zum Hauptinhalt

Medien: „Frau Bundeskanzlerin“

Die Wut des Kanzlers in der „Berliner Runde“: eine Ursachenforschung

Vor der Sendung ist während der Sendung. Der staunenswerte Auftritt von Bundeskanzler Gerhard Schröder in der „Berliner Runde“ am Sonntagabend hat vielleicht mehrere Vorgeschichten. Eine ist bekannt: Schröder war durch das SPD-Ergebnis und den nichtendenwollenden Jubel im Willy-Brandt-Haus euphorisiert, aufgeputscht. In solcher Stimmung, „Ich bin Kanzler, und ich bleibe Kanzler“, kam Schröder zur „Elefantenrunde“, ausgestrahlt von ARD und ZDF, ausgetragen im ZDF-Hauptstadtstudio Unter den Linden. Das war ungefähr um 19 Uhr 45. Nicht sicher ist, ob Schröder rund eine Stunde vorher die Wahlberichterstattung im ZDF gesehen hatte. Möglicherweise, möglicherweise hat ihm auch seine Entourage vom Interview erzählt, das Peter Hahne, der stellvertretende Leiter des ZDF-Hauptstadtstudios, mit der Unionsherausforderin Angela Merkel geführt hatte. Hahne, der der Union nicht ferne steht, begrüßte die „erste deutsche Bundeskanzlerin“. Wer das weitere Gespräch verfolgte, konnte schon auf den Gedanken verfallen, Hahne habe in seine Anrede einigen Zweifel gelegt. Aber: Gesagt ist gesagt, gehört ist gehört. Dass jemand anderes als Schröder den Bundeskanzler geben könnte, war (und ist) für Schröder undenkbar. Er hat es am Wahlabend ja unmissverständlich und wiederholt erklärt.

Der Kanzler also betrat in Begleitung von Regierungssprecher Béla Anda das Hauptstadtstudio; er kam etwas früher als angekündigt und wurde von Zaungästen im Zollernhof mit Applaus empfangen; vom gastgebenden ZDF war bis auf zwei Redakteure niemand da, um den Regierungschef zu begrüßen. Die beiden Moderatoren der „Berliner Runde“, ARD-Chefredakteur Hartmann von der Tann und sein ZDF-Kollege Nikolaus Brender, gehörten nicht zum Empfangskomitee. Schröder ging dann gleich in die Maske. Als Lothar Bisky von der Linkspartei eintraf, wurde er im Eingangsbereich offiziell begrüßt.

Aus der Maske stieg Schröder in den ersten Stock, quasi die Beletage des ZDF-Baus. Es begrüßten ihn dort von der Tann, dann Brender, dann ZDF-Intendant Markus Schächter, dessen Flugzeug nach Berlin Verspätung gehabt hatte. Teilnehmer berichten von „luftigen Handschlägen“, was auch so übersetzt werden darf: Nicht alle haben sich die Hand gedrückt. Es wurde ein wenig gescherzt und wenig gesprochen, gemeinsam von 20 Uhr an die ARD-„Tagesschau“ verfolgt mit der neuesten Hochrechnung. Deren Zahlen ließen Schröder wieder heißlaufen. Dann, es war 20 Uhr 10, gingen alle die Treppe hinunter und hinein in die „Elefantenrunde“-Manege. Der Rest ab 20 Uhr 15 ist bekannt.

Die einen sagen jetzt, der Bundeskanzler sei im Umfeld der Sendung mit dem nötigen Respekt behandelt worden, Stillosigkeiten hätte es nicht gegeben. Andere wieder betonen, Schröder, sowieso aufs Medien-Bashing aus, hätte den Eindruck gewinnen können, ARD und ZDF, und nicht nur die, hätten den Kanzler vor der Zeit abgeschrieben.

Die Wahrheit wird zwischen den Polen liegen. Schröders Verhalten während der „Berliner Runde“ illustriert sich gegenseitig hochschaukelnde Motive. Der Kanzler outete sich selbst als den Gewinner der Wahl; ein Sieg, der, so jedenfalls seine Sicht, gegen das Runterschreiben und Runtersenden der Sozialdemokraten und ihres Kanzlers durch die Medien erkämpft werden musste. Nach 18 Uhr, während der „Berliner Runde“ und nach der Sendung war für Schröder die Stunde der Aufrechnung gekommen. Neben den politischen Gegnern hatte er einen neuen Feind ausgemacht: die Medien. „Wir haben Wahlkampf geführt gegen vermachtete Medien, wie es das in Deutschland noch nie gegeben hat“, rief er seinen Anhängern in der Wahlnacht zu. Da sei etwas geplatzt, was „sich in den Wochen vorher aufgestaut hatte“, sagte der Publizist Manfred Bissinger im Interview mit dem Medienmagazin „V.i.S.d.P.“:

Schröders Furor erwischte die öffentlich-rechtlichen Moderatoren keineswegs allein. Im „Wahlsonderheft ’05“ des „Spiegel“ wird von einer weiteren Begegnung der medialen Art berichtet: Als Schröder im Willy-Brandt-Haus „den Raum im vierten Stock kurz vor 22 Uhr verließ, sah er den ,Spiegel’-Reporter Matthias Geyer an der Wand lehnen. Der Kanzler durchbrach den Ring der Sicherheitsbeamten, steuerte auf Geyer zu und nahm ihn am Arm: ,Gerade Ihnen muss ich jetzt mal sagen, Ihre Zunft muss aufpassen.’“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false