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Medien: „Gegen die Globalisierung helfen keine Lichterketten“

Aber vielleicht Heimat? Edgar Reitz und Thomas Brussig sollten es wissen. Gemeinsam haben sie die Drehbücher für das Epos „Heimat 3“ geschrieben, das die ARD von Mittwoch an zeigt

Herr Reitz, sind Sie wahnsinnig?

REITZ: Wieso?

Wer sich heutzutage neun Jahre mit einem Projekt fürs Fernsehen herumschlägt, mit Finanzierung, Programmdirektoren und Redakteuren, der muss wahnsinnig sein.

REITZ: Ich hoffe nicht. Das Wort Wahnsinn wird ja in vielerlei Bedeutung verwendet. Sagen wir mal so: Die Freude am Job des Filmemachens hat für mich etwas sehr Persönlich-Beherrschendes. Für mich ist es das größte Unglück, keinen Film machen zu können, weil ich dann gar nicht weiß, wer ich eigentlich bin.

BRUSSIG: Aber nun haben wir’s ja geschafft. Es gibt eine einzige Sache, wo ich mit dem Film nicht so froh bin, das ist der Titel. Der war anfangs „Heimat 2000“, nicht „Heimat 3“. Ich glaube, dass dieser große Widerstand, den Sie ansprechen, Edgar dazu gebracht hat, zu sagen: Hier, es gibt trotz allem auch die dritte „Heimat“!

Und nun, was bringt uns „Heimat 3“? Die 90er Jahre?

REITZ: Lassen Sie es mich so sagen. „Heimat“ war das Dorf, „Zweite Heimat“ die Stadt, „Heimat 3“ ist der Fluss. Das beschreibt keinen festen Ort mehr, sondern das Gefühl, an einem Strom zu leben, in diesem Strom zu schwimmen, darin bewegt zu sein, überall nach Halt zu klammern und dabei keinen zu finden.

Das klingt erst mal deprimierend.

REITZ. Als wichtige Haltepunkte tauchen drei Dinge auf: Haus, Familie und die Zugehörigkeit zu der Zeit, in der man lebt.

Trotzdem verbreitet „Heimat 3“ die Stimmung: Wir sind in unsichersten Zeiten unterwegs.

BRUSSIG: Ja!

REITZ: Ja, das ist doch unser Thema geworden. Das Schlimme ist, wir haben in allen Zeiten, selbst den allerschlimmsten, den Gegner benennen können. Wir können das jetzt nicht mehr. Nicht nur seit dem 11.9.2001. Auch der innere Feind wird unsichtbar.

Herr Brussig, Sie sind jünger als Edgar Reitz, wieso teilen Sie diese pessimistische Sicht der Dinge?

BRUSSIG: Die Unsicherheit ist ja greifbar. Das macht Angst. Menschen wollen wissen, wozu sie auf der Welt sind. Sie wollen eine Perspektive haben. Die Welt ist einfach schwerer durchschaubar. Vor 20 Jahren hat man Angst vorm Atomkrieg gehabt. Da hatte man noch das Gefühl, dass man was dagegen tun kann. Gegen die Globalisierung helfen keine Lichterketten.

REITZ: Wenn man im Internet den Begriff „Globalisierung“ eingibt, stößt man auf 1,06 Millionen Seiten. Wenn man den Begriff „Heimat“ eingibt: 1,75 Millionen Seiten.

Dann hat „Heimat“ gewonnen.

REITZ: Na ja, das zeigt einfach, dass die beiden Pole im Bewusstsein der Menschen vorkommen. In Globalisierung steckt das Angstpotenzial, in Heimat das Hoffnungspotenzial.

Inwiefern?

REITZ: Wir haben ein Verlangen in uns, gewisse Beständigkeiten zu erfahren. Wenn ein Mensch ein Haus baut, wie Hermann Simon in „Heimat 3“ zum Beispiel. Es gibt auch andere Dinge, die man nicht mitnehmen kann, alles positive Dinge: Bilder der Kindheit, Partnerschaften, Beziehungen. Ich glaube auch, dass uns die Wiederentdeckung der Familie sehr beschäftigen wird.

Sie kommen aus dem Hunsrück, Thomas Brussig aus dem Osten Berlins. Wenn Sie beide von „Heimat“ sprechen, meinen Sie dasselbe?

REITZ: Während des gemeinsamen Schreibens haben wir nicht theoretisiert über „Heimat“.

BRUSSIG: So wie Edgar nicht für den Westen steht, stehe ich auch nicht für den Osten. Ich glaube, wir haben beide ein problematisches Verhältnis zum „Heimat“-Begriff, aber wer hat das nicht. „Heimat“ ist ein geschundener Begriff, von der Nazi-Ideologie, von der DDR-Ideologie, auch von der Ideologie der Unterhaltungsindustrie. Erst durch Edgars Filme über das Dorf Schabbach und die 60er Jahre in München hat dieser Begriff für mich das Ambivalente gekriegt. Man kommt nun mal von irgendwoher. Dagegen kann man sich nicht wehren, ob einem das passt oder nicht.

