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Film über Kindesmissbrauch: Lauter Lebenslügen

„Polizeiruf 110“: Ein Mädchen verschwindet, ein Täter bietet sich an. Doch liegt die Kommissarin richtig?

Schon wieder ein Film über Kindesmissbrauch, nach dem „Tatort“ vom vergangenen Sonntag. Wäre da nicht der wackere Polizist Krause mit seinem blütenweißen Motorradhelm, könnte man allmählich die Hoffnung auf die Kraft des Guten im deutschen Krimi-Wesen verlieren. Der Schauspieler Horst Krause scheint mit seiner gleichnamigen Serienrolle längst eins geworden zu sein. Wenn er auf seinem altmodischen Motorrad über die brandenburgischen Alleen braust, die Spürhündin Vera im Beiwagen, dann bekommt die heranrollende Staatsgewalt etwas ungemein Sympathisches.

Eine mächtige östliche Sonne geht auf und vertreibt die manisch-depressiven Nebelschwaden, in denen etwa der Münchner „Polizeiruf 110“ mehr und mehr versinkt. Schade nur, dass der andere liebenswerte Phlegmatiker, der grüblerische Kommissar Keller aus Bad Homburg, unlängst seinen Dienst quittieren musste.

Der jüngste „Polizeiruf 110“ des Rundfunks Berlin-Brandenburg mit der patenten Kommissarin Johanna Herz (Imogen Kogge) stimmt das Loblied der Provinz eher verhalten an. Das Thema ist einfach zu ernst: Der Hund der zwölfjährigen Marie Pohl wird im Wald mit aufgeschnittener Kehle gefunden. Von ihr fehlt jede Spur. Acht Jahre zuvor wurde im selben Waldstück ein Mädchen vergewaltigt und ermordet, das mit seinen Zöpfen und dem Blümchenkleid Marie sehr ähnlich sah.

Nicht nur die völlig aufgelöste Mutter (stets die glaubwürdige Frau von nebenan: Gabriela Maria Schmeide), sondern ebenso die Kommissarin verdächtigen sofort den Täter von damals, der kurz vor seiner Entlassung aus einer psychiatrischen Klinik steht. Bei seinen Freigängen war er mehrfach telefonisch nicht erreichbar, auch zur Tatzeit.

Der Pädophile Jens Schrader wirkt selbst wie ein bleiches, tumbes Riesenbaby, fremdbestimmt von Menschen mit ausgeprägtem Helfersyndrom. Da er einen Hormonblocker einnimmt, dessen Dosierung ihn laut Auskunft des behandelnden Arztes auf „Kastrationsniveau“ herunterdimmt, kann eigentlich nichts passieren. Das Wichtigste sei für Jens Schrader, „Empathie zu lernen“, versichert der Schulmediziner, was in diesem Fall offenbar geglückt ist.

Zum Erstaunen der Kommissarin hat sich Schrader sogar mit der attraktiven und dynamischen Heilpraktikerin Martha (Naomi Krauss) verlobt. Sie hatte ihm in die forensische Anstalt geschrieben und scheint auch seinen Start in ein neues Leben bis ins letzte Detail geplant zu haben. Der erschöpften Kommissarin, die durch die Dringlichkeit des Falls die Geburt ihrer Enkelin verpasst, bietet sie prompt die passenden Phosphorus-Globuli an.

Durch die permanente Übermüdung hypersensibel geworden, versteift sich Kommissarin Johanna Herz immer stärker auf den Verdacht gegen Jens Schrader (überzeugend: Stephan Grossmann). Dabei gerät sie mehrfach in Konflikt mit ihrer Assistentin Katrin Schubert (Anja Franke), die sich als Undercover-Pflegerin in die Anstalt einschleusen lässt. Dort entdeckt sie unter anderem, dass Maries Stiefvater als Pfleger mit Zugang zum Medikamentenschrank einträgliche Nebengeschäfte betreibt. Für die Zeit, in der die Tat begangen wurde, hat auch er kein Alibi. Außerdem verstrickt sich Maries leiblicher Vater, dem Krause in gemütlicher Beharrlichkeit auf den Zahn fühlt, ebenfalls in Widersprüche.

Die Regisseurin Christiane Balthasar hat „Geliebter Mörder“ (Buch: Daniela Mohr) als strenges Drama in vier Tagen mit gelegentlichen Landfluchten inszeniert.

Während die eigentliche Handlung Dichte und leider auch Glaubwürdigkeit vermissen lässt, ist hingegen eindrucksvoll mitzuerleben, wie gleich mehrere weibliche Lebenslügen erodieren und zusammenbrechen. Die Fassade der heilen Familie oder Partnerschaft muss unter allen Umständen gewahrt bleiben. Alles nehmen Frauen wie die in mehrfacher Hinsicht verzweifelte Brigitte Pohl auf sich, um nicht verlassen zu werden. Nur einer macht es richtig: Polizeihauptmeister Krause ist Junggeselle, und er bleibt Junggeselle.

„Polizeiruf 110: Geliebter Mörder“, ARD, 20 Uhr 15

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