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History-TV: Jäger und Sammler

70 000 Jahre im Schnelldurchlauf: Die BBC inszeniert Momente der Menschheitsgeschichte. Ausstatter und Maskenbildner hatten eine ganze Menge zu tun.

Der Neandertaler ist größer und kräftiger, aber er verliert. Eine Gruppe der Spezies Homo sapiens ist hinter ihm her, mit Speeren bewaffnet. Der Neandertaler läuft auf einen Abgrund zu, rutscht aus, hält sich am Rand fest. Das kennt man aus dem Kino. Doch bevor der Homo sapiens dem Neandertaler auf die Finger tritt, wie einst Martin Landau dem armen Cary Grant in Hitchcocks „North by Northwest“ (Der unsichtbare Dritte), lässt sich der Gejagte lieber fallen und wird, verletzt am Boden liegend, vom Speer eines Urmenschen durchbohrt. Das ist natürlich nicht ganz fair, immerhin haben unsere Vorfahren das Duell in der Steinzeit gewonnen – aufgrund „unserer hoch entwickelten Sprache“, wie der Kommentar aus dem Off erklärt. In der Inszenierung waren wohl eher die Überzahl und der Speer ausschlaggebend.

Aber man sollte nicht kleinlich sein, wenn man sich einem Bilderrausch im Affenzahntempo hingibt. „Die Geschichte des Menschen“ erzählt schlappe 70 000 Jahre in acht einstündigen Folgen, „eingedampft auf etwa 50 Schlüsselmomente“, erläutert Dieter Moor das Konzept. Moderator Moor begnügt sich mit launigen Kurzauftritten, kommt zu Beginn wie ein Showmaster die geschwungene Treppe im Berliner Bode-Museum hinunter. Das passt ganz gut zu diesem größenwahnsinnig anmutenden Versuch, die ganze Menschheitsgeschichte fernsehgerecht zu erzählen. Die BBC hat sich das ausgedacht, als Koproduzent ist unter anderem der amerikanische Discovery Channel dabei und als deutscher Partner Alexander Kluges Firma dctp. Die dctp bestückt bei Vox als unabhängiger Anbieter Programmfenster und darf dort zwei Abende lang britisches Hochglanzfernsehen der Extraklasse präsentieren.

Extraklasse? Jedenfalls, wenn man akzeptiert, dass hier Geschichte nicht als Prozess, sondern als Abfolge von dramatischen Situationen und Einzelleistungen dargestellt wird. Hier reden keine Experten dazwischen, auch mit Bildern von Ausgrabungsstücken und Dokumenten gingen die fünf verschiedenen Regisseure sparsam um. Stattdessen: opulente Inszenierungen mit insgesamt rund 1100 Schauspielerinnen und Schauspielern, eine monumentale Leistung von Ausstattern und Maskenbildnern, dazu, na klar, hübsche Animationen. Der Blick ist nicht allein auf Europa und Amerika gerichtet, auch Asien, insbesondere China, und sogar ein bisschen Afrika spielen eine Rolle. Die Reihe endet mit einer Folge allein über das 20. Jahrhundert.

Zwar wird gerne und viel gekämpft, aber es gibt auch kurze Dialogszenen, in denen die Darsteller ihre Muttersprachen sprechen. In Folge fünf („Raubzüge und Plünderungen“) etwa gibt sich Martin Luther vor dem Reichstag zu Worms störrisch – auf Deutsch. Und wenn vom Platzen der ersten Spekulationsblase die Rede ist, sprechen die Darsteller Niederländisch, denn es geht um das Geschäft mit Tulpenzwiebeln zu Beginn des 17. Jahrhunderts. Man staunt, aber warum die Saat des Finanzkapitalismus ausgerechnet mit der Tulpe aufging, versteht man nicht so ganz.

„Das erste Mal“ ist überhaupt eine gern benutzte Formel. Die Reihe feiert die Momente, in denen alles anfing, die Zündfunken der Geschichte: In Folge eins die erste Nähnadel, die den Jägern zu wärmerer Kleidung verhalf. Oder das erste Mal, als jemand Samenkörner in die Erde pflanzte. Der Homo sapiens wurde sesshaft, nur ein paar tausend Jahre oder ein paar Fernsehminuten später hat er Hochkulturen entwickelt. In Ägypten stehen Pyramiden, interessant fanden die Macher die angeblich ersten, auf Tontafeln überlieferten Alltagsgeschichten einfacher Leute. So schafft es kein Pharao, aber Panep, ein Arbeiter beim Pyramidenbau, ins Fernsehen des 21. Jahrhunderts. Es gab einen Prozess gegen ihn: Weil er Königsgräber ausraubte, betrunken vor dem Haus seines Stiefvaters randalierte und mit Frau und Tochter eines Kollegen schlief. Womit die Frage geklärt wäre, ob sich der Homo sapiens eigentlich seit der Antike weiterentwickelt hat.

„Die Geschichte des Menschen“; Vox, Folge 1-4, heute; Folge 5-8, 2. Februar, jeweils ab 20 Uhr 15

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