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Ard-Talkshow "Anne Will" mit dem Thema: "Doktor Guttenberg – alles nur geklaut?"

© Tsp

Fernsehkritik: Anne Will zu Guttenberg: Grandios versemmelt

Das Thema "Doktor Guttenberg – alles nur geklaut?" bei "Anne Will" bot eine ganz seltene Gelegenheit. Doch diese Ausgabe hat gezeigt, was das Format bei falscher Besetzung sein kann.

Die ARD-Mediathek ist eine wertvolle Einrichtung. Dort kann gesehen werden, was verpasst wurde. Dort kann auch erneut gesehen werden, was schon gesehen wurde. „Anne Will“ zum Exempel. Täuschte der erste Eindruck am Sonntagabend, war die Talkshow nicht ein erkennbarer Tiefpunkt, sondern – mit Anstand betrachtet – ein camouflierter Höhepunkt des deutschen Talkshow-Wesens? Wiedersehen macht Freude, auch hier lügt der Volksmund.

Aufgerufen ist das Thema: „Doktor Guttenberg – alles nur geklaut?“ Kann man machen, ohne Frage, aber mit dieser Runde darf es weder Anne Will noch irgendeine andere Talkgröße jemals wieder machen. Wird schon so sein, dass an einem Wahlabend und bei einer Promi-Biografie in der Schwebe aus der ersten Reihe der Politik kein Gast zu bekommen ist. Dann wird die Einladungspolitik schwierig, zum Risiko mit offenem Ausgang. Die Redaktion von „Anne Will“ hat es grandios versemmelt. In der schmerzlichen, irrigen Annahme, dass Alice Schwarzer immer ein Gewinn ist, irrlichtert die „Emma“-Herausgeberin durchs Thema wie die gefürchtete Tante Frieda, die in keiner Runde niemals den Mund halten kann. Bei Schwarzer gibt es nur eine Frage, die den Zuschauer interessieren konnte: Wird ein Gast ihre Beiträge unterbieten?

Schwierig, allerdings, aber Dr. Dieter Wedel schafft es. Dieser große Fernsehkünstler, dieser Magier der Fernsehfiktion, versucht sich als Anekdotenonkel zur eigenen Dissertation. Ein Desaster. Mein Gott, der Wedel ist so fernseherfahren, er muss doch wissen, wie gnadenlos das Medium einen Akteur neben sich und außerhalb der Spur ausstellt. Aber die Eitelkeit, die Eitelkeit, die treibt auch einen wie Dr. Dieter Wedel auf den Talksessel. Wedel war ein Plagiat seiner selbst.

Monika Hohlmeier, Tochter vom ehemaligen CSU-Übervater Franz-Josef Strauß, wird gar zu gerne in eine Runde gebeten, wenn es um Politiker im Affärenstrudel geht. Hohlmeier, das war mal eine prominente Politikerin in Bayern, gar Ministerin für Unterricht und Kultus ist sie gewesen. Jetzt will sie Karl-Theodor zu Guttenberg verteidigen, von „Fehlern“ spricht sie, ansonsten sie das hohe Lied vom populären, überaus befähigten Parteifreund singt. Melodie und Text sind bekannt.

Der SPD-Politiker Karl Lauterbach, Professor und zweifacher Doktor, und Hans-Ulrich Jörges, schneidigster aller Hauptstadtjournalisten, bilden die Fraktion der Guttenberg-Gegner. Lauterbach sieht die akademische Wissenschaft am Ende, wenn Dr. Googleberg mit seinem Plagiat durchkommt, Jörges sieht – mit blitzenden Augen – das Ende des potenziellen „Bild“-Bundeskanzlers aus Bayern. Dem Meinungssheriff wird noch mal der Zeigefinger abbrechen. Bei „Anne Will“ darf jeder herausprusten, was ihm auf der Zunge liegt. Die Vorsitzende Will lässt es laufen.

Was wirklich Sache ist, wird nur im Stelltisch-Gespräch mit Eckhard Freise deutlich. Die mögliche Aberkennung des Doktortitels durch die Uni Bayreuth ist ein komplexer, vielschichtiger Vorgang. Der Professor erklärt es, Anne Will will es wissen. Die Zwischenschnitte in die Runde verraten, dass die Teilnehmer von Jörges bis Wedel daran nicht interessiert sind. Ein Wunder, dass keiner in Sekundenschlaf fällt. Aller Vorsatz ist es, simple Thesen, Ha-Ha-Fußnoten und umso festere Überzeugungen unters Fernsehvolk zu bringen. Es wird dieser Talkshow Absicht nicht gewesen sein, doch diese Ausgabe hat nachdrücklich unterstrichen, was das Format bei falscher Besetzung sein kann: Laute Rechthaberei, Tölpel-Theater, Rederei, die ein Thema auf jeden Fall emotionalisieren und niemals versachlichen will.

Es gibt im deutschen Fernsehen ganz selten Gelegenheit, dass Fragen der (akademischen) Wissenschaft auf ein breites Publikum treffen können. In der Gespensterrunde vom Sonntag ist diese Chance auf Jahre hinaus vertan worden. Und das bei einer Rekordquote von beinahe fünf Millionen Zuschauern. Mann, Frau, waren das ärgerliche 60 Minuten.

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