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Medien: Ganz nah – ganz fremd

Radio und Fernsehen müssen mehr für die Integration von Migranten tun. Eine Bilanz der Tutzinger Medientage

Götz, Besitzer eines Kreuzberger Plattenladens, hat sich in die Türkin Aylin verliebt. Zum Entsetzen seiner Mutter, einer liberalen Journalistin, will Götz zum Islam konvertieren und lässt sich sogar beschneiden. Doch am Schluss kommt alles ganz anders. „Meine verrückte türkische Hochzeit“ in der Regie von Stefan Holtz wurde von Pro Sieben produziert, dem Lieblingssender aller hiesigen Migranten. Der Film wurde, wie das Jugenddrama „Wut“ (WDR), in dem ein deutscher Professorensohn von einem Türken terrorisiert wird, in dieser Woche mit einem Grimme-Preis ausgezeichnet. Auch die ARD-Vorabendserie „Türkisch für Anfänger“ erntete Lorbeeren in Marl. In ihr prallen die wechselseitigen Klischees besonders hochtourig aufeinander. Die RTL-Sitcom „Alle lieben Jimmy“ übernahm mittlerweile das türkische Fernsehen. In der alten Heimat herrscht ein reges Interesse an der Lebenswelt der „Almancilar“, wie die „Deutschtürken“ in ihrer Muttersprache genannt werden.

Alle vier Produktionen zeigen exemplarisch, wie sehr sich die mediale Wahrnehmung hier lebender Ausländer in den vergangenen vierzig Jahren verändert hat. „Ihre Heimat, unsere Heimat“ hieß 1961 eines der ersten Radioprogramme für Gastarbeiter. Als sich abzeichnete, dass viele von ihnen blieben, wurden sie zu ausländischen Mitbürgern, dann zu Migranten oder „Deutschen mit Migrationshintergrund“. Sind die Migranten endlich als Zielgruppe und Lieferanten spannender Fernsehstoffe entdeckt worden? Fast hätte man das bei den 26. Tutzinger Medientagen zum Thema „Migration, Integration und Fernsehen“ meinen können, wenige Tage nach den verschärften neuen Beschlüssen zum Bleiberecht für Asylbewerber. Wie das Kaninchen auf die Schlange schien man auch am Starnberger See auf die Gefahr des Islamismus zu starren, dabei sind nur ein Viertel der hier lebenden Ausländer Moslems. Wenigstens der Referent Henryk M. Broder hätte zu dieser typisch deutschen Minarett-Hysterie die passenden Worte gefunden, doch der „Spiegel“ entsandte Broder kurzfristig nach Dakar. Scharf griff dagegen der Vorsitzende des Rats für Migration Dieter Oberndörfer die Politik der Bundesregierung an. Die angeblich offene Republik habe sich längst in eine abgeschottete verwandelt. Deutschland sei nach wie vor kein Einwanderungsland, sondern dulde bloß die Zuwanderung auf Zeit.

Im Dialog mit Innenminister Wolfgang Schäuble zeigte sich Oberndörfer versöhnlicher. Dem Minister bescheinigte er, durch eine neue Definition von Kultur – „Die Kultur Deutschlands ist die seiner Bewohner“ – endlich auch die zwanzig Prozent Zuwanderer und deren „Ventilationsfunktion“ zu würdigen. Mit anhaltendem Stolz auf die von Bischof Huber angeregte und von ihm einberufene Islam-Konferenz wiederholte Schäuble mehrfach, dass die Migranten in der freiheitlichen Rechtsordnung auch „heimisch werden wollen müssen“. Wenn etwa die islamischen Frauen der Öffentlichkeit fernblieben, hätten auch ihre Kinder nur die Hälfte der Chancen. Von den Alltagsmedien forderte er, stärker die Vielfalt hiesigen Lebens darzustellen.

„Die Zeit ist noch nicht reif für so exotische Menschen wie Sie“, bekam Minou Amir-Sehhi Anfang der neunziger Jahre zu hören, als sie sich als Fernsehmoderatorin bewarb. Heute arbeitet die Tochter eines persischen Vaters und einer deutschen Mutter für den MDR und koordiniert das interkulturelle Netzwerk beim Deutschen Journalistenverband. Ihr orientalisches Äußeres habe ihr schon oft Recherchen erleichtert, sagte sie. Dennoch möchte sie wie Isabel Schayani, persischstämmige „Monitor“-Redakteurin, nicht auf Migrantenthemen festgelegt werden. Im November hatten die Intendanten von ZDF und WDR auf der Europäischen Medienkonferenz versichert, künftig mehr „bunte Deutsche“ vor und hinter die Kameras zu holen.

Die Tutzinger Medientage spiegelten tatsächlich die desolate Situation in den Sendern wider: Die beiden iranisch-deutschen Journalistinnen waren die einzigen „Betroffenen“, die von der Evangelischen Akademie und dem Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik zum Thema „Ganz nah – ganz fremd?“ eingeladen worden waren. Für etwas Praxisbezug sorgte Ilona Marenbach, Chefredakteurin des RBB-Radio Multikulti. Sie berichtete vom Alltag einer Redaktion, die in 19 Sprachen sendet und damit zum Beispiel Vietnamesen weltweit eine der wenigen unzensierten Sendungen anbietet, die per Podcast zu hören sind. Längst werde Radio Multikulti von vielen Hörern als Teil ihrer Lebenswelt empfunden, als Stück Heimat in der Fremde. Drei Tage lang sendete die Redaktion aus Istanbul, um das Klischee von den Kreuzberger Türken aus Ost-Anatolien zu konterkarieren. Dies gelingt auch einer Doku-Soap wie „Die Özdags“ vom WDR, einer laut Fernsehkritiker Fritz Wolf „aufgeklärten Powerfamilie“, die die „Biodeutschen“ (Shayani) aufklären soll.

Die beiden größten Ausländergruppen, die Türken und die Russlanddeutschen, kommen zusammen auf fast sechs Millionen Menschen. Um Letztere, die einen Akademikeranteil von 26 Prozent aufweisen, ist es in den Medien besonders schlecht bestellt. Die Bundesinitiative Integration und Fernsehen (BIF), die am Karlsruher Zentrum für Kunst und Medientechnologie (ZKM) angesiedelt ist, bemüht sich seit 2005, Filmschaffenden stoffliche Anregungen zu vermitteln. Jüngst übernahm Maria Böhmer die Schirmherrschaft über die Initiative. Böhmers Amt als Beauftragte der Bundesregierung für Flüchtlinge und Migration wurde unter Angela Merkel erstmals als „Chefinnensache“ im Bundeskanzleramt angesiedelt. Gerade die jungen Türkinnen und Türken der dritten und vierten Generation befänden sich im „Medienloch“, sagte Michael Mangold vom ZKM.

Aber wer wisse schon, dass italienische Schüler ähnliche Probleme beim Spracherwerb hätten, fragte Staatsministerin Böhmer bei der Tutzinger Abschlussrunde. Sie warnte davor, sich auf bestimmte Migrantengruppen zu fokussieren. Arte-Präsident Gottfried Langestein schwärmte vom kasachischen und bosnischen Filmemacher-Nachwuchs, den es gezielter zu rekrutieren gelte. Und Jürgen Doetz, Präsident vom Verband Privater Rundfunk und Telekommunikation (VPRT) meinte, dass Comedy und Film viel mehr bewegen könnten als so manches Integrationsprogramm.

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