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Medien: „Ich bin nicht Mister Allwissend“

Die Wahrheit nicht zu kennen, sei die Regel. Das will Ulrich Wickert dem Zuschauer auch im Golfkrieg erklären

Herr Wickert, wo werden Sie sein, wenn der zweite Golfkrieg ausbricht?

Vermutlich in meinem Büro und dann im Studio der „Tagesthemen“.

Ein Krieg braucht einen Grund. Was genau wissen wir?

Eine sehr schwierige Frage. Ich nehme zum Beispiel den amerikanischen Vorwurf gegen den Irak sehr ernst, der Irak verfüge über Massenvernichtungswaffen. Ich wollte hören, was Menschen wissen, die hohe Positionen bekleiden. Ich habe die Quellen, die mir zugänglich sind, befragt, und die behaupteten, soviel zu wissen wie wir auch.

Das heißt für die Medien: Wir wissen nichts und können auch nicht mehr wissen.

Natürlich würden wir immer gern mehr wissen. Aber auch wenn Sie fünfzig Jahre nach einem wichtigen politischen Vorfall die Akten studieren, kann es immer noch sein, dass Sie die Wahrheit nicht finden.

Sind wir nicht fähig, der Wahrheit auf die Spur zu kommen?

Auf die Spur schon. Aber weder Journalisten noch Historiker werden je die ganze Wirklichkeit erfassen können.

Aber wir wissen nicht gerade viel über die wahre Motivation der Amerikaner, den Irak anzugreifen.

Die Wahrheit nicht zu kennen, ist die Regel. Ich habe einmal vor einem Deutschlandbesuch den französischen Staatspräsidenten Francois Mitterrand interviewt. Ich war schon wieder im Studio, als ein Anruf kam, ob man sich das Interview einmal ansehen könne. Mitterrands außenpolitische Beraterin kam, sah und hatte offenbar nach der Hälfte des Interviews gefunden, wonach sie suchte. Auf Wunsch der Franzosen habe ich eine Antwort Mitterrands rausgeschnitten. Erst sehr viel später habe ich verstehen können, worum es ging. Der französische Präsident hatte angedeutet, dass er den Deutschen angeboten hatte, über französische Atomraketen mitzubestimmen. Das wäre damals eine Sensation gewesen. Ich konnte Mitterrands Satz jedoch nicht einschätzen, weil mir die Informationen zur Einordnung fehlten. So ist das mit der Wahrheit.

Ist das Fernsehen eine Lügenmaschine?

Sicher nicht. Fernsehen ist für mich eine Art der Information, die durch Bild und Ton zu mir kommt. Aber ich benutze natürlich auch noch andere Informationsquellen zur Abrundung. Fernsehen alleine kann nie das ganze Bild zeigen.

Man muss immer misstrauisch sein?

Ich weiß, dass ich dann und wann skeptisch sein muss. Dann greife ich zum Telefon und rufe Quellen vor Ort an, um zu fragen, was los ist.

Vermitteln Sie nicht per „Tagesthemen“ den Eindruck, über Gewissheiten zu verfügen?

Tut mir leid, wenn ich Ihnen diese Illusion nehmen muss. Ich bin nicht Mister Allwissend. Am 11. September 2001 habe ich zum Beispiel meine Unkenntnis, was bestimmte Sachverhalte betraf, während der Sendung öffentlich gemacht. Es gab eine Meldung, dass zwei weitere Flugzeuge vermisst würden. Ich habe gesagt, es gäbe diese Meldung, aber ich wüsste nicht, ob sie stimme. Tatsächlich sind auch EilMeldungen von Nachrichtenagenturen manchmal fehlerhaft. Und diese war es. Mir war wichtig, dass der Zuschauer erfährt, dass auch wir nicht alles wissen, und er begreift, wie Nachrichten sich entwickeln.

Sie sind dafür kritisiert worden.

Ich werde viel kritisiert. Aber ich würde es genauso wieder machen.

Werden Sie uns im Irak-Krieg wieder mit ungewissen Nachrichten kommen und dazu aufrufen, kritisch mitzudenken?

