zum Hauptinhalt

Medien: G + J – Glamour und Jammer?

Vor 40 Jahren entstand Europas größter Zeitschriftenverlag. Sein Image verdankt er Henri Nannen. Was blieb übrig?

Es gibt einen gravierenden Unterschied zwischen dem amerikanischen Journalismus und dem deutschen: Der bekannteste Preis in den USA, der Pulitzer-Preis, wird für investigative Leistungen vergeben. In Deutschland bekommt den Egon-Erwin- Kisch-Preis, wer eine besonders schöne Reportage geschrieben hat. Anlässlich seines 40-jährigen Bestehens hat sich Gruner + Jahr daher entschlossen, neben dem Kisch-Preis eine neue Auszeichnung zu vergeben. Der „Henri-Nannen-Preis“, der am Freitag in sieben Kategorien erstmals verliehen wird, soll das deutsche Pendant zum „Pulitzer“ werden. Dem Qualitätsjournalismus als dem „Kulturgut mit den Mitteln des Wortes“ angemessen wird die Veranstaltung im größten deutschen Sprechtheater, dem Deutschen Schauspielhaus in Hamburg, stattfinden. Nicht ein roter Teppich und Chi Chi sollen im Zentrum stehen. Dafür gibt es den „Bambi“, die „Goldene Kamera“ oder die „Goldene Feder“. Nein, G + J will dem sonst nie im Scheinwerferlicht stehenden gedruckten Journalismus eine Bühne geben – und hofft, dass ein wenig von dem Glamour auf den Verlag abstrahlt. G + J kann es gebrauchen.

Gruner + Jahr hat sich stets über den Begriff Qualitätsjournalismus definiert. Nicht billige, austauschbare Massentitel waren sein Ding, sondern seriöse, auch unterhaltend seriöse Magazine. Dabei wurden Wort- und Fotojournalismus gleichrangig geachtet. Der Verlag fuhr gut damit, denn die Anzeigenkunden fühlten sich wohl in diesem Umfeld von „Stern“, „Brigitte“, „Geo“ und Co. Sie machten G + J zu dem Verlag mit dem höchsten Anzeigenumsatz in Deutschland. In der Branche genoss er Vorbildfunktion. Selbst wenn der Vorstandschef nur ein angestellter Manager war, konnte er sich bei G + J doch ein bisschen wie ein Verleger fühlen und wurde als solcher respektiert. Mehr als andere achtete G + J auf seine Unternehmenskultur, darauf, die Regeln der Branche einzuhalten und journalistische Unabhängigkeit zu wahren. Der Grund dafür liegt in der Entstehungsgeschichte. G + J sei von den angenehmen Verlagen der größte und von den großen der angenehmste, sagte Wolf Schneider einmal. Er war von 1978 an der erste Leiter der Henri-Nannen- Schule, die sich bei G + J um den journalistischen Nachwuchs kümmert.

G + J entstand am 1. Juli 1965 durch die Fusion der Verlage von Gerd Bucerius und John Jahr senior sowie denDruckereibesitzer Richard Gruner. Wirtschaftlich und politisch wollten die drei ein Gegengewicht zum Axel-Springer-Verlag schaffen. Bucerius war das journalistische Schwergewicht, brachte er doch den „Stern“ mit ein, an dessen Spitze sein Gründer Henri Nannen stand. Gruner war der Lebemann, der sich schon 1969 wieder aus G + J zurückziehen wollte. Ausgerechnet an den Illustriertenverlag Bauer wollte er verkaufen. Die Redaktion des „Stern“ rebellierte. Die Journalisten bangten um ihre Unabhängigkeit. Diesem Umstand ist zu verdanken, dass der „Stern“ noch heute ein Redaktionsstatut und einen Beirat hat, der unter anderem über ein Mitspracherecht bei der Ernennung des Chefredakteurs verfügt.

