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Medien: Fremde in zwei Welten

Von Simone von Stosch So, wie sie hier auf dem Podium sitzt, könnte Hamida Usman in ihrer Heimat wohl nicht in der Öffentlichkeit auftreten: Das Kopftuch, der Schador, ist lose um die Schultern geworfen, die Haare unbedeckt, dezenter Lippenstift. Hamida Usman ist Journalistin und Fotografin, und sie ist die erste Frau überhaupt, die in Afghanistan diesen Beruf ausübt.

Von Simone von Stosch

So, wie sie hier auf dem Podium sitzt, könnte Hamida Usman in ihrer Heimat wohl nicht in der Öffentlichkeit auftreten: Das Kopftuch, der Schador, ist lose um die Schultern geworfen, die Haare unbedeckt, dezenter Lippenstift. Hamida Usman ist Journalistin und Fotografin, und sie ist die erste Frau überhaupt, die in Afghanistan diesen Beruf ausübt. Eine Frau mit Kamera, das ist auch nach dem Ende der Taliban-Herrschaft alles andere als selbstverständlich. Wenn Hamida Usman unterwegs ist, versteckt sie den Fotoapparat unter dem Schador. Außerhalb von Kabul trägt sie oft noch eine Burka. In den Provinzen ist es für Frauen nach wie vor gefährlich, sich frei zu bewegen.

Dennoch ist vieles in Bewegung. Nach dem Sturz der Taliban bekommen die Frauen in Afghanistan wieder ein Gesicht. Sie treten öffentlich in Erscheinung: in den Schulen, den Krankenhäusern und eben auch in den Medien. Und sie haben überraschend großes Selbstbewusstsein: „Wir sind die Mehrheit der Gesellschaft“, sagt Hamida Usman, „wir tragen deshalb die Hauptverantwortung beim Aufbau unseres Landes".

Die Entwicklung der Demokratie in Afghanistan ist nicht denkbar ohne unabhängige Medien, ohne Meinungsfreiheit. Um so erstaunlicher, dass in den internationalen Aufbauprogrammen die Medien bisher kaum eine Rolle spielten.

Zum ersten Mal ist in diesen Tagen eine Gruppe afghanischer Journalisten in Deutschland, unter ihnen Hamida Usman. Sie besuchen deutsche Fernsehsender und Zeitungen, treffen deutsche Kollegen. Auf einem zweitägigen Workshop, organisiert von der Bundesregierung und der Heinrich-Böll- Stiftung, diskutieren sie mit deutschen Medienleuten und Regierungsvertretern über Kooperationsmöglichkeiten und Aufbauhilfen für Zeitungen, Rundfunk und Fernsehen.

Für die Gäste aus Afghanistan steht technische und materielle Hilfe an oberster Stelle. Die Büros der Zeitungen, die es vor der Taliban-Zeit gab, sind zerstört oder geplündert. Telefone funktionieren nur innerhalb Kabuls – und auch da nicht immer. Es gibt zu wenig Papier, kaum Schreibmaschinen.

Beim staatlichen Fernsehsender ist das nicht anders. Es existieren nur acht völlig veraltete Kameras, kaum Kassetten. Drei bis fünf Stunden sendet TV-Afghanistan pro Tag. Da es kaum aktuelle Sendungen gibt, werden alte indische, pakistanische oder sowjetische Filme aus dem Archiv ausgestrahlt.

„Wir brauchen Eure Hilfe“, das ist wohl einer der häufigsten Sätze bei dem zweitägigen Treffen. Allerdings ist das nicht immer einfach. Zwischen dem, was deutsche Journalisten unter unabhängigen Medien verstehen und dem Selbstverständnis der afghanischen Kollegen liegen Welten.

„Wir arbeiten im Dienste der neuen Regierung“, sagen sie. Es gebe keinen Druck der Regierung, die Journalisten haben sich die Zensur selbst auferlegt: Es werde nichts berichtet, was gegen nationale Interessen und kulturelle Traditionen verstößt. So schreibt es das afghanische Pressegesetz vor. Es stammt aus der Zeit vor dem Taliban-Regime und wurde im März wieder in Kraft gesetzt.

Für die Hilfe aus dem Ausland hat das Konsequenzen. So stößt die Umsetzung des Kooperationsvertrages zwischen Deutsche Welle TV und dem afghanischen Fernsehen auf Probleme. Eine Synchronisation der Nachrichtensendungen, wie ursprünglich geplant, ist nicht möglich. Schon harmlose Einspieler über den Frühling in Deutschland, in denen Frauen im T-Shirt zu sehen sind, stoßen auf Widerstand. Die Ausstrahlung von Berichten über die „Love-Parade" oder die Homo-Ehe wären völlig undenkbar. So wird die Deutsche Welle in Kabul nun eine komplett neue Sendung produzieren – in Kooperation mit den afghanischen Kollegen. Und: zensiert durch das afghanische Fernsehen.

Wichtiger als die Übernahme ausländischer Produktionen ist die Hilfe beim Aufbau eigener Medien. Ein Beispiel: die Zeitung „Malalai“, das erste Frauenmagazin in Afghanistan. Gegründet hat es Hamida Usman mit drei anderen Journalistinnen. Drei Ausgaben sind schon erschienen: viele zusammengeheftete Seiten, meist handgeschrieben, verfasst in den Landessprachen Dari und Paschtu, einige Artikel sind zusätzlich ins Englische übersetzt, um auch Exilafghanen zu erreichen.

Unterstützt wird „Malalai“ von der unabhängigen Hilfsorganisation AINA mit Sitz in Paris; auch die Heinrich-Böll-Stiftung hilft. Schreibmaschinen wurden nach Kabul gebracht, und mittlerweile steht sogar ein Computer in dem kleinen Büro, allerdings weiß bislang keine der Redakteurinnen, wie er zu bedienen ist.

Die Frauenzeitschrift berichtet über Politik, gibt aber auch Tipps für Hygiene und Gesundheit und erteilt Lesehilfen in Form von Bildern mit kurzen Buchstabenfolgen.

Der Aufbau der Zeitung „Malalai“ ist ein Beispiel für eine gelungene Unterstützung durch den Westen, denn er lässt Freiräume, den eigenen Weg zu finden. „Der Weg zu einer offenen Gesellschaft ist noch lang“, sagt Hamida Usman, „es gibt unendlich viel zu tun".

Als unser Fotograf kommt, um Fotos von ihr zu machen, zieht Hamida Usman den Schador wieder fester um den Kopf. Sie hat Angst, dass die falschen Bilder nach Afghanistan gelangen.

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