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Medien: Glanz der Gutmenschen

Lettern im Wind: Arte versucht sich an „Die Juden. Geschichte eines Volkes“

Abrechnung? Satire? Verquälte Hommage? Das Unternehmen war brisant. „The Germans. History of a People“ hieß die Koproduktion israelischer und amerikanischer TV-Sender. Am Stil dieses Mehrteilers, der von Luther über Wagner bis zu Himmler und Kiesinger keinen Anstoß aussparte, schieden sich die Geister. Nur Harmlosigkeit hat der provokanten Doku niemand vorgeworfen…

Es ist keine Bildungslücke, von „The Germans“ nie gehört zu haben; der Film existiert, sorry, nur als Wunschvorstellung. Aber das Pendant haben nun die ARD und Arte mit der Filmstiftung NRW gestemmt. „Die Juden. Geschichte eines Volkes“ kostet als Lektion für Wochentagsabende (Arte) oder Sonntagnachmittage (ARD) zwar nur 1,5 Millionen Euro, so viel wie ein teurer „Tatort“. Aber man hatte sich wohl überhaupt erst mal trauen müssen, nach Produktionen über das Christentum und den Islam rund 300 Minuten über „die Juden“ zu drehen, eine fünfteilige Religions- und Völkerschau, ausgerechnet Made in Germany. Und nur ein Viertelstündchen davon über die Nazizeit!

Herausgekommen ist, um Gottes Willen, keine Provokation, aber ein redlich kommentierter, emotional aufgemotzter History-Bilderbogen. „Die Juden“ zeigt Dokumente und Architektur, lässt über 100 Experten zu Wort kommen, setzt auf animierenden Soundtrack-Schwulst, Spielszenen und Computersimulation (CGI). Der Trailer, mit dem jede Folge startet, intoniert das Begriffspaar „Glanz und Elend“ wie auch, als weltgeschichtlichen Quantensprung, die Erfindung des Monotheismus. Hebräische Lettern formen sich aus Wüstensand, verwehen im Wind. Ein Kapuzenprophet stapft durch die Wildnis.

„Exodus“ skizziert die Formation des Volkes Israel bis zum Babylonischen Exil. „Diaspora“ beschreibt Jerusalems Zerstörung durch die Römer und die globale Zerstreuung der Überlebenden. „Stigma“ schildert das Siedlungsgebiet der „Ashkenas“ in Mainz, Speyer, Worms – und Kreuzfahrerpogrome (1098), die Erfindung des Ritualmordvorwurfs in England (1144), die Lynchjustiz an den „Brunnenvergiftern“ des 14. Jahrhunderts, sowie zum Beginn der Neuzeit das Ende der Toleranz in Spanien, wo erstmals nicht nur der Unglaube, sondern das „unreine“ Blut verfolgt wird. In „Davidstern“ geht es um Koexistenz und Vertreibung, Wanderung, Heimatsuche. „Zion“ schlägt den Bogen von der Aufklärung über das Aufkommen des Antisemitismus zur Entstehung des Zionismus. „Überleben“ zeigt die Masssenemigration aus dem Zarenreich, das Scheitern jüdischer Assimilation im Land der Dichter und Denker, den deutschen Genozid, die Neuorientierung der Entkommenen.

Ohne Spielszenen und hochwertiges CGI werde ein solches Produkt nicht mehr angenommen, verteidigt bei der Präsentation im Jüdischen Museum Berlin Produzent Uwe Kersken das Unternehmen. Er habe sich angesichts dieses Themas „immer wie ein dummer kleiner Junge“ gefühlt, das seien für ihn Menschen mit seltsamen Kästchen auf der Stirn, Gebetsriemen und komischem Brot gewesen. Jetzt erst könne er entspannt damit umgehen. Das Statement des Erwachsenen bringt kein Licht in die Zielgruppenfrage: Ist die Reihe für Jugendliche konzipiert? Für Bildungsfans? Für Hardcore-Interessenten? An Details wird nicht gespart. Die Bereitschaft, zum Beispiel Überlieferungen der Selbstmorde von Masada historisch-kritisch zu hinterfragen, wirkt anspruchsvoll, ebenso die Exegese jüdischer Liturgien, in denen Gedenkgebete für mittelalterliche Pogromopfer bis heute präsent sind. Dass Päpste jener Epoche auch als Gegner antijüdischer Agitation erwähnt werden, beweist den Mut der Autoren zur historischen Differenzierung.

Um so oberflächlicher prägt das adrette Design der Doku-Mimen die Gesamt-Anmutung. „Die Juden“ ist ein verdienstvolles Stück Allgemeinbildung, weil ein faktenreicher Überblick hergestellt und das Judentum nicht auf den Holocaust reduziert wird. Gleichwohl stehen Leiden, Frömmigkeit und Migration im Vordergrund. Diese Spielszenen-Juden sind nicht „normal“, hoch auf dem Podest des Martyriums und unbedingter Nettigkeit, zugleich durchgehend hübsch und glatt gecastet. Selbst der verwachsene Moses Mendelssohn hat keinen Buckel mehr. Diese Leute streiten nicht intern, machen keine Witze, Polemik nach außen fällt flach. Dass ihr Sanhedrin damals in Jerusalem den Rabbi Jesus dramatisch verhört hat, bleibt unerwähnt (um die verhängnisvolle Gottesmörderthese nicht zu stützen). Eine erhabene exotische Spezies: Jeder von ihnen könnte als Gutmenschenmodel auftreten, mit keinem möchte man den Feierabend verbringen. Mal sehen, ob „The Germans“ spannender wird – „ihr“ Blick auf „uns“.

„Exodus“, Arte, 20 Uhr 40; „Diaspora“, 21 Uhr 35; „Stigma“, 22 Uhr 20

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