Heute gehört G + J zu 74,9 Prozent zu Bertelsmann. Die Anteile stammen von Gruner und Bucerius. Die Jahr-Familie verfügt noch heute über eine Sperrminorität von 25,1 Prozent. Die Dynastie hat mehr Geld als sie je ausgeben kann, an einen Verkauf denkt sie nicht. Daran konnte 2001 auch der frühere Bertelsmann-Vorstandschef Thomas Middelhoff nichts ändern.

Fast zwei Jahrzehnte lang hatte vor ihm Gerd Schulte-Hillen gewirkt. Er hat 1984 die gefälschten Hitler-Tagebücher überstanden, mit dem Kauf der „Hamburger Morgenpost“ den Einstieg ins Zeitungsgeschäft gewagt und diverse Zeitschriften gegründet. Titel wurden lieber leise verkauft als eingestellt – abgesehen vom geräuschvollen Flop der Illustrierten „Tango“. Immerhin: Das hinderte die Konkurrenz, den „Stern“, Umsatz- und Gewinnbringer von G + J, mit einem neuen Titel anzugreifen. Schulte-Hillen ist auch zu verdanken, dass G + J der internationalste unter den deutschen Verlagen ist und als Talentschmiede galt. Ebenfalls in seine Zeit fiel der Bau des Gebäudes am Hamburger Hafen. Mit seiner Reling und den Bullaugen soll es an ein Schiff erinnern. Es steht auf jenem Grundstück, das für die Ausfahrt eines nie realisierten Elbtunnels reserviert worden war.

Die Aufbauarbeit war beendet, die Pflege vorhandener Zeitschriftenmarken stand vielleicht schon zu lange vor dem Antrieb, Neues zu gründen, als Ende 2000 der lange zuvor angekündigte Bernd Kundrun das Ruder übernommen hat. Heute überweist nicht mehr G + J, sondern RTL das meiste Geld nach Gütersloh. Die Anzeigenkrise ließ keine großen Sprünge zu. Großes, richtungweisendes ist lange nicht gelungen, obgleich mit Angelika Jahr wieder ein Journalist im Vorstand sitzt. „Marie Claire“ wurde eingestellt, der Shopping- Guide „Flash“ floppte, der Erfolg von „Essen + Trinken für jeden Tag“ ist nicht zuletzt der Kooperation mit Vox-KochTim Mälzer zu verdanken, die Frauenzeitschrift „Woman“ kämpft noch, und das Jugendmagazin „Neon“ ist auch nicht die Innovationslokomotive, die G + J bräuchte. Kundrun, der seine Dissertation über „Methoden und Modelle für die Formulierung von Marketingstrategien in schrumpfenden Märkten“ schrieb, gab Parolen aus wie CAP, das Kostensenkungsprogramm „Cost and Processes“ oder „Innovation Now!“. Diese Gründungsoffensive bestand darin, anhand einer Matrix, auf der oben die G + J-Zeitschriften stehen und links die Länder, in denen G + J vertreten ist, die noch leeren Felder zu füllen.

Der Kauf der Motor-Presse und die Druckereifusion sind gelungen – jetzt ist es an der Zeit, wieder die Flagge der Kreativität und des Qualitätsjournalismus zu hissen. Für Zeitschriftenvorstand Bernd Buchholz bedeutet das allerdings nicht, an die Traditionen anzuknüpfen, die G + J an die Spitze gebracht hatten. Er spricht vom „Einstieg ins Top-Premiumsegment“, wenn er für den 7. Juni den Start des ans amerikanische Vorbild „Vanity Fair“ anknüpfenden Magazins „Park Avenue“ ankündigt.

Am Freitag geht es los mit der Preisverleihung, am 7. Juni folgt „Park Avenue“. Geplant sind neben einem Wissens- und einem Gesundheitsheft außerdem das Fotomagazin „View“ und zum Jahreswechsel ein psychologisch angehauchtes Frauenmagazin. So will sich G + J dem selbst formulierten Ziel nähern: „Wir schaffen eigenständige, glaubwürdige und unabhängige Inhalte von höchster Qualität.“ Ganz nach dem Vorbild Henri Nannens.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false