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GLOSSAR: Ran an die Tasten

Noch immer sind Frauen in der Informatik selten. Doch die Zahl der Studentinnen steigt. Gut so, finden eine Studentin und eine erfahrene Absolventin.

Die Vorlesung „Technische Informatik II – Rechnerarchitektur“ ist gerade vorbei, die Studierenden drängen aus dem Hörsaal an der FU in Dahlem. Die meisten sind junge Männer, aber vereinzelt sieht man tatsächlich ein paar Frauen. Informatikerinnen seien auf dem Vormarsch, meldete kürzlich der IT-Branchenverband Bitkom unter Berufung auf Zahlen des Statistischen Bundesamtes. Der Frauenanteil des Fachs ist seit dem Wintersemester 2012 auf ein Rekordhoch gestiegen. Über 11 000 Studienanfängerinnen haben sich im Herbst für Informatik entschieden, das sind rund 14 Prozent mehr als 2011. Zum ersten Mal in den letzten 20 Jahren ist der Anteil der Frauen unter den Studierenden über die 20-Prozent-Marke gestiegen.

Eine, die es gewagt hat, heißt Melanie Skodzik. Die 20-Jährige trägt keine Nerd-Brille, und auch sonst könnte man sie sich genauso gut bei den Juristen oder Germanisten vorstellen. Doch das wäre für sie nie infrage gekommen. „Ich habe Mathematik schon ab der ersten Klasse geliebt“, erzählt sie. Auch das Fach Physik hat es der Schülerin früh angetan. Sie macht zweimal bei „Jugend forscht“ mit, einmal beschäftigt sie sich mit Computertomografie, beim zweiten Mal untersucht sie die Gaußkanone, eine Waffe, bei der das Geschoss mit elektromagnetischen Kräften beschleunigt wird. Für diese Forschungsarbeit werden sie und ihre Freundin ausgezeichnet. Einer der Preise besteht darin, dass die beiden Mädchen sich einen Tag lang zusammen mit einem wissenschaftlichen Mitarbeiter die Universität angucken durften. „Das hat mir sehr gut gefallen, da konnten wir sogar Vorlesungen besuchen.“

Seit Jahren bemühen sich Politik, Forschungseinrichtungen und Schulen um mehr weiblichen Nachwuchs in den sogenannten MINT-Fächern Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik. Denn das sind die Studiengänge, um die viele junge Frauen einen großen Bogen machen. Dabei sind gerade am Hightech-Standort Deutschland die Berufsaussichten für MINT-Absolventen glänzend. Doch wie kann man den Mädchen die Inhalte der Fächer schmackhaft machen, wie ihre Talente früh fördern und sie dazu bringen, sich das Studium zuzutrauen? Gute Ansätze gibt es viele, es wurde ein „Girls’ Day“ ins Leben gerufen, es gibt nationale Initiativen wie „Komm, mach MINT“ oder Karrierenetzwerke wie „Femtec“.

Doch der Ruf, vor allem Informatik sei nur etwas für soziophobe Computerfreaks, hält sich hartnäckig. Christine Regitz ist deswegen noch vorsichtig, in den Jubel des IT-Branchenverbands über die frohe Kunde vom steigenden Frauenanteil einzufallen. Sie ist Sprecherin der Fachgruppe „Frauen und Informatik“, die zur „Gesellschaft für Informatik (GI)“ gehört, und beobachtet das Phänomen schon lange. „Der Anteil der weiblichen Studierenden schwankt immer mal ein bisschen, dümpelt aber eigentlich seit Jahrzehnten auf niedrigem Niveau vor sich hin“, sagt sie. Die GI versucht, mit einer Plakatkampagne das Image des Fachs aufzupolieren. Zu sehen sind Prominente wie der IT-Pionier und Technikkritiker Joseph Weizenbaum, die Google-Gründer Larry Page und Sergey Brin, Computererfinder Konrad Zuse und Grace Hopper, die in den 50er Jahren die Programmiersprache Cobol entwickelt hat. „Wir versuchen zu zeigen, dass das Fach eine große Vielfalt bietet“, sagt Regitz.

