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Interviewpartner und Autorenteam: Der ehemalige ARD-Sportkoordinator Hagen Boßdorf (links) schrieb zusammen mit Jan Ullrich dessen Biographie. Auch sonst standen sich Radsport und Fernsehsender über Jahre erschreckend nahe. Foto: pa/dpa

© picture-alliance / dpa/dpaweb

Im Ziel: Ende einer Sturzfahrt

ARD und ZDF zeigen die Tour de France zum letzten Mal live. Damit endet ein Kapitel unrühmlicher Fernseh-Berichterstattung.

Wenn am Samstag die 98. Ausgabe der Tour de France beginnt, dann ist dies aus deutscher Sicht eine wenig erfreuliche Angelegenheit. Zum einen ist es die erste Tour seit 1992, an der kein deutsches Team teilnimmt. Und es wird die – vorerst – letzte Tour sein, die ARD und ZDF mit einer Liveberichterstattung begleiten. Mit dem Ausstieg wird der Schlusspunkt unter ein unrühmliches Kapitel der TV-Sportberichterstattung gesetzt, in der nach Jan Ullrichs Triumphfahrt von 1997 zuerst jede journalistische Objektivität aufgegeben wurde, um sich nach zahlreichen Doping-Skandalen nahezu komplett aus dem Radsport zurückzuziehen.

Das große Heulen und Zähneklappern wird im Saarländischen Rundfunk, der seit den 1960er Jahren in der ARD für den Radsport zuständig ist, erst zum Ende der Tour am 24. Juli erwartet. Der Sender bleibt für die Sportart zuständig, es sollen keine Stellen gekürzt werden. Doch allen ist klar, dass es zu den ersten Aufgaben des neuen Intendanten Thomas Kleist gehören wird, einen Ausgleich zu schaffen, um nicht an Bedeutung zu verlieren.

Das Tour-Ende für ARD und ZDF kommt nicht überraschend. Spätestens 2007 ist der Enthusiasmus einer grundsätzlichen Skepsis über die Selbstheilungskräfte der doping-verseuchten Sportart gewichen. Dass sich die Sender erst jetzt von der Frankreich-Rundfahrt zurückziehen können, liegt daran, dass die Verträge zwischen der European Broadcasting Union (EBU) und Tour-Veranstalter ASO 2011 auslaufen. Vom nächsten Jahr an werden sich die Fans beim Spartensender Eurosport versammeln, der schon von der reduzierten Live-Berichterstattung in ARD und ZDF profitiert hat. In diesem Jahr findet die Tour in noch „etwas kompakterem Rahmen“ statt, wie es das ZDF nennt. Kürzere Übertragungen, Live-Schaltungen erst zum Rennende, weniger Zeit für Land und Leute. Immerhin sollen die Bergankünfte ausführlicher präsentiert werden.

Mit dem Radsport hatten die deutschen Sender manche Grenzen überschritten. 1997 wurde Jan Ullrich von Teamkollege Udo Bölts noch mit dem legendären Satz „Quäl dich, du Sau!“ zum Tour-Sieg getrieben. 1998 wurde die ARD Sponsor des Teams Telekom. Ein Jahr später erhielt Ullrich von der ARD einen Honorarvertrag für „außergewöhnliche Aufwände“. Von einer sechsstelligen Summe war die Rede. Ende 2006 wurde der Vertrag, von dem der Partner ZDF nichts wusste, aufgelöst. Allerdings beschäftigten die Mainzer 2005 und 2006 mit Rolf Aldag ebenfalls einen aktiven Fahrer als bezahlten Experten. Sport und Sender standen sich in der Hochphase der Radsportbegeisterung erschreckend nah. Hagen Boßdorf, ehemaliger ARD-Sportkoordinator, schrieb mit Jan Ullrich dessen Biographie „Ganz oder gar nicht: Meine Geschichte“.

Peter Kaadtmann, Leiter des ZDF-Tourteams, war dabei, als die Mainzer 1998 in die Liveberichterstattung einstiegen. „Das war in dem Jahr der Festina-Affäre sicherlich kein Wunschstart.“ Nun herrscht im 25-köpfigen ZDF-Team Wehmut. In den Spitzenjahren war das ZDF-Team doppelt so stark, bei der ARD waren statt 60 Mitarbeiter über hundert im Einsatz. Schließlich gehörte die Tour neben Fußball und Olympischen Spielen zu den beliebtesten Sportereignissen. Marktanteile von über 40 Prozent waren keine Seltenheiten. Ullrichs Duelle mit Lance Armstrong kamen sogar auf 51 Prozent. Zuletzt wies der Trend wieder nach oben. Das Zuschauerinteresse legte von 2009 auf 2010 um über ein Drittel zu. Kaadtmanns Ziel für die letzte Live-Tour ist denn auch, „möglichst alles hineinzupacken, was wir können. Die Zuschauer sollen nicht unmittelbar merken, dass wir mit weniger Personal angereist sind.“

Der Ausstieg der öffentlich-rechtlichen Sender aus der Tour macht die Arbeit der Reporter nicht einfacher. Es gibt Anfeindungen von Fans, die in den Sendern die „Totengräber des Radsports“ sehen. Der Pressesprecher des Weltradsportverbandes UCI war einen ZDF-Journalisten massiv angegangen, hatte ihn wegen seines angeblich „blindwütigen missionarischen Anti-Doping-Kampfes“ angegriffen. An der Berichterstattung über die Tour wird das nichts ändern, diese ist ohnehin nur unter Vorbehalt möglich. Vorjahressieger Alberto Contador tritt zwar zur Titelverteidigung an. Hebt der Sportgerichtshof CAS den Doping-Freispruch des spanischen Radsportverbandes auf, würde ihm sowohl der Titel von 2010 aberkannt als auch ein möglicher Sieg in diesem Jahr.

Präsentation der Teams, Eurosport, 15 Uhr 30. Erste Etappe am Samstag: Eurosport, 12 Uhr, ARD 16 Uhr 05.

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