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Hyperlokale Medien: Jenseits des Blumenkübels

Viele Gemeinden in Deutschland haben nur noch eine Zeitung – lokale Online-Magazine können die Vielfalt sichern.

Sie heißen „Tegernseer Stimme“, „Heddesheim Blog“ oder „Prenzlauer Berg Nachrichten“. Während in fast der Hälfte aller Kreise oder kreisfreien Städte in Deutschland nur noch eine Zeitung über das lokale Geschehen berichtet, hat sich in den letzten Jahren eine Vielzahl lokaler Online-Zeitungen etabliert. Sie schreiben über Hermia und Demetrius bei der jüngsten Shakespeare-Aufführung am örtlichen Gymnasium und sind dabei, wenn die Anwohner am Arnswalder Platz mit einer Protestaktion ihre Grünanlagen säubern. Meist von freien Journalisten gegründet, sind einige Lokalblogs inzwischen sogar wirtschaftlich überlebensfähig. Doch der Markt ist schwierig – die Werbekunden, in erster Linie lokale Geschäfte, sind in vielen Fällen noch nicht im Internet angekommen.

Philipp Schwörbel ist verantwortlich für die Seite prenzlauerberg-nachrichten.de. Er hat ein interessantes Phänomen beobachtet. „Es gibt eine klare Diskrepanz zwischen der privaten Online-Nutzung und der Nutzung im Beruf. Wer als Privatperson im Internet ganz selbstverständlich einkauft und auf Google etwas sucht, der schaltet für sein Geschäft noch lange keine Internet-Werbung.“ Hier müssen die Betreiber lokaler Nachrichtenseiten noch viel Überzeugungsarbeit leisten. Die großen Verlage haben den lokalen Werbemarkt im Internet bislang vernachlässigt. Funktionierende Werbeformen mussten in den letzten Jahren erst entwickelt werden – von Schwörbel und anderen Journalismus-Unternehmern. Schwörbel glaubt an sein Geschäftsmodell, gerade im Prenzlauer Berg sei aber die Konkurrenz der Werbeträger sehr groß: Tageszeitungen, Anzeigenblätter und nicht-journalistische Printformate, gegen alle muss sich Schwörbel behaupten, wenn er neuen Kunden die Werbeformate der „Prenzlauer Berg Nachrichten“ erklärt. Ein Modell, das sich für viele Portale inzwischen bewährt hat, ist eine begrenzte Zahl von Premium-Partnern, die einen festen Platz auf der Seite bekommen. Die meisten erfolgreichen Seiten setzen zudem auf einen Freundeskreis, der die Seite mit Spenden unterstützt.

Als Vorzeigemodell unter den Lokalblogs gilt die tegernseerstimme.de. Seit 2010 berichtet das Portal von Peter Posztos für die Bewohner des Tegernseer Tals. Die Zielgruppe ist überschaubar, circa 30 000 Menschen leben in dem Gebiet. Der einzige journalistische Mitbewerber ist die „Tegernseer Zeitung“, ein Ableger des „Münchner Merkurs“. Viele Jahre lang hat das Blatt konkurrenzlos berichtet – das hatte laut Posztos Auswirkungen auf die Qualität. „Wenn es darum geht, kritisch zu berichten, haben wir immer ein Monopol.“ Die „Tegernseer Stimme“ bietet aber mehr als kritische Berichte aus dem Rathaus. Es gibt Beiträge über kulturelle Events, auch der Sport ist wichtig – ein Mitarbeiter schneidet sogar die Spiele der lokalen Fußballvereine zu Sportschau-ähnlichen Videobeiträgen zusammen. Die Talbewohner schätzen das Angebot, 90 000 Visits hat die Seite monatlich im Durchschnitt. Zwischen 6000 und 7000 Euro Umsatz macht die „Tegernseer Stimme“ im Monat, davon bezahlt Peter Posztos die Miete und die Computerkosten, der Rest geht für Personalkosten drauf. Posztos beschäftigt einige freie Mitarbeiter und einen Volontär, den er nach Tarif bezahlt. Auch sich selbst zahlt er ein Gehalt.

Vor der Gründung der Tegernseer Stimme hat Posztos einige Start-ups aufgebaut, darunter die Schnäppchenseiten mydealz.de und guut.de. Er weiß, wie man verkauft. Nach inzwischen fast drei Jahren ist aus dem Verkäufer Posztos auch der Journalist Posztos geworden. Für ihn war es eine harte Lehrzeit. Feedback auf Artikel kommt sofort, von Werbepartnern, Bürgermeistern und in den Kommentaren der Seite. In seinem vorherigen Job hat er zwar mehr Geld verdient, Journalist und Unternehmer will er dennoch bleiben: „Ich kann mich selbst verwirklichen. Ich kann Themen auf die Tagesordnung setzen. Und ich habe das Gefühl, dass wir etwas verändern können.“

„Meine Südstadt“, das Heddesheimblog, das Weinheimblog, die „Tegernseer Stimme“, die „Prenzlauer Berg Nachrichten“ – wenn man sich die mehr oder minder erfolgreichen Lokalblogs der Republik ansieht, dann sind es drei Dinge, die zusammenkommen müssen, damit ein Online-Angebot Chancen auf Erfolg hat. Erstens: Entweder vernachlässigen klassische Zeitungen ihre Aufgabe oder haben die Lokalredaktion gleich ganz abgeschafft. Zweitens: Die Zielgruppe und das eigene Angebot müssen klar definiert sein. Drittens und am wichtigsten: Jemand muss sich von Beginn an intensiv um das Marketing kümmern, Klinken putzen und Geschäftspartner überzeugen.

In Trier haben sie vor allem Punkt Nummer drei lange vernachlässigt. „Wir sind Journalisten, wir haben keinen, der sich im Marketing auskennt und der das konsequent gemacht hätte“, sagt Marcus Stölb, einer der beiden Gründer von 16vor.de. Schon vor sechs Jahren gestartet, etablierte sich ihr lokales Internet-Magazin schnell als zweite Stimme neben dem „Trierer Volksfreund“. Als Monopolist bei der kritischen Berichterstattung würde sich Stölb zwar nicht bezeichnen, doch auch er denkt, dass „16vor“ kritischer über die Belange der Stadt berichtet als der „Volksfreund“. Das sehen inzwischen auch 150 000 monatliche Besucher so. Nur bezahlen wollen die wenigsten für diesen Service. Marcus Stölb glaubt trotzdem fest daran, dass es den Markt für sein Produkt prinzipiell gäbe. Doch wenn die Einnahmen nicht bis zum Jahresende signifikant steigen, will er aufgeben. Verständlich, denn für ihn ist „16vor“ ein Fulltime-Job bei maximal einem Halbtagslohn. „Der Aufwand steht in keinem Verhältnis zum Ertrag. Ich arbeite eigentlich sieben Tage die Woche, richtig in Urlaub fahren geht auch nicht“, sagt Stölb. 30 Euro verdienen Autoren auf „16vor“ pro Artikel, das Honorar hat Stölb seit Jahren nicht erhöht. Sich selbst zahlt er aus Spendengeldern des Freundeskreises noch eine Aufwandspauschale von 250 Euro. Insgesamt kommt er so auf etwa 1000 Euro im Monat. Davon kann niemand leben.

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