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Fernsehfilm: Flucht in die Freiheit

Der RTL-Film „Westflug – Entführung aus Liebe“ will ein großes DDR-Melodram sein.

Jürgen Treske hat ein Auto, aber leider kein Ersatzteil für sein kaputtes Getriebe. Er nennt es „mein antisozialistisches Getriebe: Vorwärts nimmer, rückwärts immer“. Die DDR-Volkspolizisten reagieren natürlich humorlos. „Leute wie Sie kriegen wir immer“, schnarrt einer bei der Kontrolle. Eine hübsche Idee, die Sache mit dem angehenden Republikflüchtling, der schon auf der Straße verkehrt herum fährt. Doch so etwas wie Humor bleibt bei „Westflug – Entführung aus Liebe“ die Ausnahme. Der Film von Thomas Jauch will ein großes Melodram sein, will ein reales Drama in eine noch dramatischere Fiktion verwandeln. Was 1978 in Wirklichkeit geschah – eine Flucht aus der DDR per Flugzeugentführung –, war ja tatsächlich ein Stoff, der Spannung garantiert.

Wären nur die allermeisten Figuren nicht so uninspiriert erdacht. Die Vertreter der DDR-Staatsmacht sind Klischees in Uniform oder unfreiwillige Karikaturen wie die beiden Stasi-Leute, die völlig zu Recht von ihrem Vorgesetzten als „Dick und Doof“ bezeichnet werden. Inszenatorischer Höhepunkt in diesem DDR-Absurdistan: Treske zieht seine Ost-West-Geschäfte auf offener Straße durch, während „Doof“ im Auto danebensitzt und Fotos mit einem Teleobjekt schießt, als wollte er noch die Seriennummer des neuen Getriebes dokumentieren. Und „Dick“ schickt der in einen Westler verliebten Kellnerin aus dem Ost-Berliner Café Moskau eine „letzte Warnung“, indem er sie wie in einem billigen Gangsterfilm in den Dreck schubst. Sophie von Kessel spielt diese Anja Rautenberg, eine alleinerziehende Mutter mit Tochter, die sich in den West-Berliner Geschäftsmann Michael Franjek (Oliver Mommsen) verliebt. Dessen hervorstechendste Eigenschaft ist, gut auszusehen und einen üppigen Mercedes zu fahren.

Beide sind erst schwer verliebt, dann getrennt und ebenso schwer verzweifelt. Viel mehr erfährt man nicht. Mehr Spielfläche bietet Jürgen Treske, der neben seinem Job alle möglichen Geschäfte abwickelt und heimlich in seine Kollegin Anja verliebt ist. Einer, der sich immer irgendwie durchwurschtelt. Es macht Spaß, Hendrik Duryn („Der Lehrer“) dabei zuzusehen. Man entschließt sich zur Flucht über Danzig, doch Franjek wird im Zug nach Polen mit den falschen Pässen verhaftet. Den vermeintlichen Urlaubern Jürgen, Anja und ihrer Tochter bleibt nichts weiter übrig, als nach Ost-Berlin zurückzufliegen. Mit einer Spielzeugpistole entführt Jürgen die polnische Maschine und zwingt den Piloten, auf dem West-Berliner Flughafen Tempelhof zu landen.

Dort verschenkt der Film seine größte Chance: West oder Ost? Die einmalige Gelegenheit nutzen oder doch in die Heimat zurückkehren? Vor diese Entscheidung sehen sich plötzlich knapp 50 Passagiere aus der DDR gestellt. Ein ungeheurer Konflikt, dessen Dimension allein die anschließend gesendete Dokumentation erahnen lässt. Im Film dagegen bleiben die Passagiere allesamt Statisten, abgesehen von einem Stasi-Agenten, dessen Frau rätselhafterweise erst jetzt entdeckt, welchen Beruf ihr Mann eigentlich ausübt. Die Drehbuch-Autoren (Sylke Rene Meyer und Timo Berndt) dichten nun die wahrlich spannende Realität in RTL-kompatible Unterhaltung um. So entscheidet sich die verliebte Anja erst in letzter Sekunde, direkt an der Mauer.

Und was ist der Entführer: Held oder doch Krimineller? Irgendwie beides, findet RTL, verpasst Treske Handschellen und bringt die ganze Geschichte auf die übliche Privatfernseh-Moral, die, um mit Kai Pflaume zu sprechen, so lautet: Nur die Liebe zählt. In Wahrheit verließ der echte Entführer, Detlef Alexander Tiede, der im Film eine kleine Rolle als Zugschaffner übernahm, das unter US-Militärhoheit stehende Tempelhofer Flughafengelände nach neun Monaten als freier Mann.

„Westflug – Entführung aus Liebe“, RTL, 20 Uhr 15, „Flucht in die Freiheit – Die Entführung von Flug LO 165“, 22 Uhr 30

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