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Medien: Gute Titelseiten, schlechte Titelseiten

Welche Ausgaben der großen Wochenmagazine haben sich am Kiosk im vergangenen Jahr am besten verkauft, welche blieben liegen?

2005 – das war das Jahr der Katastrophen, der Papstwahl, der Bundestagswahl. Darüber wollten sich die Leser der großen Wochenmagazine informieren, darüber berichteten sie auch alle und verkauften sich entsprechend gut. Die Ausnahme heißt „Focus“. Die Münchner Illustrierte scheint sich von der Politik und jeglicher Aktualität verabschiedet zu haben. Mit zeitlos schönen Themen zu Diät, Gesundheit und Psychologie verkaufte das 1993 als „modernes Nachrichtenmagazin“ gegründete „Fakten-Fakten-Fakten“- Blatt die meisten Exemplare am Kiosk.

Die Höhe der Kiosk-Auflage, nicht die Gesamtauflage, zu der die Abonnements, Lesezirkel- und sonstigen Exemplare addiert werden, zeigt am besten, womit sich der Käufer spontan im Kiosk zum Kauf einer Zeitschrift locken lässt. Der Spruch, dass man hinterher immer klüger ist, gilt auch hier. Nicht minder interessant ist zu sehen, welche drei Ausgaben der großen Wochenblätter „Stern“, „Spiegel“, „Focus“ und „Bild am Sonntag“ sich im vergangenen Jahr am besten verkauften – und welche am schlechtesten.

Ein sehr schlichter, eindrucksvoller Titel des frisch gewählten Papstes, fotografiert von Konrad Müller, war 2005 der überzeugendste „Stern“-Titel. Auf dem zweiten Rang folgt eine damals stark beworbene Ausgabe mit der emotional anrührenden Geschichte über ein Tsunami- Opfer auf der Suche nach seinen Angehörigen. Am drittbesten verkaufte sich das zugleich umstrittenste „Stern“-Heft des vergangenen Jahres. Der Titel „Die Russen kommen“, illustriert mit Fotos dickbäuchiger, behaarter, hässlicher Russen, die angeblich die Lieblingsstrände der Deutschen erobern. Die Vorurteile, mit der diese Ausgabe niedere Instinkte bediente, provozierte Kopfschütteln bei Lesern und Redakteuren. Erfolgreich war die Ausgabe dennoch am Kiosk – anders als das Heft zur Organspende, die die wenigsten Käufer beherzt ins Kioskregal greifen ließ. Am allerwenigsten machte wohl der auf den Titel geheftete Organspendeausweis „zum Ausschneiden“ dem Käufer am Kiosk Lust, ein Blatt zu kaufen, das ihn mit dem eigenen Tod konfrontiert.

Der „Spiegel“ bewies im vergangenen Jahr erneut seine Kompetenz als Chronist. Zugleich gelingt es dem Magazin bei schrecklichen Ereignissen immer wieder, genau jenes Foto auf den Titel zu nehmen, das sich am tiefsten ins öffentliche Gedächtnis einbrennt. Keine „Spiegel“-Ausgabe verkaufte sich 2005 besser als die erste des Jahres mit dem ausklappbaren Tsunami-Titel. Auch die Katastrophe in New Orleans reizte zum spontanen Kauf des „Spiegels“. Anders verhielt es sich bei der Ausgabe zur Entführung von Susanne Osthoff im Irak. So wenig sich die Deutschen von dem Entführungsfall berührt fühlten, fühlten sie sich von dem entsprechenden „Spiegel“-Heft berührt. Noch weniger verkaufte 2005 nur noch die „Mozart“-Ausgabe. Das mag auch am Erscheinungstag gelegen haben: Weihnachten stand vor der Tür. Es war das einzige Mal, dass der „Spiegel“ auch in der Gesamtauflage, also inklusive Abonnement-Exemplaren, die Hürde von einer Million Exemplaren nicht knacken konnte.

Durchschnittlich zwei Millionen und fünf Exemplare sollte die „Bild am Sonntag“ 2005 verkaufen. Diesen Vorsatz hatte Chefredakteur Claus Strunz im Januar 2005 gefasst. Doch nur elf Mal schaffte es die Sonntagszeitung im vergangenen Jahr überhaupt, die Zwei-Millionen-Linie zu überspringen. Am besten gelang es mit einer Ausgabe kurz vor der Bundestagswahl, in der sich Kanzler Gerhard Schröder dem Wählerforum stellte. Nicht wirklich gut scheinen sich am Kiosk Gegendarstellungen auf der Seite 1 zu machen. Jene Ausgabe, auf deren Seite 1 „Bild am Sonntag“ Oskar Lafontaine in der Privatjet-Affäre der Lüge bezichtigte, verkaufte sich 2,03 Millionen Mal. Nur 1,86 Millionen Käufer fand die Ausgabe, in der die Zeitung auf Seite 1 die dazugehörige Gegendarstellung druckte – und im Innenteil ein Interview mit einem Anwalt veröffentlichte, der erklärte, dass der Inhalt einer Gegendarstellung nicht der Wahrheit entsprechen muss. Noch schlechter verkaufte sich das Blatt nur noch an den letzten Verkaufstagen des Jahres. Die geringste Auflage erreichte die Nummer 52 vom 1. Weihnachtsfeiertag. An diesem Tag hatten wohl die wenigsten Menschen Lust auf Zeitung. Außerdem hatten viele Bäckereien und andere Verkaufsstellen sowieso geschlossen.

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