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FERNSEHKRIMI: Die Föhnwelle ist hin

Nach 15 Jahren: Uwe Steimle verlässt den „Polizeruf 110“, und der Ost-Krimi verlässt Schwerin

Das hat er aber schön gesagt: Er möchte dazu beitragen, dass „das Wort ‚der Ostdeutsche‘ etwas vom Beigeschmack übler Nachrede“ verliert. Der Schauspieler und Kabarettist Uwe Steimle meinte das nicht unbedingt in Bezug auf seine fernsehkriminalistische Tätigkeit in Schwerin. Die ist nun ohnehin zu Ende. Heute Abend läuft der letzte Polizeiruf aus Schwerin. Vielleicht freut das nur eine einzige, leicht lokalisierbare Zielgruppe im Land: die Rostocker. Rostock fand es vor 19 Jahren überaus unpassend, das kleine Schwerin zur Landeshauptstadt zu machen, es liegt ja nicht mal am Meer. Fortan wird Rostock zumindest fernsehkriminalistische Hauptstadt Mecklenburg-Vorpommerns. Natürlich gibt es da auch noch Wismar, diese „Soko Wismar“, aber die ist vom ZDF, und irgendetwas muss sie ohnehin falsch machen, wie eine absolut nicht repräsentative Umfrage unter Nordmenschen ergab. Die wenigen Antworten waren zudem meist stumm: in missbilligende Höhen gezogene Augenbrauen.

Das wäre Uwe Steimle nie passiert. Und dabei ist Steimle, wie jeder hört, ein Sachse. Sachsen im Norden haben es besonders schwer. Von der Stunde null an hat er durchgehalten. Die Stunde null war 1994. Die ARD hatte beschlossen, den „Polizeiruf“ als gesamtdeutsche Reihe fortzuführen. Der NDR-Polizeiruf machte im Januar 1994 mit „Bullerjahn“ den Anfang. Mit Uwe Steimle und dem Bauernsohn Kurt Böwe.

Es war seltsam, Kurt Böwe vom Deutschen Theater als Kommissar zu sehen. Fernsehkommissar zu werden, hatte in der DDR eher die Bedeutung des Eingeständnisses, es als Schauspieler zu nichts gebracht zu haben. Heute kann man beim Fernsehen eigentlich nur noch Kommissar werden. Und sogar Böwe, das Schwergewicht, leiblich wie auf der Bühne, machte mit. Aber erst hatte er mit seinen Bauern gesprochen. Und die Bauern aus Krumbeck sagten: „Kodi, mög’ dat mal!“ Außerdem gefiel ihm die Rolle. Früherer DDR-Volkspolizist, dessen Dienstrang schon deshalb heruntergestuft wurde – mehr als die Tatsache, in der DDR gelebt zu haben, war ihm aber nicht nachzuweisen –, bekommt jungdynamischen, besserwisserischen Vorgesetzten aus Sachsen. Steimles blonde Stirnföhnwelle, leicht nach hinten geworfen, strahlte verwegensten Aufbruch in die neue Zeit aus.

Böwe und Steimle, das war schon eine gute Idee. Böwe vermutete vor der ersten Folge, „dass mein Intendant die Fernsehauftritte von Böwe gar nicht gern sieht“. Denn Böwe wollte einen Kommissar spielen, der etwas geleistet hatte in der DDR und der aus Überzeugung Genosse gewesen war. Für Böwe schien das „aus Überzeugung“ wie eine Rechtfertigung und Lebensläufe auch solcher Leute verteidigenswert. Auffällig ist ohnehin, dass man weiß, was die bekanntesten Fernsehkriminalisten Ost dieses Landes politisch meinen, ob Peter Sodann, Henry Hübchen oder früher Böwe. Wusste man je, was „Derricks“ Tappert politisch dachte?

