wie der Mutter der toten Katrin Tries, die über ihre Tochter sagt, sie habe von allem zu viel gehabt, „zu viel Talent, zu viel Gefühl, zu viel Busen“.

Besonders gut ist Dähnert aber bei den Pointen: Ob sie schon einmal über eine sanfte Geburt nachgedacht habe, fragt die Ärztin hochschwangere Marlies beim Ultraschall. Sie komme aus dem Pott, antwortet diese, sie brauche Maschinen. Und an anderer Stelle sagt Marlies zum Chef von DAW: „Ich kenne Sie aus dem Fernsehen“, worauf er erwidert: „Das geht meinen Kindern nicht anders.“ Und dann lässt er gewichtige Sätze folgen: Die D-Mark habe Deutschland nicht mehr, nur noch seine Autos.

Auch vom Auto als Fetisch soll der „Erlkönig“ laut ZDF handeln , gerade hierzulande, wo doch das Auto längst zum besten Freund des Mannes avanciert ist. Doch dieses Erzählversprechen löst der Film nicht ein. Visuell hat der Regisseur Urs Egger das Objekt Auto nicht genug bespielt, zeigt es nicht als schaukelnde Wiege, die einen geradewegs in die kindliche Regression befördert, erzeugt auch keine Selbstvergrößerung durch seine Benutzung, noch nicht mal einen hypnotischen Tunnelblick.

Hier liegen die Stärken des Filmes nicht, dafür aber – neben dem Drehbuch – in der durchweg grandiosen Besetzung mit einem Henry Hübchen und einem Axel Milberg in weiteren Rollen. Da kann selbst die nebensächlichste Nebenfigur, die DAW-Empfangsdame, welche Marlies abzuwehren versucht, ihr Telefon-Hmm auf drei verschiedene Arten intonieren. Wenn Marlies dann doch zum Leiter der Produktionsentwicklung vorgedrungen sein wird, ihn konfrontiert hat mit ihren Fragen, wird seine Hand einen schweißnassen Abdruck auf dem Glastisch hinterlassen.

„Erlkönig“, ZDF, 20 Uhr 15

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