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Zum Firmenjubiläum beschwört der Bertelsmann-Konzern die großen Ziele von verantwortlichem Handeln und ethischen Standards. Vom Bildungsauftrag der Medien hat sich die TV-Sparte um RTL mit „Dschungelcamp“ und „DSDS“ längst verabschiedet. Liz Mohn und die Eigentümerfamilie halten sich aus diesem Tagesgeschäft heraus. Fotos dpa, pa/dpa, ddp (2)

© picture-alliance/ dpa

Firmenjubiläum: Gute Seiten, schlechte Zeiten

175 Jahre Bertelsmann: Was als christlicher Verlag begann, ist heute ein gewinnorientierter Konzern aus Buch, Druck, TV und Internet

Preisfrage: Was haben die „Super- Nanny“, der „Stern“, ein 26-bändiges Standardlexikon und die einst von Heinrich Mohn verlegte Zeitschrift „Der christliche Erzähler“ gemeinsam? Sie alle finden sich wieder in der 175-jährigen Geschichte von Bertelsmann. Der global agierende Medienkonzern lässt es am Freitag, dem WM-freien 9. Juli, mit einem großen Geburtstagsfest und 10 000 Gästen im Park von Schloss Rheda unweit vom Stammsitz in Gütersloh so richtig krachen. Gefeiert wird mit RTL-Moderatorin Nazan Eckes und Schmusesänger Sasha, der mit „If You Believe” bekannt wurde. Vom Glauben an bessere Zeiten versteht man bei Bertelsmann viel. „175 Jahre Bertelsmann – eine Zukunftsgeschichte“ heißt es im Programm zum Firmengeburtstag, der eigentlich am 1. Juli ansteht, denn am 1. Juli 1835 gründete der Drucker Carl Bertelsmann den C. Bertelsmann Verlag.

Bertelsmann – eine Zukunftsgeschichte? Kritiker wie der ehemalige RTL-Chef Helmut Thoma sehen durchaus weitere schwere Zeiten auf den Medienkonzern mit seinen diversen Sparten und Beteiligungen zukommen. „Gruner + Jahr hat im vergangenen Jahr erstmalig einen Verlust produziert.“ Es gebe Gerüchte im Markt, dass der Zeitschriftenverlag zum Verkauf stünde, was aber immer heftigst von Bertelsmann bestritten wird. Und Arvato, der Dienstleistungs- und Druckbereich, bringe sehr ordentliche Erträge, sei aber den konjunkturellen Einflüssen stark ausgesetzt und weise ein beschränktes Entwicklungspotenzial auf.

Das zurückliegende Jahr 2009 war für Bertelsmann in zweifacher Hinsicht ein Jahr der Umbrüche. Im Oktober verstarb Firmenpatriarch Reinhard Mohn im Alter von 88 Jahren. Bereits zuvor hatte sich Bertelsmann das größte Restrukturierungsprogramm der Firmengeschichte verordnet. 2500 Einzelmaßnahmen, über 4000 Mitarbeiter weniger auf der Gehaltsliste, rund eine Milliarde Euro eingespart. Nun, im Jahr 2010, sieht sich Konzernchef Hartmut Ostrowski wieder fit für die Zukunft und kann sich erneut Zukäufe vorstellen, wenn auch nicht zu jedem Preis.

Der Bertelsmann-Konzern mit seinen weiterhin über 100 000 Mitarbeitern ist breiter aufgestellt als jeder andere Medienkonzern. In der Nachkriegszeit war der nun zur Direct Group gehörende Buchclub die Keimzelle des späteren Medienimperiums. Inzwischen ist die RTL- Senderfamilie die wichtigste Ertragssäule noch vor Arvato mit ihren rund 60 000 Beschäftigten. Hinzu kommen: der Zeitschriftenbereich von Gruner + Jahr und das Buchgeschäft von Random House. Zusammen wurde selbst im Krisenjahr 2009 ein Gewinn erwirtschaftet. Auch zulasten der Qualität, wie Kritiker bemängeln.

Zu inhaltlichen Fragen hat sich bereits Reinhard Mohn eher allgemein geäußert. Anders als bei den wirtschaftlichen Zahlen wurden die Unternehmensziele immer wunderbar weich formuliert, wenn es um verantwortliches Handeln, den Erziehungsauftrag der Medien und das über allem stehende Qualitätsziel geht, sagt der Medienwissenschaftler Thomas Lehning („Das Medienhaus. Geschichte und Gegenwart des Bertelsmann-Konzerns“, Wilhelm Fink Verlag, 2004), der an der Hochschule der Medien in Stuttgart lehrt.

Dabei bedauert Lehning nicht zuletzt, dass es die Öffentlichkeit mehr oder minder klaglos hinnimmt, wie hier ein Kulturgut verkommt. Mit Formaten wie „Big Brother“, dem „Dschungelcamp“ oder „Deutschland sucht den Superstar“ habe RTL großen Anteil daran, dass es zu diesem Qualitätsverlust gekommen ist. Auch n-tv könne kaum noch als Nachrichtensender bezeichnet werden. „Die RTL-Senderfamilie ist zwar erfolgreicher als Pro Sieben Sat 1, ansonsten gibt es jedoch keine qualitativen Unterschiede zu dem von Finanzinvestoren geführten Konkurrenten“, sagt Lehning. Aber: „Aus betriebswirtschaftlicher Sicht muss man anerkennen, dass Bertelsmann in der globalisierten Welt mithalten kann und dabei nicht den Vergleich mit Konzernen wie Time Warner zu scheuen braucht.“

