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Tage des Aufruhrs. Demonstranten lassen den Maidan in Rauchschwaden verschwinden. In der Ukraine begann eine neue Zeitrechnung. Auch für Hromadske TV war die Zeit prägend. Der Sender ging an den Start und wurde zum Sprachrohr des Euromaidan.

© dpa

Fernsehen in der Ukraine: Nicht ausgewogen, aber ehrlich

Ukrainisches Fernsehen untersteht auch fast zwei Jahre nach dem Euromaidan den Oligarchen. Ein TV-Kanal aber wagt das Gegenmodell.

Solange in einem Land Krieg herrscht, ist es wohl fast unmöglich, die Entwicklung demokratischer Institutionen durchzusetzen. Seit Anfang September aber scheint die bereits für den Februar dieses Jahres vereinbarte Waffenruhe in der Ukraine endlich zu halten. Trotzdem bemängelte die OSZE während der kürzlich abgehaltenen Regionalwahlen, „dass praktisch die ganze Wahlkampfberichterstattung in den Medien bezahlt war“.

Zu den profiliertesten Verfechtern unabhängiger Berichterstattung in der Ukraine gehöret Valerij Ivanov, Präsident der „Akademie der ukrainischen Presse“, einer NGO, die sich seit 2001 für Pressefreiheit einsetzt. „Unsere Journalisten haben zuletzt keinen guten Job gemacht. Bei uns wird Patriotismus oft als Regierungstreue verstanden“, erklärt Ivanov. Internationale Standards würden nicht eingehalten zu Gunsten eines „journalismus predanosti“ – was frei als „Ergebenheitsjournalismus“ übersetzt werden könnte, ergeben gegenüber der Maidan-Revolution – und nicht dem Gebot der Objektivität verpflichtet. Für einen großen Fehler hält Ivanov auch das Abschalten der russischen Sender, einer in weiten Teilen der Bevölkerung durchaus populären Maßnahme. „Sollen unsere Bürger etwa für die Ukraine im Donbass sterben, aber nicht mündig genug sein, um zu entscheiden, welchen TV-Sender sie einschalten?“

Früher waren die Mediensphären eng verzahnt

Vor dem Euromaidan waren die russische und die ukrainische Mediensphäre eng verzahnt, gerade internationale Nachrichten bekamen Ukrainer oft vom großen Bruder. Heute ist das Land medial entlang der Frontlinie im Osten geteilt, denn auch die Separatisten stören den Empfang feindlicher – also ukrainischer – Sender.
Ivanov weist auf den Fall eines jungen Mannes hin, der seit neun Monaten im Gefängnis sitzt, weil er Ukrainer dazu aufgerufen hatte, nicht in den Krieg zu ziehen. „Das ist eine Verhöhnung freiheitlicher Werte. Indem wir das, was wir jetzt in der Ukraine haben, als Demokratie bezeichnen, untergraben wir die Demokratie“, sagt Ivanov.
Dass die Oligarchen sich von ihren Sendern trennen erscheint umso unwahrscheinlicher, da selbst Präsident Petro Poroschenko sich nicht – wie versprochen – von seinem „Kanal 5“ lösen will. Experten weisen auch darauf hin, dass alle ukrainischen TV-Sender rote Zahlen schreiben. Aus rein finanziellem Interesse würde sie also niemand betreiben. „Wenn aber jemand versuchen würde die Sender den Oligarchen per Gesetz oder mit Gewalt zu entreißen, gäbe es einen neuen Krieg. Fast jeder Oligarch hat in der Ukraine eine Privatarmee“, sagt Ivanov.
Nicht ganz so dramatisch sieht die Lage Diana Dutzuk, die für die NGO Telekritika regelmäßig fundierte Analysen ukrainischer TV-Berichterstattung vornimmt. „Im Bezug auf den Krieg im Donbass sind die meisten ukrainischen TV-Sender tatsächlich unkritisch und unreflektiert. Aber in letzter Zeit ist zu beobachten, dass die politische Vorgehensweise der Regierung insgesamt sehr wohl hinterfragt wird.“ Als wichtiges Problem sieht Dutzuk den Druck durch die Propaganda russischer Medien, welcher Gegenpropaganda erzeugt und damit eine Negativspirale in Gang setzt.

Das Informationsministerium wurde noch nicht aktiv

Immerhin: das von internationalen und ukrainischen Medienschaffenden harsch kritisierte Informationsministerium tritt nach übereinstimmender Expertenmeinung bislang nicht negativ in Erscheinung, weil dessen Ankündigungen, wie die Schaffung einer Cyber-Armee oder die national gesinnte Steuerung des Informationsflusses, bislang eben Ankündigungen blieben.
Einen einzigartigen Ansatz in der ukrainischen Mediensphäre bietet „Hromadske TV“. Das „Öffentliche Fernsehen“ wurde kurz vor dem Euromaidan von Journalisten gegründet, die Vorgaben der Oligarchen satt hatten. Während der Revolution war der Sender ein entscheidender Faktor, nur mit Smartphones ausgestattet übertrugen seine Reporter die Proteste live und ungeschnitten. Gesendet wird hauptsächlich auf Ukrainisch, aber auch Englisch und Russisch sind vertreten. Dozhd-TV, der letzte verbliebene unabhängige regierungskritische russische TV-Sender, ist Partneranstalt von Hromadske.

Heute gibt es etwa 100 Mitarbeiter, die meisten sind jung, wie die 30-jährige Redakteurin Angelina Kariakina. „Wir sind ein nicht-kommerzieller Sender“, erklärt Kariakina, während sie durch die kreativ unordentlichen Redaktionsräume führt, die genauso einem Start-up gehören könnten. An der Wand hängt eine litauische Flagge mit der Aufschrift „Für unsere und eure Freiheit.“ Finanziert wird die Berichterstattung durch Stipendien und Spenden, von denen viele von westlichen Botschaften kommen, oft von den USA, aus Schweden oder den Niederlanden. „Ich habe aber nie Versuche erlebt, unsere Arbeit wie auch immer zu beeinflussen“, betont Kariakina. Zuvor war sie bei Euronews angestellt. Bei Hromadske gehe es anders zu. „Wir haben kaum Hierarchien, was im Alltag auch ziemlich anstrengend sein kann.“

Die Frage nach Unabhängigkeit und Gesinnung ist für Hromadske eine zentrale, schließlich sieht sich der Sender als Sprachrohr der Revolution – und gleichzeitig als eine möglichst pluralistische, nach westlichen Werten der Pressefreiheit ausgerichtete Medienplattform der neuen Ukraine. Mustafa Najem, Mitbegründer von Hromadske und einer der Initiatoren der Euromaidan-Proteste, beschreibt die Haltung des Senders so: „Wir berichteten von Beginn an nicht ausgewogen, aber ehrlich.“ Heute ist Najem, der sich zuerst einen Namen als Enthüllungsjournalist gemacht hatte, kein Journalist mehr, sondern Abgeordneter des ukrainischen Parlaments für die Präsidentenpartei von Poroschenko.

Wohin die Reise von Hromadske gehen soll, können weder Mitarbeiterin Kariakina noch Mitbegründer Najem genau sagen – es gebe keinen genauen Plan. Zwischen Bürger-TV und einem etablierten öffentlich-rechtlichem Fernsehen sei vieles möglich, für die Zukunft des Senders sei deshalb vieles denkbar. Es ist ein Satz, der wohl für die Ukraine insgesamt gelten kann.

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