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Typischer Frauenberuf. Inge Sprinck als junge Krankenschwester

© HR

Früher Schleifpapier, heute Roboter: Sechs Leben Arbeit

Eine ARD-Dokumentation erzählt vom Wandel der Arbeit. Und davon, was sie für manchen bis heute ist: Lebensinhalt

Hermann Hille hat zur Erinnerung ein Foto geschossen. 4. Juli 1986, 12.30 Uhr, der letzte Abstich am Ofen 6 in der Völklinger Eisenhütte. Für andere Betrachter hält dieses Foto nichts Besonderes fest: Man sieht rot glühendes Eisen in einem Loch in der Ofen-Wand. Doch für Hille, zuletzt Hochofen-Chef, ist dies das Andenken an ein langes Arbeitsleben. Es zeige genau den Moment, sagt er, wenn der Ofen nach dem Abstich wieder geschlossen werde. „Und danach war das Feuer in Völklingen aus.“ Niemand habe das fotografiert, erklärt Hille stolz. „Das sind Aufnahmen, die es sonst nicht gibt.“

Der ehemalige Hüttenarbeiter Hille zählt zu den sechs älteren Zeitzeugen – vier Männer, zwei Frauen -, die im Mittelpunkt der Dokumentation „Arbeit war das halbe Leben“ stehen. Autorin Simone Jung erinnert damit während der ARD-Themenwoche „Zukunft der Arbeit“ an die Vergangenheit der Arbeit, was eine ziemlich gute Idee ist, weil Umbrüche in der Arbeitswelt ja nicht von heute auf morgen geschehen. Und so sieht man den pensionierten Wilhelm Veith auf einer Brücke in einer Produktionshalle von Opel Rüsselsheim stehen, während unter ihm große, gelbe Roboter ihre Arme in einem minutiös aufeinander abgestimmten Rhythmus hin und her schwenken. Als der gelernte Maler Veith 1960 eingestellt wurde, hat er bei Opel per Hand mit Schleifpapier die Nasen vom Lack entfernt, nun sieht er dem Tanz der Maschinen in einer menschenleeren Fabrikhalle zu. Neben ihm steht sein Neffe, der mittlerweile auch bei Opel angestellt ist und dort Arbeitsplätze und deren Auslastung optimiert.

Krankenschwester, ein typischer Frauenberuf

Jung erzählt jedoch nicht nur vom Wandel der Industriekultur, von Automatisierung und dem Bedeutungsverlust körperlicher Arbeit. Mit der hessischen Krankenschwester Inge Sprinck blickt sie auf einen typischen Frauen-Beruf. In den 1960er Jahren habe man nur verschämt über Arbeitszeiten oder Lohn gesprochen. „Mein Lohn ist, dass ich darf“, sei die Maxime gewesen, erinnert sich Sprinck. Mit der Geflügelzüchterin Ingrid Dopp, die für eine Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft (LPG) in Mecklenburg arbeitete, gibt es auch ein Beispiel aus der DDR – ein bisschen wenig, aber immerhin. Und der 1964 als 15-jähriger Bergmanns-Lehrling aus der Türkei ins Ruhrgebiet eingewanderte Halit Güner steht für die zahlreichen „Gastarbeiter“, mit denen im Westen der Arbeitskräfte-Mangel behoben werden sollte und die in Deutschland eine neue Heimat fanden.

Der Film bietet keine wirklich neuen Erkenntnisse, aber prägnante Beispiele. Außerdem klaffen hier Wort und Bild mal nicht himmelweit auseinander. Die Autorin montiert ihr vielfältiges Archivmaterial meist sorgfältig abgestimmt auf die Beiträge der Zeitzeugen und ihre eigenen, vergleichsweise zurückhaltenden Kommentare. Branchenübergreifend geht es um die Veränderungen in der Arbeitswelt, auch um die Verkürzung von Arbeitszeit und verbesserten Arbeitsschutz. Und vor allem um Arbeit als Lebensinhalt. Alle sechs Zeitzeugen erleben Krisen und Niedergang, werden entlassen oder vorzeitig in den Ruhestand geschickt. Wie Hans Krüger aus Bremerhaven, der im Juni 1953 als „Kochsjunge“ auf einem Fischerboot begonnen hatte und später Kapitän war auf einem dieser Schiffe, die längst zu „schwimmenden Fabriken“ geworden waren. Krüger arbeitet immer noch. Im Alter von 80 Jahren sieht man ihn allein in einem Tower sitzen, er bedient eine der modernen Weser-Schleusen in Bremerhaven und plaudert über Funk freundlich mit den Schiffsführern wie mit alten Bekannten. Zum Beispiel mit Thadeusz („Ich höre dich, mein Freund“), der ihm fröhlich ankündigt, am nächsten Tag frei zu haben. „Du Glücklicher, ich habe morgen Nachmittag noch Schicht“, antwortet Krüger, als würde er das bedauern.

„Arbeit war das halbe Leben“; ARD, Montag, 23 Uhr 45

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