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Verstrickt. Frauen werden im Netz häufiger persönlich angegriffen als Männer - manche lassen sich abschrecken. Viele nicht, wie diese Frauen bei der einer Internet-Konferenz in München im Juli 2012.

© p-a

Frauen im Netz: Geht da raus!

In der Wikipedia, auf Twitter, in Politblogs: In vielen Ecken des Web 2.0 sind Frauen wenig vertreten oder weniger sichtbar. Ein Grund dafür sind sexistische Anfeindungen. Ein Appell an die Netzmänner – und die Frauen.

Die größte Enzyklopädie der Welt, Wikipedia, wird zu etwa 85 Prozent von Männern geschrieben. Männliches Weltwissen, digital verpackt. Das könnte uns egal sein, aber für eine Referenzbibliothek ist es nicht egal, ob das Wissen der Frauen, einer Hälfte der Menschheit, Eingang darin findet oder nicht. Wer damit kein Problem hat, verweist auf den Post-Gender-Charakter von Informationen, das Geschlecht der Autoren soll egal sein. Als Vision ist das schön, aber für die Realität taugt das Konzept nicht. Es ignoriert die starken geschlechterspezifischen Prägungen unserer Gesellschaft durch Bildung, Vorbilder, Werbung oder Medienkonsum.

Es sind fast immer Männer, die bei neuen Wikipediaeinträgen über Frauen einen Löschantrag wegen Irrelevanz stellen. Frauen, wichtig genug für einen Eintrag? Nö. Besonders deutlich wird das beim Thema weibliche Genitalverstümmelung. Die Diskussionsseite dazu ist endlos, Maskulinisten wollten die Seite verharmlosend umbenennen, griffen Autorinnen persönlich und öffentlich an, ignorierten die vorgelegten Quellen. Mindestens eine Autorin warf deshalb nach Jahren des ehrenamtlichen Engagements das Handtuch, weil sie das mehr aushalten konnte. Selbst bei weniger kontroversen Themen gibt es häufig einen Kampf um das Einfügen, Löschen, Wiedereinfügen von Textbausteinen – wer am penetrantesten ist und am meisten Zeit hat, setzt sich durch. Frauen ist ihre Zeit dafür oft zu schade. Solche Geschichten führen dazu, dass sie weniger Lust verspüren, sich einzubringen. Oder sie eher wieder verlieren.

Es reicht daher nicht aus, Frauen zu mehr Beiträgen in Wikipedia oder politischen Blogs aufzurufen. Die Debattenkultur muss zivilisierter werden, respektvoller, Frauen müssen sich erwünscht fühlen. Nur an Zeitmangel oder fehlender Affinität zum Internet liegt ihre geringere Beteiligung in manchen Gegenden des Web 2.0 zumindest nicht. Die Mehrheit der Nutzer sozialer Netze sind Frauen: bei Twitter sind es 64 Prozent, bei Facebook 58. Beim Online-Gaming haben Frauen die Männer sogar abgehängt. Selbst die deutschsprachigen Blogs werden mehrheitlich von Frauen geschrieben. Auch wenn das immer wieder mal zu lesen ist: Das Internet ist nicht männlich. Auch nicht das Social Web.

Richtig ist jedoch, dass das Internet ein Spiegel der Gesellschaft ist und sich daher bestimmte Muster dort wiederfinden. Bei gleicher Kompetenz erscheinen Frauen auch in der digitalen Welt weniger sichtbar, ihre Themen hält man für nicht so wichtig. Sie machen weniger Selbst-PR, investieren kaum Energie in Pflege und Ausbau beruflicher Kontakte, dafür umso mehr in Kommunikation innerhalb des eigenen Freundeskreises. Sie sind seltener Urheber verbaler Entgleisungen, aber häufiger Zielscheibe von Aggressionen, sexuell konnotierten Beleidigungen, Stalking und persönlichen Angriffen, die sich auch gern auf ihr Äußeres beziehen.

Übersetzt auf die Welt der sozialen Netze bedeutet das, dass Frauen zwar bei Facebook dominieren, aber in beruflichen Netzwerken wie Xing in der Minderheit sind. Weniger Selbstdarstellung, weniger gegenseitiges Verlinken, mehr sogenannte weiche Themen – schon ist Frau nicht mehr auf den Radarschirmen derer, die die digitale Welt bewerten. Aber wer legt die Wertigkeit von Themen fest? Sind Bildung und Gesundheit weniger wichtig als Innovationen in der IT? Dass man einen Mangel an Expertinnen zu Netzthemen vermutet, liegt auch daran, dass Medien und Konferenzveranstalter die vorhandenen Expertinnen übersehen. Podiumsdiskussionen zu generischen Themen rund um das Internet und die digitale Gesellschaft werden seltsamerweise immer wieder mit 100 Prozent Männern besetzt.

