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Medien: Haben alle Babys blaue Augen?

Die „Süddeutsche“ und die „Zeit“ bringen zwei Wissensmagazine an den Kiosk. Weitere folgen.

Vielleicht liegt es daran, dass die Menschen die Schnauze voll haben von den inszenierten Wirklichkeiten, die ihnen von einigen Medien vorgesetzt werden. Die so genannten Reality-Formate haben ihren Zenit überschritten. „Bei den Zuschauern entwickelt sich der Wunsch, wieder mit dem konfrontiert zu werden, was tatsächlich in der Welt passiert“. Das sagte kürzlich Knut Föckler, Berater des neuen Senders Terra Nova, der seit September an die Stelle des gescheiterten Musikkanals Onyx getreten ist und rund um die Uhr Dokumentationen über die Geschichte, die Erde, über Mensch und Tier sendet. Es könnte aber auch am Pisa-Schock liegen, dass Wissen so wichtig geworden ist. Oder es ist die schlichte Lust an intelligenter Unterhaltung, die die Quoten von „Clever“ und „Galileo“ steigen lassen und Zeitschriftenmacher zum Entwickeln neuer Konzepte antreibt.

Bei den gedruckten Medien könnte man geradezu von einem Boom der Wissensmagazine sprechen. Einige Konzepte schlummern noch in den Schubladen, andere liegen bereits am Kiosk. So wie das am 10. November erschienene „Geo Kompakt“, das die Zeitschriftenfamilie um „Geo“, „Geolino“, „Geo Epoche“ und „Geo History“ um einen weiteren Titel erweitert. Das 7 Euro 50 teure „Geo Kompakt“ versteht sich als Zeitschriftenreihe zum Sammeln, die von Ausgabe zu Ausgabe eine Bibliothek des (Allgemein-)Wissens aufbaut. Allgemeinverständlich, aber sehr lexikalisch und folglich etwas dröge wirkt das monothematisch konzipierte Heft, das sich in der ersten Ausgabe mit der „Geburt der Erde“ beschäftigt. Jetzt versuchen sich erstmals auch Zeitungen an Wissensmagazinen, die nicht beigelegt, sondern eigenständig am Kiosk verkauft werden. Es sind zum einen die „Süddeutsche Zeitung“ mit „SZ Wissen“ sowie die (wie der Tagesspiegel zu Holtzbrinck gehörende) „Zeit“ mit „Zeit Wissen“. Beide Zeitungen haben in Leserbefragungen festgestellt, dass bei den Lesern die Wissensthemen zum Teil noch vor der Politik auf dem ersten Platz rangieren. Die „SZ“ begründet ihr Wissensmagazin zudem mit Ergebnissen aus der Allensbacher Markt- und Werbeträger-Analyse (AWA). Demnach sei „unter den an Wissenschaft und Forschung interessierten Bundesbürgern der Wissensdurst noch lange nicht gestillt“.

Ein Boom also? Dagegen sprechen die Auflagenzahlen der etablierten Titel: Fast alle verlieren aktuell mehr oder minder an Auflage – seien es „Bild der Wissenschaft“ (minus zehn Prozent auf 104 000 verkaufte Exemplare), „Spektrum der Wissenschaft“ (minus 1,1 Prozent auf 99 000) „Geo“ (minus 2,6 Prozent auf 446 000) oder „Mare“ (minus 7 Prozent auf 30 000 verkaufte Exemplare). Die Macher von „SZ“ und „Zeit Wissen“ argumentieren anders. Sie glauben, eine Lücke entdeckt zu haben zwischen jenen Zeitschriften, die „vor allem Fachleute ansprechen und jenen anderen, die Wissen über die pure Faszination zu transportieren“ versuchen, sagt Patrick Illinger, Redaktionsleiter von „SZ Wissen“: „Nah an der Erlebniswelt der Menschen“ und „Teil der gesamtgesellschaftlichen Diskussion“ seien die Themen von „SZ Wissen“. So liest sich auch das Inhaltsverzeichnis: „Spurenlesen im Kopf – Hirnforscher entschlüsseln mit Hightech-Instrumenten die Gedankenwelt“, lautet das Titelthema. Weitere Themen sind: „Die letzten Tropfen – Das Öl reicht noch lange, sagen die einen. In zehn Jahren wird es knapp, sagen die anderen“ oder „Die Küche lebt. Wer Mikroben auf der Klobrille fürchtet, sollte nie wieder einen Kühlschrank öffnen“. Illinger sagt: „Mit den Mitteln des modernen Magazinjournalismus wollen wir Leser für wissenschaftliche Themen interessieren, die nicht Zielgruppe der gängigen Wissenschaftsmagazine sind.“ Vier Euro kostet „SZ Wissen“, das künftig vierteljährlich erscheinen soll. Von der ersten Ausgabe werden 200 000 Exemplare gedruckt – die Hälfte davon wünscht sich der Süddeutsche Verlag als verkaufte Auflage.

