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Fernsehen: Verschlungene Bande

Ein Thriller mit hochkarätiger Besetzung, doch "Entführt" ist nicht mehr als lieblos und klischeebeladen. Eine TV-Kritik

Die Gattung Thriller ist ja, was das Geflecht aus Vorgeschichte, Hauptmotiv, Nebenhandlung und Logik des Ablaufs betrifft, besonders anspruchsvoll. Was man als Zuschauer beim Melodram gnädig verzeiht, eine Unklarheit in der Handlungsführung, nimmt man beim Thriller empfindlich übel. So gleicht der Thriller (wie der Krimi) einem Kreuzworträtsel, das am Ende aufgehen muss, und wenn nicht, ist das Publikum sauer.

Nun stehen aber den Filmemachern eine Reihe von Tricks zur Verfügung, mit denen sie darüber hinwegtäuschen können, dass keineswegs alles stimmt. Der beliebteste ist eine hyperkomplexe Handlung, an der so viele Personen, Intrigen, alte Rechnungen und verschlungene Familienbande beteiligt sind, dass kaum ein Zuschauer nach dem zweiten Akt noch durchblickt. Die meisten glauben, dass Autor und Regisseur schon wüssten, wie alles zusammenhängt und nur sie selbst ein bisschen schwer von Kapee seien. Wer nicht so tickt, schaltet ab. Der Rest ist meist noch groß genug für eine mittlere Quote. Vor allem, wenn vorzügliche Schauspieler den Ausstieg erschweren.

Der Zweiteiler „Entführt!“ von Matti Geschonnek (Regie) und Hannah Hollinger sowie Jörg Schlebrügge (Buch) ist exakt so ein Vexierspiel, in dem der Zuschauer spätestens nach dem ersten Teil kleinlaut versucht, die Handlungsstränge einigermaßen auseinander zu zurren und wieder zu verflechten, um sich ein Bild von den Vorgängen zu machen. Im Mittelpunkt steht eine „normale“ Familie, Vater Bergmann (Mark Waschke), Mutter Bergmann (Nina Kunzendorf) und Tochter Hannah (Charleen Deetz), Mittelstand, sympathisch. Aber da gibt es einen alten Herrn, der der Kleinen nachstellt, und eines Tages tauchen dunkle Gestalten auf, geführt von einer kriminell-energischen Frau (Suzanne von Borsody), die das Haus belauschen und schließlich das Töchterchen kidnappen – und den Papa gleich dazu. Die Lösegeldforderungen sprengen den finanziellen Rahmen der Bergmanns – man ahnt schon: jemand anders soll zahlen und büßen, ein Mann mit Vermögen, der irgendwas mit den Bergmanns zu tun hat. Zwei alte Knaben betreten den Plan: Der schwerreiche Unternehmer Targensee (Friedrich von Thun) und sein Adlatus Max (Hanns Zischler). Targensee war der Herr, der die kleine Hannah ansprach und ihr einen wert- und beziehungsvollen Armreif gab. Wie das wohl zusammenhängt?

So weit, so nachvollziehbar immerhin. Hannah ist Targensees Enkelin, was die Kleine nicht weiß, denn der Opa ist mit der Mutter zerfallen. Aber es kommt noch bunter. Max empfängt Targensees Tochter Vera (Andrea Sawatzki) zum Sex, was keiner wissen darf, zumal Vera in New York einen Deal in Daddys Auftrag einfädeln soll, den sie dann aber verpatzt. Zwischendurch ruft eine ältere Dame von einer orientalischen Kasbah aus an, spricht mit den Entführern und lächelt immer. Ein blutrünstiger Gangster, der eigentlich nicht dazugehört, aber mit absahnen will (Matthias Brandt), gesellt sich zu den Entführern und reißt die Führung an sich. Die arme, gebeutelte Frau Bergmann sitzt inzwischen händeringend zu Hause und tut das, was Frauen in solchen Situation im Fernsehen immer tun: Sie überhäuft den armen, gebeutelten Kommissar (Heino Ferch) mit Vorwürfen, dass er nicht genug tut, und schreit und schluchzt den Standardsatz: „Bringen Sie mir mein Kind zurück!“

Jetzt wird es schon schwieriger, sich zu orientieren, nicht wahr? Zumal man lange im Unklaren gelassen wird, wer es denn wohl sei, der Herrn Targensee ans Leder und ihn gänzlich fertig machen will. Bis dann was angedeutet wird: In New York war mal was, im Jahre 1955, da hat sich jemand mit Schuld beladen. Ziemlich lange her, aber was Rachemotive im TV-Thriller sind, so lassen sie sich einfach nicht der menschlichen Psychologie anpassen.

Das Schlimme ist, dass es einen nicht interessiert. „Entführt!“ ist derart lieblos, äußerlich, klischeehaft und auf Effekte getrimmt zusammengehauen, dass sich die vorzüglichen Schauspieler nur so abstrampeln können, es entsteht kein Funken Bereitschaft, mitzugehen. Die Löcher in der Logik, die überall klaffen, sind am Ende auch wurscht. Wenn man sich für die Figuren und ihr Schicksal in keiner Weise erwärmen kann, ist man auch nicht mehr sauer über ein nicht-aufgehendes Kreuzworträtsel. Man will es gar nicht mehr lösen. Und das ist weitaus schlimmer als Ärger über Unstimmigkeiten.Barbara Sichtermann

„Entführt“, Montag und Mittwoch,

20 Uhr 15, ZDF

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