Wie kam es eigentlich zu Ihrer Zusammenarbeit?

BRUSSIG: Edgar kam zur Vorführung der „Zweiten Heimat“ ins Potsdamer Filmmuseum. Ich war Student an der Filmhochschule und „Zweite-Heimat“-Fan, habe ihn gefragt, ob er bei uns ein Seminar geben will. Ich glaube, dass es Edgar gut getan hat, dass Filmstudenten die „Zweite Heimat“ so gut finden, die ja in Deutschland unter Wert weggekommen ist. Nach meinem Buch „Helden wie wir“ ist er neugierig geworden. In dem Seminar selber hatte ich allerdings zunächst nicht so das Gefühl, dass wir füreinander geschaffen sind (beide lachen). Neun Monate später rief mich der Producer an und sagte, dass mich Edgar auf der Berlinale treffen wollte. Da sollte ich erst mal nur für einen Teil von „Heimat 3“ der Co-Autor sein.

Wieso gerade Thomas Brussig?

BRUSSIG: Edgar nannte drei Gründe. Da in der dritten „Heimat“ der Osten vorkommen sollte, man das auch von ihm erwartet hat und er sich nicht darin auskennt, wollte er es mit mir versuchen. Wichtig war auch, dass ich seine Filme liebte. Es drohten ihm also keine Diskussionen wegen seines sehr speziellen Stils. Außerdem gefiel ihm, dass ich ein literarischer Autor bin…

…das heißt…

BRUSSIG: ...auch, dass ich ein eigenes Selbstbewusstsein habe und es ertragen kann, wenn der Regisseur Reitz losgeht und etwas filmt, was vielleicht nicht im Buch steht.

REITZ: Ich hätte nie den Mut gehabt, als Wessi Leute aus dem Osten so bedenkenlos zu beschreiben, wie es durch die Zusammenarbeit mit Thomas möglich wurde.

Zwei Autoren und ein Drehbuch: Wie funktioniert das?

BRUSSIG: Edgar hat eine Szene geschrieben und sie mir gegeben. Ich wusste ungefähr, was er meinte, aber dann hat mir dieses oder jenes noch nicht gefallen: Warum kriegt die Szene nicht so eine Tendenz oder so einen Gedanken. Dann hat er nicht gesagt, okay, ich mache weiter, sondern, ja wunderbar, dann schreibst du mal weiter. So ging das oft hin und her. Zuletzt hat sich aber alles in Edgars Computer angesammelt, sozusagen in höchster Instanz.

Wie reagieren die Leute in Ostdeutschland auf „Heimat 3“? Der Film lief ja schon in den Kinos an.

REITZ: Große Freude. Große Liebe und Begeisterung für diese Typen aus Leipzig und Berlin, die wir zeigen. Ich glaube, dass diese Attitüde der political correctness gegenüber dem Osten eine ganz ekelhafte Erscheinung ist. Es ist, als fühle man sich schuldig.

Auch Angst vor dem Osten?

REITZ: Sie glauben gar nicht, mit welch penibler Ängstlichkeit man in der ARD mit dem Osten umgeht. Wenn wir in den Jahren, wo wir um den Stoff, um „Heimat 3“, gekämpft haben, Gegenwind gespürt haben, dann kam der immer aus dem Westen Deutschlands. Da hat man Angst, der Film könnte denen im Osten wehtun.

Mit „Heimat 3“ ist die „Heimat"-Trilogie fertig, ein Jahrhundert kann besichtigt werden. Haben Sie dem Leben nicht eine unheimliche Logik eingeschrieben?

REITZ: Natürlich gibt es eine Logik, das ist die Subjektivität der Sicht. Wir sind ja keine Wissenschaftler oder Historiker. Auf der anderen Seite geht so ein Jahrhundert durch einen hindurch. Ich würde schon diesen Anspruch gelten lassen, dass die „Heimat“-Trilogie als Ganzes das 20. Jahrhundert als Ganzes Revue passieren lässt.

Wir sehen in „Heimat 3“ keine Figur, die vorlebt, wie man ein Leben in Deutschland leben kann, Auch nicht im allerletzten Bild von „Heimat 3“, wo „Lulu“, eine junge Frau, im Jahr 2000 die Zukunft vor sich hat und gar nicht weiß, was sie da machen soll.

REITZ: Eine Chronik als Erzählform kennt kein Ende. Kann kein Ende kennen. Trotzdem, es muss das letzte Bild geben. Das letzte Bild stellt immer die Sinnfrage. Und da kann man nehmen, was man will, selbst, wenn es einen Hund zeigt, der jault.

„Heimat“ kennt kein Ende? Also gibt es „Heimat 4“?

REITZ: Nichts ist mir lieber als einen Film zu machen, nichts ist schöner als produzieren. Auf der anderen Seite sind die Produktionsbedingungen immer schwieriger geworden. Soll man sich das antun?

Das Gespräch führten Markus

Ehrenberg und Joachim Huber

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