„SZ Wissen“ und „Zeit Wissen“ lieferten sich in den vergangenen Tagen ein Wettrennen darum, wer es als Erster an den Kiosk schafft. Ursprünglich hatte die „SZ“ angekündigt, ihr Wissensmagazin am 11. Dezember erscheinen zu lassen. Als das für 2005 geplante „Zeit Wissen“ dann bereits für den 9. Dezember avisiert wurde, zog die „SZ“ ihren Starttermin auf kommenden Sonnabend, den 4. Dezember, vor. Nun schaltete wiederum „Zeit Wissen“ einen Gang höher und erscheint bereits an diesem Donnerstag, den 2. Dezember.

Im Gegensatz zu „SZ Wissen“ hat „Zeit Wissen“ eine eigene, siebenköpfige Redaktion, geleitet von Christoph Drösser, zuvor Redakteur im „Zeit“-Ressort Wissen. Herausgeber sind Gero von Randow, bei der „Zeit“ Politikredakteur, und Andreas Sentker, Leiter des „Zeit“-Ressorts Wissen. Fünf Euro kostet „Zeit Wissen“, das mit 124 Seiten etwas dicker ist als „SZ Wissen“, mit einer höheren Druckauflage, nämlich 250 000 Exemplaren, an den Start geht und im kommenden Jahr definitiv viermal erscheint. Noch etwas unterscheidet die beiden: „Zeit Wissen“ ist klar untergliedert in die Bereiche Wissenschaft, Gesundheit, Technik und Leben. Die Marktforschung hatte ergeben, dass die Leser eine Heftstruktur wollen, um sich zurechtzufinden. Einen unkonventionellen Weg beschreitet „Zeit Wissen“ mit dem Titelbild, auf dem gleichberechtigt vier Themen angekündigt sind. Ob es um die falschen Versprechen der Kosmetikbranche bei Faltencremes geht, um den Erfinder des Tampons, nicht ganz ernst gemeinte Experimente mit der Mikrowelle oder die aufwändige Infografik zu einem Grippe-Virus und die damit verbundene Angst vor einer Epidemie: Drösser versteht „Zeit Wissen“ als eine Illustrierte, die Wissen mit Alltagsbezug vermittelt und dem Leser auch Spaß machen soll.

2005 steht das Jahr im Zeichen Albert Einsteins. Wer weiß, welcher Verlag dann noch hofft, auf den Zug aufzuspringen. So wird Burda im Zusammenhang mit der Sendung „Welt der Wunder“ genannt, sollte man sich entschließen, einen Printableger zu gründen. Auch „Bild“ werden Pläne nachgesagt. Kurz vor der Marktreife soll der Printableger zur Pro-7-Sendung „Galileo“ stehen. Unter dem Arbeitstitel „Gravity“ bastelt „P.M.“-Herausgeber Hannes Sprado in München an einem entsprechenden Zeitschriftenkonzept. Allen Plänen ist eine Erkenntnis gemein: In einer komplexer gewordenen Welt fordern die Menschen von den Medien Orientierung. Mit dem komplexen Wissen ist es aber wie mit den Zeitschriften. Gibt es zu viele davon, findet sich der Leser am Kiosk nicht mehr zurecht.

www.sz-wissen.de

www.zeit-wissen.de

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