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Medien: Frisch geweckt ist halb gewonnen

Kultur, Klamauk oder nur für Erwachsene: Eine Woche mit fünf Morning-Shows im Radio

Früh morgens, an jedem Werktag zwischen fünf und sechs Uhr, beginnt für Radiosender die Primetime: Dann machen die Morningshows gute Laune – und Quote: In den frühen Stunden wird ein großer Teil des Werbeumsatzes gemacht, bei privaten Sendern bis zu 70 Prozent des Gesamtumsatzes.

Ein Radiogesetz heißt: Wen du in der Früh nicht erreichst, den erreichst du am Tag nimmermehr. Und das gilt besonders in der Radiolandschaft Berlins. Mit mehr als 20 Sendern, die über UKWAntenne zu empfangen sind, ist Berlin einer der am härtesten umkämpften Radiomärkte Europas. Da heißt es auffallen und sich von der Konkurrenz unterscheiden. Erst recht, wenn der Durchschnittshörer morgens nur 22 Minuten Zeit hat fürs Radio.

So müssen Morgenmuffel an niemandem ihre schlechte Laune auslassen: Morningshows wollen den Hörer auf Trab bringen. Von der „sanften Dröhnung am Morgen“ bis zum Krachbumm-Spektakel lassen sich – ganz subjektiv – fünf verschiedene Arten heraushören, wie die Sender den Hörer vom Umschalten abhalten wollen.

SCHÖNGEIST. Kulturradio (UKW 92.4). Harfenklänge, Himmelsgeigen, die Muse verteilt wieder Küsse! „Kalt ist es heute, aber da helfen Pullover, warme Gedanken und gute Musik“, haucht die Moderatorin Britta Bürger mit übertrieben weicher Stimme in der „Kultur am Morgen“. „Geistig wach, aber entspannt“ soll das klingen, Musik von Salieri, Vivaldi und Schumann. Kunst und Kultur gibt es hier bei „hohem Anspruch“. Livereportagen von der MoMA-Schlange, Kritisches über Literatur. Dabei ist die Rede von „Sinnbildern“ und „Metaphern“, dem geistigen Höhenflug folgt leichte Klassik. Sehr schön und voller Geist, aber zu so früher Stunde etwas zu hoch gegriffen! Scheinbar steht auch das biedere Bildungsbürgertum schon früh auf.

MORGENMUFFEL. Radio 1 (UKW 95.8). „Schön, dass Sie schon wach sind, das gibt unserer frühen Existenz irgendwie Sinn“, nuschelt Radio-1-Morgenmann Steffen Hallaschka und spricht es aus: Morningshows sind für die Macher ein knallharter Job. Radio 1 möchte den Hörer unterhalten – und informieren. Dabei sind Hallaschka und sein Kollege Tom Böttcher – als Urlaubsvertretung für Rupp und Azone – sehr glaubwürdig, etwas mufflig und zynisch. Wie es der Morgenmuffel eben um Punkt fünf Uhr ist. Im „Schönen Morgen“ gibt es viel Information aus Politik, Fußball, Kino und Berlin, mal kritisch, mal recht unspektakulär, aber solide. Wie die Musik: die neueste und hippe Platte aus Berlin, danach alte Kamellen von Phil Collins. Mit Nachrichten, Wetter und Verkehr ist man in einer halben Stunde gut informiert und unterhalten. Eine gewisse Morgenlethargie bleibt, Radio 1 hat aber interessante Themen – präsentiert in einer Stimmung, die einen nicht überfordert .

SOFTIE. Radio Paradiso (UKW 98.2). Christliches Radio zu so unchristlicher Zeit. „One more night“ von Phil Collins, und die Nacht ist zu Ende. Der Moderator und Psychologe Thorsten Wittke meint zu wissen, was seine Hörer in der Früh brauchen: Übertrieben sanft gibt er einem Ansprache und haucht die „Musik zum Wohlfühlen und Entspannen“ ins Mikrofon – „ein klein bisschen Ruhe im Alltag“. Noch hat der Alltag aber nicht angefangen, und Erholung braucht morgens noch niemand. Der „genaueste Wetterbericht“ der Stadt, mit Vogelgezwitscher unterlegt, verspricht einen wundervollen Tag, genauso wie die „Gedanken zum Auftanken“. Was man an Information für den Tag möchte, erfährt man aber nicht. „Time to say goodbye“ säuselt es jetzt sanft aus dem Lautsprecher. Umdrehen, weiterschlafen. Auf Touren bringt das niemanden.

RADAUBRUDER. KissFM (UKW 98.9). „Kiss oder stirb“, und sei sofort auf 180 (Beats)! Derbste Berliner Schnauze, fette Beats, eine quengelige Mädchenstimme. Girlpower! „Knallwach“ heißt das „durchgeknallteste Programm der Stadt“ am Morgen. Boussa und Basty „haben die heftigsten Tracks am Start“ für ihre Homies in Berlin. Ein Tagebuch über Intimrasur wird gelesen, der Verkehr über ein hektisches Musikbett herausgequatscht, ein klein wenig Platz für Nachrichten bleibt, aber wen interessiert das, wenn Basty doch seine „sexy Moves bounct“, zu deutsch: tanzt? Anrufer, also „Bräute gegen Typen“, verlegen in der „Sexbattle“ den Kampf der Geschlechter in die Morgenstunden. Nervig. Laut Medienanalyse gefällt der Jugend, was so auffällig – oder ausfällig – daherkommt. KissFM hat seine Nische bei jungen manischen Menschen gefunden, aber auch Ecstasy kann auf Dauer schaden. „Durchgeknallt“ klingt KissFM, aber ein Kompliment ist das eigentlich nicht. Jetzt aber Schluss mit Labern, der nächste Track wummert schon aus den Boxen, „Rap mich am Arsch“!

SCHERZKEKS. 104,6 RTL (104.6). „Berlins lustigste Morgensendung“ also, liebe Morgenmuffel! Schmunzeln mit Augenringen, dabei immer derselbe monotone Rhythmus: ein Lied, die „neuesten Hits und die RTL Greatest Hits“, dann wieder Arno und seine Morningcrew. Und das macht Arno Müller schon seit 14 Jahren, der altgedienteste Morning-Man Deutschlands. Da kommt schon mal Routine auf. Die lokal ausgerichteten Nachrichten – mit den Strompreis-Nachzahlungen für Berliner und den Verkehrstoten in Brandenburg – dürfen nicht fehlen. Den besonderen Service liefert hier der Verkehrsbericht von „Commander Frank“ aus seiner Cessna. Schnell noch eine Comedy reingeschoben, haha, der Kanzler in der „Gerdshow“, dann Gag-Telefonate mit nichts ahnenden Menschen. Und Gewinnspiele: Der Jackpot steht bei fast 15000 Euro, „das wäre der schönste Tag in meinem Leben“, sagt die Hörerin am Telefon. Nur dieses eine „fehlende Wort“… Mist, wieder verloren, gleich der nächste Anrufer, und der nächste, jeden Tag wieder in ewig gleicher Wiederkehr. Etwas banal und zu oft gehört, aber praktisch: Der Hörer hat ja nur 22 Minuten Zeit, und wenn das Horoskop vorbei ist, fährt gleich der Bus. Als durchformatierter Zeitgeber nicht schlecht, aber der übrigen privaten Konkurrenz allzu ähnlich.

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