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Medien: Hollywood? Nollywood!

Nigerias Filmindustrie boomt und tröstet

Ob man eine solche Szene in Nigerias stürmisch wachsender Metropole Lagos je in echt erleben würde, bleibt zweifelhaft: Ein Bursche, der an einer Kreuzung für ein paar Münzen Autoscheiben putzt, wird von einem Fahrer böse beschimpft. Da beugt sich eine junge Schöne aus einem anderen Fahrzeug, ruft ihn und drückt dem Glücklichen ein paar Scheine in die Hand – Startkapital für eine bessere Zukunft. So beginnen Love Storys im bevölkerungsreichsten Land Westafrikas – in einem der etwa 1400 Filme, die jährlich in den Studios von Lagos, zumeist in englischer Sprache, entstehen und ausschließlich für den DVD-Markt (Durchschnittsauflage: 50 000 Exemplare) bestimmt sind. Kinos gibt es in Nigeria nur wenige.

Nach dem indischen Bollywood hat die Berliner Filmemacherin und Leiterin des Talente Campus der Berlinale, Dorothee Wenner, nun Nollywood, die junge und quantitativ größte Filmindustrie der Welt entdeckt, von der man außerhalb Afrikas bislang wenig wusste. Zwölf Filmausschnitte vermitteln einen Eindruck von den vorherrschenden Stereotypen Liebe, Gewalt, Horror und Wunderglaube. Die Führung durch diese fremde Welt hat die Autorin einer resoluten Frau überlassen, Peace Aniyam-Fiberesima, die als Gründerin und Leiterin der African Movie Academy beste Kontakte zu Produzenten, Regisseuren und Schauspielern unterhält. Energisch hebt sie die wirtschaftliche und künstlerische Unabhängigkeit des nigerianischen Films hervor – ein Seitenhieb auf die Regisseure in französisch geprägten Ländern mit ihren Verbindungen nach Paris. Aus Nebenbemerkungen darf man freilich auf Kapitalflüsse aus der nigerianischen Erdölindustrie schließen.

Einmal führt nicht Frau Aniyam-Fiberesima, sondern ein Kritiker die deutschen Gäste durch einen ausgedehnten Slum, deren Bewohner zwar in ihren Bretterbuden kein Wasser, oft auch keinen Strom haben und keine bessere Zukunft vor Augen, sich jedoch von mittags bis Mitternacht in einer der zahlreichen Videotheken von Soap-Operas und andere Filme über ihre missliche Lage trösten lassen.

Deutlicher könnte kaum gezeigt werden, wie sehr die nigerianische Bilderfabrik vor allem der Ablenkung und Ruhigstellung der vor Jahrzehnten noch von einer Militärdiktatur drangsalierten Bevölkerung dient. Auf dem Sockel des wirtschaftlichen Erfolgs scheinen nun jedoch mehrere junge Regiepersönlichkeiten auf dem Sprung in die kleine, aber ansehnliche afrikanische Filmavantgarde, die derzeit nur französisch spricht. Man darf gespannt sein, ob demnächst eine Entdeckung aus Nigeria die Berlinale, für die Dorothee Wenner auch als Beraterin tätig ist, bereichern wird. Hans-Jörg Rother

„Mission Nollywood – Peace Mission“, Arte, 22 Uhr 25

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