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© ddp

Forschen: Affentheater

Der Wissenschaftsjournalismus gerät immer mehr unter den Einfluss von gut gemachter PR

Eine Sensation will gut vorbereitet sein. Das wusste auch Jörn Hurum, als er am 19. Mai dieses Jahres im New Yorker Naturhistorischen Museum vor die Presse trat, um das Affenfossil „Ida“ zu präsentieren. Ein Buch war bereits geschrieben, eine Fernsehsendung produziert, eine Website eingerichtet. Die Internet-Suchmaschine Google integrierte „Ida“ einen Tag lang in ihr Logo. Die Forscher sprachen von einem „achten Weltwunder“, in seiner Bedeutung vergleichbar mit der Mondlandung. Das etwa 47 Millionen Jahre alte Fossil wurde der Öffentlichkeit als „Missing Link“ verkauft, das fehlende Bindeglied zwischen Affe und Mensch. Dabei lebte der letzte gemeinsame Vorfahr von Schimpansen und Menschen wohl eher vor etwa sieben Millionen Jahren und Darwinius masillae, wie „Ida“ offiziell heißt, ist nur ein entfernter Verwandter. „Hurum hat die Bedeutung von ,Ida‘ bis an die Grenzen des Absurden aufgeblasen“, sagte später Michael Lemonick, Wissenschaftsjournalist beim „Time Magazine“ in New York.

Was erschwerend hinzu kam: Zu dem Fossil aus der Grube Messel bei Darmstadt gab es zwar eine wissenschaftliche Publikation. Diese war aber nicht, wie sonst üblich, einige Tage vorher für Journalisten zugänglich, sondern wurde gleichzeitig mit „Ida“ präsentiert. Die Journalisten hatten keine Möglichkeit, sich bei anderen Wissenschaftlern vorher über die Bedeutung von „Ida“ zu informieren oder die wissenschaftlichen Fakten zu verdauen – Wissenschaft inszeniert als Werbeveranstaltung.

Die Episode illustriert ein grundsätzliches Problem: Manche Forscher haben entdeckt, wie viel Aufmerksamkeit sie mit den richtigen Mitteln wecken können. Die Vermittlung wissenschaftlicher Erkenntnisse wird von der Forschungsseite immer professioneller aufgezogen. In Deutschland haben in den vergangenen Jahren viele Institute und Universitäten in ihre Presseabteilungen investiert. Pressemitteilungen sind meist gut lesbare Texte, die erklären und einordnen, fertig mit knackigen Zitaten und Fotos.

Während auf der Seite der Institute aufgestockt wird, wird in den meisten Redaktionen abgebaut. So war im Mai überraschend verkündet worden, dass das Magazin „SZ Wissen“ eingestellt wird. Die Wissenschaftsseite der „Berliner Zeitung“ soll in Zukunft von der „Frankfurter Rundschau“ beliefert werden. In den USA hatte CNN bereits 2008 seine Wissenschaftsabteilung aufgelöst, der „Boston Globe“ stellte nach einem Vierteljahrhundert seine montags erscheinenden Wissenschafts- und Gesundheitsseiten ein. „Wenn es bei Verlagen an Einsparungen geht, dann ist das Wissenschaftsressort, weil es noch nicht so etabliert ist, sicher eines der stärker gefährdeten Ressorts“, sagt Markus Lehmkuhl vom Institut für Publizistik der FU Berlin. Dabei sei Expertise in diesem Bereich für die Zeitung der Zukunft besonders wichtig.

Bei den Pressestellen von wissenschaftlichen Instituten würden viele Leute gesucht, während es in Zeitungsredaktionen kaum Angebote gebe, sagt auch Alexander Mäder, Vorsitzender des Berufsverbandes der Wissenschaftsjournalisten Wissenschaftspressekonferenz (WPK). „Da droht ein Ungleichgewicht.“ Die Gefahr: Seriöser Wissenschaftsjournalismus könnte immer mehr durch gut gemachte PR beeinflusst werden. Wie über Forschung berichtet wird, würde dann davon abhängen, wie gut die Werbung der Wissenschaftler war. Bei einer Diskussion zum Thema „Wie viel Werbung verträgt die Wissenschaft?“ am Freitag in Bonn wies Mäder auf eine Nachricht aus dem Jahr 2006 hin. Damals verkündete das Magazin „Nature“ in einer Pressemitteilung, ein Forscher habe gezeigt, wie man embryonale Stammzellen erzeugt, ohne die Embryos dabei zu vernichten. Hinterher stellte sich heraus, dass alle Embryos bei den Versuchen zerstört wurden. Aber die meisten Zeitungen druckten zunächst, was sie in der Pressemitteilung gelesen hatten. Hier hätten die Journalisten ihre Arbeit nicht richtig gemacht, kritisierte Mäder.

Im Fall von „Ida“ allerdings sind die Wissenschaftler übers Ziel hinausgeschossen. Viele Journalisten kritisierten am Ende vor allem die „Wissenschaftsshow“, anstatt „Ida“ zu huldigen. „Da hat der Wissenschaftsjournalismus richtig reagiert und Ergebnisse nach eigenen Kriterien interpretiert“, sagt Mäder. Es bleibt wenig mehr als ein Etappensieg.

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