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Gegen zu aufdringliche Journalisten haben sich die Schüler des Joseph-König-Gymnasiums versucht zu wehren. Mitschüler und Lehrer waren bei dem Absturz gestorben.

© picture alliance / dpa

Germanwings-Absturz: Hinter dem Flatterband

Noch nie hatte es so viele Beschwerden beim Presserat gegeben wie durch die Berichterstattung zum Germanwings-Absturz. Was die Medien daraus gelernt haben.

Vor dem Joseph-König-Gymnasium in Haltern sieht man viele brennende Kerzen, davor einige Schülerinnen und Schüler, die sich trauernd aneinander festhalten. Solche Fotos gingen nach dem Absturz der Germanwings-Maschine, bei dem 150 Menschen starben, darunter 18 aus Haltern, im März um die Welt. Mika Baumeister, damals Schüler in Haltern, hat aus einer anderen Perspektive fotografiert: Man sieht ein rotes Flatterband zur Absperrung, dahinter eine große Anzahl an Journalisten. „Einige haben nicht das nötige Fingerspitzengefühl bewiesen“, erklärt Baumeister. Die Absperrung sei missachtet, minderjährigen Schülern Geld für Interviews geboten worden. Ein Reporter hätte sich als Lehrer ausgegeben, um in den abgesperrten Bereich zu kommen.

"Fast alle haben Fehler gemacht"

Schon im März hatte Baumeister in einem viel beachteten Blog-Eintrag die fehlende Sensibilität vor Ort kritisiert. Sein Text traf damals die Stimmung. Zum Schock über die Tragödie kam Empörung über Journalisten, die Angehörige der Opfer bedrängten und deren Fotos veröffentlichten oder die Informationen eher vorzutäuschen als zu berichten wussten. Das sei kein Tag der Spekulation, erklärte die Moderatorin im ARD-„Brennpunkt“ – um dann ausgiebig mit einem Experten über den Ablauf („Was würde dann im Cockpit ablaufen?“) zu spekulieren. „Fast alle haben irgendwo ihre Fehler gebaut“, erklärte Baumeister am Donnerstagabend in Düsseldorf. Der Deutsche Presserat, bei dem nach dem Absturz mit 431 Beschwerden so viele wie nach keinem anderen Ereignis eingingen, das Grimme-Institut und die Journalisten-Gewerkschaft Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union in Verdi hatten zu einer Diskussion über die damalige Berichterstattung geladen. „Was lernen wir daraus?“, lautete die Frage im Titel – und am Ende stellte sich das ungemütliche Gefühl ein, dass die Medienvertreter der Meinung sind, es gäbe nichts zu lernen, denn: Es war doch eigentlich nicht so schlimm. Und der Presserat hat ja auch nur zwei Rügen ausgesprochen.

Oliver Auster, Redaktionsleiter der NRW-Ausgabe von „Bild“, verwies auf die „unfassbar großen Zugriffszahlen“ und das offenkundig große Interesse der Öffentlichkeit an dem „größten Verbrechen der deutschen Nachkriegsgeschichte“. Die „Bild“-Reporter hätten nur ihren Job gemacht, wozu eben auch zähle, an Haustüren zu klingeln und Angehörige anzusprechen. Im Übrigen habe sich kein „Bild“-Reporter als Lehrer ausgegeben. „Wir haben das Flatterband respektiert“, sagte Auster. Was „Bild“ jedoch nicht respektierte, war die im Pressekodex vorgesehene Zurückhaltung gegenüber den Opfern und ihren Angehörigen. Eine der beiden Rügen hatte der Presserat gegen die „Bild“-Zeitung und Bild.de ausgesprochen, „weil mehrfach Bilder und Namen von Opfern veröffentlicht worden waren“.

Die Kritik trifft nicht nur "Bild"

Aber die Kritik trifft eben nicht nur die viel gescholtene Springer-Zeitung. Germanwings-Sprecher Heinz-Joachim Schöttes wusste von einer E-Mail zu berichten, in der die Chefredaktion „eines großen deutschen Magazins“ um die vertrauliche Passagierliste bat. Die andere Rüge des Presserats kassierte das in Düsseldorf erscheinende Regionalblatt „Rheinische Post“, das seine Leserschaft mit persönlichen Details über die Partnerin des Kopiloten fütterte. Dessen Namen zu nennen, war übrigens nicht als Verstoß gegen den Pressekodex gewertet worden. Lutz Tillmanns, Geschäftsführer des Deutschen Presserats, sieht die große Zahl der Beschwerden nicht als schlechtes Zeichen. Vielmehr seien sie ein „Beleg für das zivilgesellschaftliche Engagement für die Qualität der Medien“. Tillmanns forderte gemeinsame ethische Regeln in Presse, Rundfunk und Internet.

Mit einigem zeitlichen Abstand stellt sich die Frage, ob manche Medienvertreter nicht vielleicht ein bisschen schnell zum gewohnten Geschäft zurückgekehrt sind. Es sei zulässig, in so einer Situation auch Spekulationen zur Sprache zu bringen, erklärte in Düsseldorf zum Beispiel n-tv-Geschäftsführer Hans Demmel. Die Medienkritik habe „hysterische Züge“ getragen. Demmel verwies auf den Umbruch der Medienwelt und die Zwänge eines in Dauerschleife sendenden Nachrichtenkanals, er warnte vor Stimmungsmache und einer „Grundstimmung gegen Medien“.

Alles halb so wild also? Petra Tabeling vom Dart Center für Trauma und Journalismus erinnerte an ein anderes Ereignis: Die ganze Diskussion habe es nach dem Amoklauf 2009 in Winnenden auch gegeben, sagte sie. Tabeling forderte, Grundwissen über traumatische Belastungen in die Ausbildung von Reportern aufzunehmen. Notwendig sei ein „achtsamer Journalismus“. Man könnte wohl doch etwas lernen aus dem März 2015. Wenn man denn will.

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