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„Tag der Wahrheit“: Schwer bewaffnet verbarrikadiert sich der frühere Mitarbeiter David Kollwein (Florian Lukas) im Akw und droht mit einer Kernschmelze. „Das gespaltene Dorf“: Anna (Katja Riemann) kämpft als Bürgermeisterin gegen ein geplantes Atommülllager in Saint-Lassou. Fotos: Arte

© Arte/David Koskas

Film-Tandem zur Atomkraft: Deutsch-französische Spaltung

"Tag der Wahrheit", "Das gespaltene Dorf" - zwei deutsch-französische Koproduktionen suchen sich bei Arte ein gemeinsames Thema – Atomkraft.

Kernkraft spaltet. In Befürworter und Gegner, in Furchtsame und Furchtlose. Deutschland bezieht noch 15 Prozent seines Stroms aus Atomenergie, Frankreich 75 Prozent. Neun Reaktoren arbeiten in Deutschland, 58 in Frankreich. Das ist eine immense Differenz, die das deutsch-französische Verhältnis nicht erkennbar belastet: Jedes Volk, so denken wahrscheinlich Deutsche wie Franzosen gleichermaßen, hat sein eigenes Anrecht auf einen gewaltigen Irrtum. Tatsächlich sind die Energiebranchen beider Länder eng miteinander verbandelt.

Die Idee, die sich aus dieser Spaltung gewinnen lässt, ist apart. Unter dem Dach des deutsch-französischen Kulturkanals Arte werden zwei Filme zu einem Thema, dem nämlichen, gedreht: „Tandem“ heißt die Losung, „Tag der Wahrheit“ ist die eine, „Das gespaltene Dorf“ die andere Lösung, bei Arte als Double-Feature am Donnerstag und am Freitag im Programm. Beides sind deutsch-französische Koproduktionen, wobei der deutsche Beitrag ein Thriller ist und der französische eine Komödie. Wahrscheinlich entsprechen diese Aufgabenteilung und Ausrichtung der jeweiligen Gemütslage: Deutsch sein heißt Atomkraft kriminell denken, französisch sein heißt, Kernkraft wenigstens als Option zu charmieren.

„Tag der Wahrheit“: David Kollwein (Florian Lukas) dringt in das Atomkraftwerk Haut-Rhin ein, das an der deutsch-französischen Grenze liegt. Schwer bewaffnet ist er, zu allem entschlossen verbarrikadiert er sich in der Kommandozentrale. Seine Tochter war nach einem atomaren Zwischenfall in der Anlage an Leukämie erkrankt und gestorben. Die Verantwortlichen hatten den Zwischenfall vertuscht. Bernard Feyermann, der Sicherheitsbeauftragte des Akw, und der französische Energieminister sollen die Öffentlichkeit aufklären - sonst löst Kollwein die Kernschmelze aus. Was er nicht weiß: Feyermann hat sich am selben Tag erschossen, er kann nichts gestehen. Kollwein hält an seinem Plan fest, also muss die deutsche Staatsanwältin Marie Hoffmann (Vicky Kriebs), die in der Causa des toten Feyermann ermittelt, selbst die Wahrheit ans Licht bringen. Kollweins Ultimatum läuft.

Johannes Betz hat das Drehbuch geschrieben, Anna Justice inszeniert. Es ist ein eindeutiger Genrefilm mit eingebautem Zeitzünder, da bleibt wenig Zeit für typisch Deutsches und typisch Französisches. Bei Benjamin Sadler, der den Kommissar Jean-Luc Laboetie spielt, ist das versucht worden. Wer diesen Schauspieler kennt, wird über seinen „Franzmann“ lächeln müssen. Schnurrbart, Designerbrille, enges Hemd, Drei-Tage-Bart, da ist einiges „Typisches“ versucht worden.

Der Film ist deutsch bis ins Mark

Der Film ist nur dadurch interessant, dass der Zuschauer seinen Ausgang nicht kennt. Was in den 90 Minuten bis zum furiosen Finale passiert, ist einer hinreichenden Spannungsdramaturgie geschuldet. Da die Produktion so aufgestellt ist, dass über die wesentlichen Protagonisten die Atomkraft als Teufelswerk und die Verantwortlichen als Mephistopheles nicht diskutiert, sondern unisono verurteilt werden, ist der Film deutsch bis in Mark und Knochen. Das geht bis zur heiligen Einfalt.

Unterm Strich: Der Thriller in „Tag der Wahrheit“ ist nicht schlecht, die Schauspieler von Lukas über Kriebs bis Sadler agieren ambitioniert, doch der ganz, ganz große Rest ist Prozess-Fernsehen: Wer immer noch für Kernkraft ist, der muss Böses tun. Frankreich, steh auf, Franzose, stürm Deine Akw-Bastille. Der „Tag der Wahrheit“ ist Arte-Fukushima.

Kommt Erlösung? Offeriert von der Komödie „Das gespaltene Dorf“? Es geht um ein atomares Endlager im Nirgendwo des südwestlichen Frankreichs. Dort will die „Agentur für die Entsorgung radioaktiver Abfälle“ ein atomares Endlager. Saint-Lassou, das Dorf am Ende der Welt, könnte den Aufschwung dringend gebrauchen. Der Ingenieur Antoine Degas (Laurent Stocker) also braust in die Provinz und trifft dort auf die Bürgermeisterin Anna (Katja Riemann), resolute Umweltschützerin und Atomkraftgegnerin. Deutsche war sie auch, die Staatsbürgerschaft hat sie aufgegeben, um als Madame la Maire aus Saint-Lassou ein ökologisches, autonomes Dorf zu machen.

Das Drehbuch stammt von Eric Eider, Ivan Piettre und Gabriel Le Bomin, der auch Regie führt. Der Film hat auf seiner Habenseite: Distanz zu allfälligen Klischees von eisenharter Teutonin und Luftikus Franzmann, eine Menge Dorftypen, die für Skurrilität stehen, Witzspritzer, dass nur auf dem Friedhof mit dem Handy telefoniert werden kann, da die Bürgermeisterin die bösen Strahlen vom Dorf fernhalten wollte. Antoine Degas also hat Charme, Geld, mehr und mehr Bewohner kann er auf seine Seite ziehen. Das geht leichtfüßig vonstatten, Stocker wie auch Riemann erdrücken die Komödie nicht zum Thesen- und Thekenscherz, im Gegenteil, ihr Spiel wie auch die Inszenierung von Gabriel Le Bomin bringen das megatonnenschwere Thema zum Tanzen. Dann bricht die Komödie wie in sich zusammen. Haben die Autoren vergessen, dass auch dieser Film einen Schluss braucht? Szene um Szene wird drangeklebt, Wendung um Wendung gleich mit. Von einer Komödie muss nicht große Wirkung und Glaubwürdigkeit ausgehen, zugleich aber auch nicht die Hokuspokus-Nummer abgezogen werden.

Unterm Strich: „Tag der Wahrheit“ ist unter der Perspektive der Atomkraft-Thematik eine Enttäuschung, „Das gespaltene Dorf“ enttäuscht das Thema. Ein Tandem hält auf die Wand zu.

„Tag der Wahrheit“, Arte, Donnerstag, 20 Uhr 15; ARD, 14. Januar, 20 Uhr 15; „Das gespaltene Dorf“, Arte, Freitag, 20 Uhr 15; ARD, 21. Januar, 20 Uhr 15

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