Der NDR-Intendant wird sich trotzdem nicht über Böwe geärgert haben. Wohl nicht mal, als Böwe dem Groth seinen Lieblings-Dederoneinkaufsbeutel – so was haben nur Ostdödels – in die Hand gab. Sogar die Handlung der ersten Folge passierte: Westviehdiebe stehlen in Mecklenburg die Kühe von der Weide, auch bei Tageslicht. Die Mecklenburger sind zu doof, da braucht man gar nicht warten, bis es dunkel wird. Und war das Duo Groth/Hinrichs nicht wirklich zu doof? Böwe: „Das war so etwas wie ‚Flucht in Ketten‘. Bei diesen beiden Nappsülzen weiß man ja erst gar nicht, ob sie überhaupt einen Fall lösen können.“

Sie konnten, sie konnten sogar sehr gut. Denn Böwes Groth war einer, der mit dem Volke atmet, und ein Sachse allein in Schwerin erfährt erst mal gar nichts.

Und dann stand Hinrichs plötzlich doch allein da. Kurt Böwe ist im Juni 2000 gestorben. Der Groth’sche Dederonbeutel war nun auf ihn übergegangen, zwei Kommissare zogen durch – Diekmann (Jürgen Schmidt) und Törner (Henry Hübchen) –, an die er sich nicht recht gewöhnen konnte. Obwohl Steimle, Hübchen und die Drehbuchautorin 2005 einen Grimme-Preis für den Schweriner Polizeiruf erhielten. An den, der zuletzt kam, hat er sich nach sieben Folgen noch nicht gewöhnt, braucht er nun auch nicht mehr. Es ist ein würdiger Abschied. „Die armen Kinder von Schwerin“ können es mit den besten Folgen der Reihe aufnehmen.

Hinrichs und Tellheim (Felix Eitner) sind, obwohl ungefähr gleichaltrig, noch immer bei einem höchst distanziert betonten Sie und verkehren eher ironisch gebrochenen, allenfalls vorsichtig anerkennenden Tonfalls miteinander. Aus der Zeitspanne der 15 Jahre erkennt man erst, was sich alles verändert hat. Hinrichs Föhnwelle hat den alten Schwung verloren und mit seiner täglichen Tüte voller Kuchenränder scheint das spezifische Energielevel der Groth’schen Existenzform auf ihn übergegangen zu sein. Kein Zweifel, er ist der Ostler hier: Immer ein wenig langsamer als sein Kollege, und so früh wie der zum Dienst zu erscheinen, schafft er ohnehin nicht. Das hat etwas virtuos Kammerspielartiges zwischen den beiden.

Was den „Polizeiruf“ schon der Idee nach vom „Tatort“ unterschied, war, dass weniger spektakuläre Fälle gelöst werden als ein Porträt von Gesellschaft entstehen soll, in kriminalistischem Rahmen gefasst. „Die armen Kinder von Schwerin“ – Buch und Regie: Christine Hartmann (mit Eckhard Theophil) – verbergen von dieser Absicht schon im Titel nichts. Wie lebt eine Familie, die kaum genug hat zum Leben? Die noch immer junge Mutter (Fritzi Haberlandt) geht nach der Spätschicht als Putzfrau gleich wieder zur Frühschicht und ist froh, dass die noch frei ist. Ihr Mann ertränkt seine Beschäftigungslosigkeit im Alkohol, die Kinder sorgen, so gut sie können, für sich.

Nichts wirkt hier gewollt, kulissenhaft, Beiläufigkeiten treffen ohne viele Worte, etwa der Wunsch der kleinen Schwester nach einer neuen Schultasche. Mit dem alten Ostranzen wird sie ausgelacht. Leben als Dauerüberforderung aller Beteiligten. Wenn der Familienvater nüchtern ist, verschiebt er mit Freunden Buntmetall für die Russenmafia. Aber die lässt sich nicht gern im Gewerkschaftston schlechte Zahlungsmoral vorwerfen, die zeigt den vorlauten Kleinschiebern schon mal, was alles mit ihnen passieren kann. Und Kinder als Zeugen, das mögen sie schon gar nicht. Dabei hatte der kleine Junge (Joel Eisenblätter) nur seinen trinkenden Vater gesucht …

Hinrichs und Tellheims letzter Fall. Zum letzten Mal auch: der wunderbare Hermann Beyer als Hinrichs Vater.

„Polizeiruf 110“, ARD, 20 Uhr 15

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