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Dem Kirchenmann Thomas Müntzer (1489 bis 1525, dargestellt von Stéphane Lalloz) gingen Luthers Reformen nicht weit genug. Müntzer kämpfte nicht nur gegen das Papsttum, sondern im Bauernkrieg genauso gegen die weltliche Führung. Foto: ZDF

© Torbjörn Karvang

Histotainment: Bildung und Bilderfutter

Die Kölner Gruppe 5 hat Geschichte fürs Fernsehen entstaubt. Auch die zweite Staffel „Die Deutschen“ hält die Quotenerwartungen.

Otto I. (912-973) war König der Deutschen und Kaiser des Römischen Reichs, zugleich ist er Quotenkönig des deutschen Geschichtsfernsehens. Der ihm gewissermaßen den Thron gezimmert hat, sitzt in einem geräumigen Büro in der Kölner Südstadt: Uwe Kersken ist Geschäftsführer und kreativer Kopf der Produktionsfirma Gruppe 5, eine der erfolgreichsten Dokuadressen in Deutschland, an der seit 2002 die öffentlich-rechtliche Vertriebsfirma ZDF Enterprises und seit kurzem auch die NDR-Tochter Studio Hamburg Production Anteile hält. „Ich wünsche mir eine partnerschaftliche Zusammenarbeit – und dass es nie zu Angst kommt. Sie wissen ja, Angst essen Seele auf“, sagt Uwe Kersken. Der 60-Jährige ist ausgebildeter Psychotherapeut.

Vordergründig betrachtet, muss er sich wohl nicht besonders sorgen. In den vergangenen Jahren hat die Gruppe 5 für ARD und Arte, aber vor allem für das ZDF Historisches aller Art dokumentiert und inszeniert, von der Varusschlacht über die Völkerwanderung bis zu „60 Jahre Grundgesetz“. Mitten hinein in die Sarrazin-Debatte geriet zuletzt der bemerkenswerte, aufwändig recherchierte Zweiteiler „Wohin treibt der Islam?“, dessen Einschaltquoten aber weit unter der sensiblen Grenze von zehn Prozent Marktanteil lagen, „da kommt immer Stress auf“, sagt Kersken. Auch den „Terra X“-Dreiteiler „Universum der Ozeane“ brachten Kersken und seine Co-Geschäftsführerin Christel Fomm ins Fernsehen.

Den Vogel aber schoss der Zehnteiler „Die Deutschen“ ab, der 2008 gleich mit der ersten Folge über Otto den Großen im ZDF auf verblüffende 20,9 Prozent Marktanteil gekommen war. Im Durchschnitt sahen bei der Reihe 5,11 Millionen Zuschauer (16,1 Prozent) zu. Das vergleichsweise rege Interesse auch beim jungen Publikum erklärt sich Kersken damit, dass die Lehrer an den Schulen bisher nicht die Mittel gehabt hätten, um Historisches derart anschaulich zu erzählen. Nicht nur der auf Zeitgeschichte spezialisierte und viel kritisierte Guido Knopp, sondern auch Peter Arens, Leiter der ZDF-Hauptredaktion Kultur und Wissenschaft, sowie die Gruppe 5 haben das Fach fürs Fernsehen gründlich entstaubt. Wie glatt und glänzend die Oberfläche für die Primetime sein muss, darüber darf gestritten werden – immerhin ist etwas zum Streiten da.

Das treibt die Quoten auch in der seit zwei Wochen laufenden zweiten Staffel von „Die Deutschen“ in die Höhe. Auf dem Sonntagssendeplatz erreichten die ersten Folgen der neuen Staffel im Schnitt bisher einen Marktanteil von 16,4 Prozent, am Dienstag von 11,5 Prozent. An beiden Tagen liegen „Die Deutschen“ damit erheblich besser als die sonst ausgestrahlten Dokus. Wieder wird deutsche Geschichte über die Biografien Prominenter entschlüsselt, an diesem Sonntag steht der aufrührerische Reformator Thomas Müntzer im Mittelpunkt. Anders als Martin Luther war Müntzer bereit, notfalls auch mit Gewalt für eine gerechtere Ordnung zu kämpfen. Wie in der ersten Staffel ist der Anteil der Spielszenen hoch. „Reenactment ist absolut notwendig“, sagt Kersken. Große Schlachtenszenen gehörten als Bilderfutter ebenso dazu wie digitale Animationen und Effekte, doch der Anspruch an Inszenierung und Schauspielkunst haben zugenommen, Dialoge – vor Jahren noch verpönt – werden selbstverständlicher.

„Wir machen nach wie vor Kunst“, betont Kersken, der die jeden Film minutiös analysierende Quotenmesserei infrage stellt und zugleich erklärt, wie wichtig es sei, möglichst viele Zuschauer mit „edukativen“ Filmen zu erreichen – der Widerstreit eines Produzenten zwischen Bildungsanspruch und Erfolgsdruck. Über Umsatzzahlen reden Kersken und Fomm nicht so gerne, aber dass die Firma gut im Geschäft ist, ist nicht zu übersehen. Die Beteiligung der ZDF- und ARD-Töchter hat für Kersken den Vorteil, „dass nicht alle im dunklen Kämmerlein vor sich hin puzzeln. Wir können frühzeitig mit den Programmmachern reden, auch über mittelfristige Pläne.“ Automatismen oder feste Abgabequoten gebe es jedoch nicht. „Ich muss hart arbeiten, um unsere Filme zu verkaufen“, sagt Kersken. Gerne würde er häufiger mit der ARD ins Geschäft kommen. Über die Zukunft nicht nur historischer, sondern generell dokumentarischer Formate wird dort zurzeit intensiv beraten: „Ich hoffe, dass sie dafür ein Herz und Sendeplätze haben.“

Als zweite Geschäftsführerin hält die Fotografin und Filmemacherin Christel Fomm den Laden in der Kölner Südstadt zusammen und arbeitet dabei auch hinter der Kamera. „Ein Traumjob“, sagt sie, „anstrengend, aber schön“. Kersken entwickelt Ideen, pflegt Kontakte, schafft Aufträge heran. Beide sind übrig geblieben von den fünf Einzelkämpfern, die sich 1989 zur Gruppe 5 zusammengeschlossen hatten. Wenige Jahre später waren sie eigentlich pleite, die Eltern halfen mit Krediten aus. Ihre ersten Filme, die auch international erfolgreich waren, drehten sie für die Kinder- und Familienprogramme des WDR: „Delphingeschichten“ (1992) und „Fabeltiere“ (1999).

Mittlerweile ist die Gruppe 5, ungewöhnlich für eine deutsche Produktionsfirma, weltweit bestens vernetzt. Mehrfach wurde sie bei der Branchenumfrage des kanadischen Fachblatts „Realscreen“ auf die Liste der weltweit 100 besten Produktionsfirmen für dokumentarisches Fernsehen gewählt – häufig als einzige aus Deutschland. Als Ritterschlag empfindet Kersken jedoch vor allem, dass der National Geographic Channel (USA) die Gruppe 5 mit drei Produktionen beauftragt hat: über die chinesische Mauer, die Geschichte der Seide und Szenarios der Zukunft („Building the Future“). Eine deutsche Fernsehfirma, die für den amerikanischen Markt produziert, „ohne dass wir einen deutschen Sender mitbringen“ (Kersken): Das ist auch eine Art historische Leistung.

„Die Deutschen II“, 19 Uhr 30, ZDF

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