Auch in der Informatik-Cafeteria hängen die Plakate. Unter dem Bild von Ada Lovelace („Pionierin des Programmierens“) sitzt Melanie Skodzik manchmal und trinkt ihren Tee. Trotzdem waren es bei ihr weniger die historischen Vorbilder, die den Ausschlag für das Studium gaben. Es waren eher die richtigen Menschen zur richtigen Zeit. Einer war der FU-Mitarbeiter, der sie vor zwei Jahren durch die Uni führte. Er erzählte ihr von „ProInformatik“, einer Art Sommerkurs für Abiturienten. Ein anderer war ihr Informatiklehrer am Berliner Oberstufenzentrum Lise Meitner. In der elften Klasse musste sie sich zwischen drei Wahlfächern entscheiden: Kunst, Sport oder Informatik. Sie tendierte eigentlich zu Letzterem, traute sich aber nicht so recht. „Die Jungs taten so, als ob sie das alles schon können.“ Melanie Skodzik ging trotzdem hin – und fand es großartig. „Da wurde nichts vorausgesetzt, ich habe in dem Kurs die absoluten Grundlagen des Programmierens gelernt.“ Schnell ist sie eine der Besten. Ihr Lehrer will sie überreden, Informatik als Leistungskurs zu belegen. Als sie wieder zögert, lässt er nicht locker. Sie macht ihr Abitur mit einer Eins in Informatik.

Dass sie das großspurige Auftreten vieler Männer aus ihrer Schulzeit kennt, kommt Melanie Skodzik an der Universität zugute. „Der erste Sommerkurs war relativ schwer, da habe ich erst mal wenig verstanden“, gibt sie zu. Sie beißt sich trotzdem durch, bevor sie im Herbst 2012 offiziell mit dem Studium anfängt. Rechts und links von ihr sitzen bis heute oft Studenten, die angeblich alles „total einfach“ finden. Am Ende ist sie, die Zurückhaltende, meistens eine der wenigen, die die Prüfung bestehen. Trotzdem, betont sie, fühle sie sich extrem wohl unter den vielen männlichen Kommilitonen. „Alle Informatikstudenten sind total nett und hilfsbereit. Ich glaube sogar, dass Informatik wahrscheinlich einer der Studiengänge mit den nettesten Leuten ist.“

Wenn es nach Christine Regitz ginge, würde sich das noch viel mehr herumsprechen. Und auch, in wie viele unterschiedliche Berufsfelder das Studium münden kann. Die 47-Jährige ist heute Produktmanagerin bei einem großen Software-Unternehmen. „Ich bin überzeugt davon, dass man jungen Frauen die Informatik schmackhaft machen kann. Zum Beispiel, indem man stärker die möglichen Anwendungsgebiete in den Vordergrund rückt.“ Vor allem die Bindestrich-Fächer – Bio-Informatik, Medizin-Informatik, Wirtschaft-Informatik – wirken weniger abschreckend auf den weiblichen Nachwuchs. Wichtig sei aber auch, dass sich der Alltag an den Universitäten didaktisch an weibliche Bedürfnisse anpasst. „Frauen wollen die Zusammenhänge von Grund auf verstehen. Männer gehen schneller über Dinge hinweg. Viele Studentinnen trauen sich dann nicht, noch mal nachzufragen.“

Damit kein weibliches Talent verschreckt wird, hat sich Melanie Skodzik gerade als Tutorin anwerben lassen. Ab Juli wird sie ihr Wissen während der Sommerkurse an Jüngere weitergeben. Um jeden Preis zum Studium überreden wird sie die Abiturientinnen allerdings nicht. Denn ohne die richtigen Voraussetzungen sind die Chancen gering, bis zum Abschluss durchzuhalten. Die Abbrecherquote in der Informatik ist hoch, sie liegt laut Bitkom-Schätzung bei über 50 Prozent. „Wenn man programmiert, braucht man vor allem Ausdauer. Weil es am Anfang ja grundsätzlich nie funktioniert.“ Sie selbst liebt Logikrätsel, kann stundenlang darüber brüten. „Wer Mathe hasst, ist in der Informatik falsch.“

Was man dagegen überhaupt nicht können muss, ist Computer aufschrauben und reparieren. „Das ist vielleicht überhaupt das größte Missverständnis“, lacht Skodzik. Wenn sie ein Problem mit ihrem PC hat, ruft sie ihren Bruder an. Der studiert übrigens Architektur.

ProInformatik ist der vierteilige Sommereinstiegskurs in das Informatikstudium an der FU. Die Kurse werden für das Studium anerkannt. Informationen unter http://pro.inf.fu-berlin.de. Der nächste Girls’ Day findet im Frühling 2014 statt (www.girls-day.de). Komm, mach MINT ist eine breit angelegte Initiative des Bildungs- und Forschungsministeriums (www.komm-mach-mint.de).

Femtec ist das Hochschulkarrierezentrum für Frauen in technischen Berufen. Eine Übersicht über Hilfsangebote für Schüler, Studierende und Berufsanfänger gibt es unter www.femtec.org.

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