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Fernsehen: Vollgekifft von Kassel nach Kabul

Eine exzellente WDR-Dokumentation folgt den Spuren der Glücks- und Drogenkarawane der Hippies. Man wünscht am Ende, die beiden Filme wären doppelt so lang

Von Caroline Fetscher

Sie nannten sich Hippies oder Freaks. Im Sprachgebrauch der anderen waren sie einfach die „Gammler“. Weg von Zwang und Trott wollten sie – zur Not auch ohne einen Pfennig und per Anhalter. Andere, die in ihre Freiheit flohen, benutzten dazu einen deutschen Markenwagen. „Meistens waren’s ja VW-Busse“, erinnert sich der Autor Niklaus Schmid aus Duisburg. Dazu zeigt er das Schwarzweiß-Foto eines Parkplatzes, auf dem es eher nach tristem Camping aussieht. Doch auf der „Karawane der Blumenkinder“ war das alles anders, erklären die Zeitzeugen, die heute Abend im WDR zu Wort kommen. Es ging um spirituelle Erleuchtung, sagen sie, um Grenzerfahrungen, Glückssuche, Sex, Drogen, Natur, die Ferne als Versprechen, das man real aufsuchen kann.

Maren Niemeyer, geboren 1965, hat sich für ihre exzellente Dokumentation auf die Spuren des legendären Hippie-Trail begeben, den sie in all seiner Komik und Tragik schildert. Angeödet vom grauen Deutschland und einer zersplitternden Linken suchten mehr und mehr deutsche Blumenkinder das Weite. Wie andere westliche „traveller“ wollten sie in der „Farbenpracht“ von Marokko bauchfrei umherschlendern und „gutes Haschisch“ rauchen, wie Uschi Obermayer es sagt. Über sonnige Zielorte wie Ibiza, Formentera und Tanger zog sich der Trail bis Istanbul, Kabul, Goa und Katmandu, dessen Hauptstraße noch immer den Spitznamen „Freak Street“ trägt. Musikstars der Flower-Power-Szene reagierten ebenfalls auf den Magneten Ferne: Die Beatles bereisten Indien, Bob Dylan soll auf den Balearen „Blowing in the wind“ komponiert haben, Joschka Fischer und Bill Clinton sah man im Istanbuler Kult-Café „Pudding Shop“.

Der zweiteilige Film verarbeitet privates Super-8-Material, Fotodokumente und Interviews zu einer faszinierenden Collage der Karawane, deren labyrinthisches Mäandern sich Historikern entzieht, und die filmisch zum ersten Mal erarbeitet wurde. Auf dem halben Globus haben Niemeyer und ihr Team recherchiert, mit sichtbarer Lust am Sujet. Sie trafen Hängengebliebene.

Veteranen, wie den Erfinder der „German Bakery“ in Südostasien, dessen Betrieb mit einer von Mutter verschickten Tüte Dr. Oetker-Backpulver begann. Vergnügt berichten Hippie-Pioniere, wie sie ein Vermögen mit dem Vertrieb exotischer Textilien machten. Auch einheimische Profiteure des Trails erzählen, Wirte und Hoteliers wie jener gelassene Mann in Kabul, der es verstand, dass junge Leute aus Europa vor der „Moderne“ weglaufen wollten. Mitunter merkten die Reisenden plötzlich, dass sie sich an prekären Orten aufhielten, etwa in Marokko nach dem Sechstagekrieg 1967: „Wir waren dann die Feinde!“

So überwältigend sich die Landschaftskulissen in „Die Karawane der Blumenkinder“ ausnehmen, so grotesk wirken im Rückblick viele der kulturellen, politischen Missverständnisse. Sprösslinge reicher, demokratischer Gesellschaften der Ersten Welt suchten sich arme und extrem autoritär geprägte Orte der Dritten Welt, deren Basare, Strände und Straßen sie zu Kulissen ihrer Freiheitssehnsucht machten. Niemeyer blickt mit Humor und Empathie auf all die Lebenswege und begleitet sie mit Kultsongs dieses besonderen Yesterday. Man wünscht am Ende, die beiden Filme wären doppelt so lang.

Die Karawane der Blumenkinder; Teil 1: High sein, frei sein, WDR, 20 Uhr 15; Teil 2: Am Ziel der Träume, 11. April 2008, WDR, 20 Uhr 15

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