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Gelebte Telekratie: Das Prinzip Blitztabelle

Ganz neu: Bei der Castingshow „Unser Star für Baku“ wird permanent der Zwischenstand beim Zuschauer-Voting gezeigt. ProSieben und ARD versprechen sich davon mehr Spannung.

Stefan Raab nur noch im Hintergrund, das geht dann doch nicht. Der Lena-Entdecker wird den Eurovision Song Contest (ESC) erneut prominent begleiten – als festes Jury-Mitglied neben Präsident Thomas D und Alina Süggeler, Sängerin der Band Frida Gold. Und Raab, der auch die „Unser Star für Baku“-Shows für ARD und ProSieben produziert, krempelt das Format durch eine gewagte Neuerung um: Bei den insgesamt acht Sendungen wird der Zwischenstand des Zuschauervotings permanent eingeblendet. „Das ist die Einführung der Blitztabelle in die Unterhaltung“, erklärte Raab am Montag in Köln. Eine „Blitztabelle“ informiert etwa während der Live-Übertragungen der Fußball-Bundesliga über die jeweils aktuell gültige Position der Vereine.

Stefan Raab sprühte vor der Presse geradezu vor Begeisterung über seine erst vor vier Wochen entwickelte Idee, „das Prinzip Sport noch stärker mit in die Sendung einzubeziehen“. Dies sei „meines Wissens weltweit das erste Mal“, dass eine Castingshow die Abstimmungen derart transparent mache. Raab nannte dies „die Einführung der neuen Ehrlichkeit“ und prophezeite, einmal in Fahrt, dass in zehn, 15 Jahren auch die Bundestagswahlen auf diese Weise durchgeführt würden. Durch diese Art der „gelebten Demokratie“ würde die Wahlbeteiligung wieder in die Höhe schnellen. Thomas D schlug ihn daraufhin schon mal für das Amt des Bundespräsidenten vor.

Eine wachsende Beteiligung erhoffen sich sicher auch die beteiligten Sender, vor allem ProSieben, das die fünf Ausscheidungsshows sowie das Halbfinale am 13. Februar ausstrahlt. Anrufe kosten dann 49 Cent, bei der öffentlich-rechtlichen ARD, die das Viertelfinale (9. Februar) und das Finale (16. Februar) zeigt, kommen die Zuschauer mit 14 Cent günstiger davon. Erfahrungsgemäß beteiligen sich zwischen fünf und zehn Prozent der Zuschauer am Telefonvoting. Die Shows werden gemeinsam von ARD-Nachwuchskraft Sandra Rieß und Steven Gätjen („Schlag den Raab“) moderiert.

Von der Neuerung verspricht sich Raab vor allem mehr Spannung für die Show, die im vergangenen Jahr, als für die bereits feststehende deutsche ESC-Vertreterin Lena Meyer-Landrut nur noch der passende Song gesucht wurde, unter teilweise mageren Einschaltquoten litt.

Für die 20 ausgewählten Kandidatinnen und Kandidaten – zwölf junge Frauen und acht Männer – dürfte das vor allem mehr Anspannung bedeuten. Denn auch während sie singen verändert sich vor ihren Augen der Zwischenstand, worauf auch das Studiopublikum während der Live-Shows reagieren dürfte. Bei den ersten beiden Ausscheidungsshows (12. und 19. Januar) werden sich die jeweils zehn Kandidaten zu Beginn 30 Sekunden lang vorstellen. Bereits während dieser Kennenlern-Runde können die Zuschauer per Telefon abstimmen. In den beiden Shows kommen jeweils fünf Kandidaten weiter. Nach Raabs Angaben kann der Stand des Votings mit nur fünf Sekunden Zeitverzug im Fernsehen angezeigt werden.

Das neue Voting-System sei auch der Grund, sagte Jury-Präsident Thomas D, warum die Jury-Besetzung nicht wechselt. Die Jury müsse die Entwicklung der einzelnen Kandidaten von Anfang an kennen. Der Sänger („Die Fantastischen Vier“) und Musik-Produzent überredete Raab, und beide wählten Alina Süggeler aus, die 2011 bereits in der deutschen ESC-Jury saß. „Wir wollten eine kompetente Frau, schön und mit langen Haaren“, sagte Raab grinsend. Frau Süggeler sagte zu. Dass ihre Frisur mittlerweile auf derart radikale Weise nicht mehr dem Anforderungsprofil entsprach, kostete sie dennoch nicht den Job. Sie habe sich vorgenommen, sich nicht von der Stimme oder einem bestimmten Song „umhauen“ zu lassen, sagte sie. Es gehe darum herauszufinden: „Wo schlummert da was? Wer bringt die Emotion mit?“

Thomas D, der auch die Siegerin oder den Sieger mit zum ESC-Finale nach Baku in Aserbaidschan begleiten und anschließend mit ihr/ihm eine Platte produzieren wird, versprach: „Es geht um Musik, und das wird in anderen Shows gerne mal vergessen. Da ist die Musik Träger eines schönen Gefühls.“ Nicht die perfekte Stimme, sondern Ausstrahlung und Persönlichkeit soll also Lenas Nachfolger haben.

„Es soll Leute geben, die können überhaupt nicht singen und haben es bis zum Jurypräsidenten geschafft“, sagte Thomas D ironisch. Mit dem neuen Votingsystem könnte allerdings auch Nervenstärke eine noch größere Rolle spielen. Denn neben der Musik geht es eben auch um die spannende Dramaturgie einer Fernsehshow, die möglichst viele Zuschauer erreichen will.

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