Die jetzige Konzernführung unter Hartmut Ostrowski befindet sich mit dieser Doppelstrategie in bester Tradition. Auch der „linke“ Reinhard Mohn war zuallererst ein genialer Kaufmann, erst dann Verleger. „Damit“, würdigt Helmut Thoma, „hat er das kaufmännische Denken in die Medienbranche gebracht.“ Bertelsmann hat das Jahr 2009 gut überstanden, ist quasi im Schweinsgalopp durch die Krise gegangen. Dabei hat nach Einschätzung von Lehning nicht zuletzt der milliardenschwere Aktienrückkauf und die dadurch bereinigte Aktionärsstruktur geholfen. Jetzt, im Jahr 2010, kann wieder im Bereich Fernsehen oder der neuen Medien auf Akquisitionskurs gegangen werden. „Wenn in Europa ein Fernsehsender auf den Markt kommt, dann schauen wir uns das natürlich an. Wenn ein großer Buchverlag auf den Markt kommt, ebenfalls“, sagte Ostrowski erst vor einem Monat der „Wirtschaftswoche“. Bertelsmann- Finanzvorstand Thomas Rabe machte unlängst deutlich, dass die Musiksparte um BMG Rights durchaus daran interessiert sein könnte, den angeschlagenen britischen Musikkonzern EMI zu erwerben.

Jenseits der Tagespolitik werden die grundsätzlichen Entscheidungen auch nach dem Tod von Reinhard Mohn weiterhin von der Familie getroffen. Bis zum Alter von 75 Jahren will Liz Mohn Vorsitzende der Bertelsmann-Verwaltungsgesellschaft und Sprecherin der Familie bleiben. Die endgültige Entscheidung über ihre Nachfolge muss also erst 2016 fallen. Vieles deutet zumindest derzeit darauf hin, dass Tochter Brigitte an ihre Stelle treten wird, nachdem Christoph Mohn seinen Platz in der Verwaltungsgesellschaft räumen musste. Dennoch sollen seine Chancen nach Lehnings Einschätzung wieder gestiegen sein. Noch ist nichts entschieden.

Der Kommunikationsdienstleister Arvato, die Direct Group, der Zeitschriftenverlag Gruner + Jahr, die Verlagsgruppe Random House – die spektakulärste und sichtbarste Beteiligung von Bertelsmann ist und bleibt aber wohl das Fernsehgeschäft, mithin die Senderfamilie um RTL. Helmut Thoma war von 1984 bis 1998 Chef des Privatsenders. Thoma hat Bertelsmann anfangs als finanzstarken Partner ins Boot geholt. Eigentlich ist das eine Erfolgsgeschichte, die es in 175 Jahren Bertelsmann besonders zu feiern gilt. Der einzige Bereich, so Thoma, der hohe und steigende Erträge produziert, ist die RTL-Gruppe. Der Kölner Sender ist mit Formaten wie „Dschungelcamp“, „Super- Nanny“, der Daily Soap „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ oder „Deutschland sucht den Superstar“ seit Jahren Marktführer bei der werbeträchtigen Zielgruppe der 14- bis 49-jährigen Zuschauer – und damit, wissen Branchenkenner, die wahre Cashcow des Konzerns. So richtig warm geworden ist Bertelsmann mit RTL aber dennoch nie.

„Das Schwierige ist, dass Bertelsmann an dem Fernsehgeschäft nicht wirklich interessiert ist“, sagt der Ex-RTL–Boss. Man sehe es offenbar als Cashcow, die durch immer wieder größere Sparvolumen auch zu höheren Erträgen getrieben wird. Bertelsmann habe sich für den Ankauf von RTL verschuldet und sei daher auf die Erlöse dringendst angewiesen. Dabei müsse man feststellen, dass die RTL- Gruppe ihre Erlöse hauptsächlich von den deutschen Sendern und mit erheblichem Abstand von den französischen Aktivitäten bezieht. „Die anderen Aktivitäten wie zum Beispiel Senderankäufe in Griechenland, Kroatien oder Russland haben bis jetzt nur viel Geld gekostet“, sagt der Medienmanager. Auch der englische Fernsehsender Kanal 5 produziere hohe Verluste.

Diese Abhängigkeit vom deutschem RTL-Programm berge erhebliche Risiken. „Das Betreiben des Hauptsenders mit Programmelementen, die in wesentlichen Teilen über zehn bis 15 Jahre alt sind, geht nur so lange gut, wie die Konkurrenz durch Pro 7 und Sat 1 noch viel schwächer ist“, sagt Thoma. Sollten die Private-Equity-Häuser die Sendergruppe Pro Sieben Sat 1 an eine erfahrene Mediengruppe veräußern, dann werde es für RTL und seine Besitzer wesentlich schwieriger werden.

175 Jahren Bertelsmann – eine Zukunftsgeschichte? Andere beschäftigen sich noch mit der Vergangenheit, so wie Thomas Schuler. Der Journalist hat in der „Frankfurter Rundschau“ das Gründungsjahr von Bertelsmann auf 1824 datiert hatte, als Carl Bertelsmann eine Steindruckerei betrieb, allerdings ohne urkundliche Erwähnung. Für Bertelsmann-Konzernsprecher Andreas Grafemeyer eine absurde Diskussion. Bertelsmann freue sich, in diesem Jahr den 175. Geburtstag zu feiern. Die Gründerfamilie selbst habe 1835 als eigentlichen Ursprung des Unternehmens angesehen. So sei 1885 das 50-jährige Jubiläum, 1935 das 100. und im Jahr 1985 der 150. Jahrestag gefeiert worden. Es gebe keinen Grund, 2010 und in Zukunft davon abzuweichen. „2035 wird Bertelsmann das 200-jährige Jubiläum feiern“, ist er sicher.

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