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Medien: „Hör uff“

RBB startet Reihe gegen Gewalt im Alltag

„Det Mädel lag schon uff der Erde und blutete aus dem Kopp“, sagt Andy, „aber er hat weiter eingeschlagen, obwohl alle andern gesagt ham, hör uff, hör uff.“ Die Rede ist von Florian, siebzehn Jahre alt. Er rastet schnell aus und schlägt zu. Man kann das erklären: Die Mutter verließ ihn, als er noch ein Baby war, und der Vater misshandelte ihn. Die Erklärung hilft Florian wenig bei seinem Versuch, ein Leben ohne Gewalt zu lernen. Seine Pflegeeltern Gabi und Andy wissen oft nicht weiter mit ihm. Gabriele Jenk erzählt in ihrem Film „Nicht mehr auf die Fresse hauen“ von Florian, seiner Aggressivität, und von denen, die versuchen, ihm zu helfen.

Seit neun Jahren lebt Florian bei seiner Tante Gabi und deren Mann Andy. Florian flog von der Schule, wechselte zur Sonderschule. Dort rastete er wieder aus und schlug einen Lehrer. Gabi und Andy brauchten Hilfe und bekamen sie auch, durch eine Familienhelferin des Vereins „Horizonte“. Florian geht auch zu einem Anti-Aggressionstraining. Florian leistet gemeinnützige Arbeit auf einem Abenteuerspielplatz. Und trotzdem ist es schwierig mit ihm. Warum?

Gabriele Jenk hat nur eine dreißigminütige Reportage zur Verfügung. Sie beobachtet einige typische Situationen in der Familie und zeigt Florian bei seinen pädagogisch motivierten Außenaktivitäten. Der Filmkommentar informiert uns über das, was zum Verständnis nötig ist. Das Problem bei Filmen wie diesen ist: Was erfährt der Autor, die Autorin nur im Vertrauen? Was darf im Fernsehen gesagt werden? Welche Kritik schadet letztlich mehr (und zwar dem Jugendlichen, um den es hier geht) als sie nützt?

Die Familienhelferin soll sich auf die gesamte Familie beziehen. Zum Konflikt gehören ja meist mehrere. Trugen vielleicht auch die Pflegeeltern dazu bei, dass der Junge ausrastete? Gabi gibt ohne Umschweife zu, dass sie vor allem in den ersten Jahren auch bei kleinen Konflikten „immer sofort hochgegangen“ ist. Die Familienhelferin sagte zwar, sie solle versuchen, ruhig zu bleiben, das fällt Gabi aber schwer. Ein Beispiel erleben wir auf dem Wochenmarkt. Was war? Florian wollte heute duschen, sagt Gabi, dabei war das gestern angesagt. „Du kannst dich verdammt noch mal an die Scheißregeln halten“, faucht sie Florian an, „wenn du dich nicht an die Regeln hältst, Florian, dann geh woanders hin.“ Andy beschwert sich bei anderer Gelegenheit: „Du kommst ja ständig zwei, drei Minuten zu spät!“ Sogar geprügelt habe man sich mal in der Wohnung, erzählt Gabi. Florians Verhalten schildert sie so: „Er klickt aus, das Gehirn schaltet total ab, es schaltet nur auf Aggressivität, da ist nichts mehr drinne in diesem Gehirn, da ist nicht drinne, dass er überhaupt ein Mensch ist …“

Wie die Familienhelferin den Pflegeeltern vermittelt, dass ihr Verhalten, ihre Sichtweise der Ereignisse, ihr Bild von Florian wichtig sind für dessen Entwicklung, kommt in diesem Film leider etwas zu kurz. Welche Möglichkeiten hat sie, wo sind ihre Grenzen? Florian liebt seine Pflegeeltern, er gibt sich Mühe, es gibt Hoffnung, trotz allem. Was mit dem Mädchen geworden ist, das er blutig geprügelt hat, und wie Florian Ereignisse wie diese verarbeitet, darauf geht die Autorin hier nicht ein. Wie gesagt, es ist halt eine kurze Reportage.

Der Film ist Auftakt der vierteiligen Reihe „Blinde Wut – Gewalt im Alltag“, die der RBB im wöchentlichen Abstand sendet. „Woher kommt die Gewalt, welche Mechanismen führen zu ihrer Entstehung?“, fragt der Pressetext. „Was kann die Gesellschaft in der Schule, im Elternhaus dagegen tun?“

„Nicht mehr auf die Fresse hauen“; RBB, Mittwoch, 21 Uhr

Eckart Lottmann

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