Noch häufiger als offline kommen aggressive und sexistische Angriffe gegen Frauen im Web 2.0 vor, so dass leider eine Website wie www.hatr.org Sinn macht, in der solche Kommentare ohne Adressatin veröffentlicht werden können. Dort wird der sexistische Verbalmüll der Lächerlichkeit preisgegeben. Über 90 Prozent der Zuschriften „unter der Gürtellinie“, die die „Zeit“ erhält, haben männliche Absender.

Welche Chancen das Web Frauen bietet - und wie sie sie bereits nutzen

Ein Kommunikationsstil, der minimale Standards an Respekt nicht einhält, schreckt viele Frauen ab. Ich habe selbst viele derartige Kommentare erhalten. Mal soll ich hässlich sein oder eine Natter, mal bin ich CIA-Agentin oder eine Frau, die so dumm ist, dass sie eine Frauenquote braucht, um in eine Führungsposition zu kommen. Mal habe ich den falschen Mann geheiratet oder bin Vertreterin des schlimmsten Kapitalismus. Man braucht schon eine Teflonschicht, sonst hört man auf, das zu tun, was einem wichtig ist und überlässt das Internet den Trollen.

Immerhin bietet das Netz Frauen heute auch bessere Möglichkeiten, sich gegen Sexismus zu wehren. Persönliche Angriffe in sozialen Medien sind keine gute Kommunikationskultur, aber gegen

Institutionen, die sexistisch, rassistisch oder korrupt agieren, ist ein Shitstorm ein geeignetes Mittel der bürgerlichen Gegenwehr. Die Lufthansa knickte vor solch einem Missfallenssturm vor ein paar Monaten ein, als sich Frauen und Männer gegen eine frauendiskriminierende Werbung zur Wehr setzten. Es dauerte nur wenige Stunden, bis erste Medien berichteten, im Laufe eines Tages erreichten sie das Ausland. Als Schlagzeilen wie „Sexismus bei der Lufthansa“ die Runde machten, haben PR-Verantwortliche die Kampagne gestoppt – innerhalb von zwölf Stunden nach meinem ersten Tweet zum Thema. Ohne Social Media wäre das nicht möglich gewesen.

Frauen können das soziale Web auch nutzen, um ein Sprachrohr für ihre Positionen zu finden. Julia Probst, auf Twitter bekannt als „@EinAugenschmaus“, fand mit Beiträgen viel Aufmerksamkeit für ihr Herzensthema, die Barrierefreiheit, insbesondere für Gehörlose in Deutschland. Selbst gehörlos, weiß sie, wie es ist, wenn das öffentlich-rechtliche Fernsehen kaum mit Untertiteln versehen ist oder es keinen Notruf per SMS gibt. Inzwischen hat sie einige ihrer Ziele erreicht, selbst der Sprecher von Angela Merkel führt Veränderungen auf Julia Probst zurück.

Auch Unternehmerinnen nutzen das interaktive Netz kreativ für ihre Arbeit. Die auf Twitter als „Safttante“ bekannte Unternehmerin Kirstin Walther zum Beispiel pflegt Beziehungen zu ihren Kunden, schreibt in ihrem „Saftblog“ und versteht es, persönliche Kontakte zu ihren Abnehmern aufzubauen – eines der Geheimnisse für unternehmerischen Erfolg.

Selbst das Gründen kann einfacher werden, in einer Welt, in der Gründerinnen sonst seltener Kredite bekommen als Gründer. Für ihr Start-up „Sugarshape“ haben sich zwei junge Frauen daher nicht an eine Bank, sondern an "Seedmatch" gewandt, eine Plattform, bei der kleine und große Investoren Projekte direkt finanzieren. Es dauerte nur vier Stunden, da hatten die beiden 100 000 Euro eingesammelt – das Doppelte des Gewünschten.

Das Internet ist eine Welt, in der sich unsere Gesellschaft mit all ihren Schattenseiten widerspiegelt, von denen einige Frauen in ihrer Freiheit behindern. Ich wünsche mir, dass das aufhört, dass Männer und Frauen sich dagegen wehren, solange das so ist.

Das Internet ist aber ganz offensichtlich vor allem eine Welt voller Chancen, von denen ich mir wünsche, dass alle Frauen sie erkennen können und für sich nutzen. Nicht nur privat.

Anke Domscheit-Berg ist Mitglied der Piratenpartei. Sie engagiert sich als Netzaktivistin, tritt für Open Government ein und für mehr Frauen in Führungspositionen. Sie twittert unter @anked.

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