So ungewiss sind unsere Nachrichten ja auch wieder nicht. Aber gelegentlich ist es ja nicht falsch, den Zuschauer am Entstehungsprozess von Nachrichten-Sendungen teilhaben zu lassen. Im Übrigen halte ich es auch für sehr gefährlich, einen Krieg live zu senden, zum Beispiel einen Angriff auf Bagdad. Weil wir nicht wissen, ob da nicht plötzlich furchtbare Bilder über uns kommen, die wir dann nicht mehr verhindern können. Nicht jedes Bild muss man dem Zuschauer unbedingt zumuten.

Trotzdem werden auch Sie beim Run auf das beste Live-Bild mit dabei sein.

Wenn die ganze Welt dabei ist, dann werden wir kaum abseits stehen können. Aber wir werden sehen.

Geht das denn überhaupt: Über einen Krieg berichten, ohne zu verfälschen?

Das ist die große Herausforderung, vor der wir in diesen Tagen stehen. Nur mit „embedded journalists“ können Sie sicherlich nicht angemessen über einen Krieg berichten – aber wir haben auch andere Quellen. Wir wissen nicht, wie dieser Krieg laufen wird. Aber was wissen wir über den Afghanistan-Krieg?

Werden genügend Anstrengungen unternommen?

Äußersten Einsatz leisten unsere Teams vor Ort und in unserer Redaktion. Aber die Frage bleibt: Was findet man?

Was finden Sie?

Ich bin der Moderator, der einordnet, erklärt und zu den Einspielfilmen hinführt. Ich verkünde nichts. Ich gehe dem Handwerk nach, das ich am besten kann.

Sie wirken unglaublich ruhig und abgeklärt. Fast schon zu ruhig.

Soll ich hier wie ein Derwisch toben, damit es Ihnen besser gefällt?

Sie sind doch immerhin beinahe ein halber Franzose.

Es gibt einen bedeutenden Unterschied zwischen Franzosen und Deutschen. Die Franzosen nennen ihre Nachrichtensendungen „la grande messe", die große Messe mit viel verbalem Brimborium. Sehen Franzosen deutsche Nachrichten, dann finden sie sie anfangs langweilig. Nach einer Weile sagen sie: Aber man wird gut informiert. Trotzdem ist ihnen ihre „grande messe" doch lieber.

Dann führen wir hier also ein sehr deutsches Interview.

Wenn Sie meinen. In Paris habe ich gelernt, die Dinge gelassener zu sehen. Heute sind die Deutschen ganz allgemein viel entspannter als noch vor dreißig Jahren. Das gilt auch für den Journalismus, in dem nicht nur die Nachricht zählt, sondern inzwischen auch die Aufbereitung.

Ist das Fernsehen dadurch beliebiger geworden?

Ich gehöre nicht zu denen, die bei Veränderungen der schönen Vergangenheit nachweinen. Manchmal wünschte ich mir etwas mehr Fakten. Aber Fernsehen heißt: Erst kommt das Bild, dann der Ton und erst dann der Journalist. Wir sind Untertanen des Bildes.

Sie nehmen die Dinge, wie sie sind. Ulrich Wickert, der Abgeklärte?

Ich bin nur einer von vielen mit einer bestimmten Funktion in einer großen Redaktion.

Dem nichts wichtiger ist, als verstanden zu werden.

Das geht uns doch allen so. Deshalb ist das Buch, das ich am meisten benutze, der Duden. Ich versuche, Fremdwörter zu vermeiden, weil ich nicht am Zuschauer vorbei reden will. Ich sage zum Beispiel nicht Sanktionen und benutze nie den Begriff Holocaust. Ich rede von Strafmaßnahmen und Judenvernichtung. Das versteht jeder. Und Möllemanns Flyer ist für mich ein Flugblatt, was sogar der Gesellschaft für deutsche Sprache gefallen hat.

Wir haben verstanden.

Das Gespräch führten Joachim Huber und Thomas Eckert..

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