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Inflation der Online-Petitionen: „Lustlos, aber aktiv“

Was ist der Nutzen, wer sind die Nutzer der zahllosen Online-Petitionen für alles und jedes. Ein Gespräch mit den Kommunikationswissenschaftlern Wolfgang Donsbach und Benjamin Schürmann von der TU Dresden.

Herr Donsbach, Herr Schürmann, mehr als 200 000 Menschen haben bislang die Online-Petition „Für ein buntes Deutschland“ und gegen Pegida unterschrieben. Eine Million sollen es werden. Realistisch?

Ja, das kann man für realistisch halten. Eine Million wären immer noch nur 1,6 Prozent der Wahlberechtigten in Deutschland. Es gibt ja deutlich mehr Menschen, die diese positive Einstellung zu einem „bunten Deutschland“ haben, und diese sind von Alter (eher Jüngere) und Bildung (eher höher Gebildete) auch diejenigen, die solchen neuen Formen der politischen Beteiligung gegenüber aufgeschlossen sind.

Dann gab es schnell eine Pro-Pegida-Petition, die wegen der rassistischen Kommentare allerdings geschlossen wurde. So oder so: Verlagert sich der argumentative Kampf von der Straße ins Netz oder wird online nur die Begleitmusik gespielt?

Wir haben dazu gerade eine Studie abgeschlossen. Online-Petitionen kommen danach immer mehr in Mode. Selbst der Deutsche Bundestag bietet ja dafür eine Plattform an. Auf dem unabhängigen Online-Portal „openPetition“ wurden bis heute über 10 000 sogenannte „E-Petitionen“ erstellt und über zwölf Millionen Mal von Nutzern des Internet auch unterschrieben. Nach einer Allensbach-Studie hat rund jeder siebte Deutsche schon einmal an einer Unterschriftenaktion im Internet teilgenommen. Das kommt dann bereits an dritter Stelle der Partizipationsformen nach konventionellen Unterschriftsaktionen und der Beteiligung an einer Demonstration. Die Studie zeigt aber auch, dass sich der Meinungskampf weniger ins Netz verlagert, als dass er durch solche neuen Formen ergänzt wird. Mit anderen Worten: Diejenigen, die sich offline engagieren, sind auch die Ersten, die dies im Netz tun.

Was können derartige Online-Bewegungen erreichen?

In erster Linie geht es darum, Aufmerksamkeit zu erreichen und die Anhänger für eine Sache zu mobilisieren. Wirksam werden die Bewegungen aber erst dann, wenn die Offline- und Online-Medien darüber berichten. Die Forschung ist sich noch nicht einig, ob es durch Online-Petitionen zu einer Qualitätsverbesserung der politischen Partizipation kommt. Man hat dafür den Begriff „Slacktivism“ geprägt, der aus den englischen Wörtern für „lustlos“ und „Aktivismus“ zusammengesetzt ist. Dahinter steht die Furcht, dass man politisches Engagement auf einen Mausklick reduziert, sich nicht mehr intensiv mit den Dingen auseinandersetzt und mit anderen diskutiert. In der Tat wird als wichtigster Grund für die Nutzung der Plattform „openPetition“ der geringe zeitliche Aufwand genannt.

Wissen Sie von erfolgreichen Petitionen? Immerhin wurde ZDF-Moderator Markus Lanz wenn nicht um seine Aufgabe, so doch um viel Ansehen gebracht.

Sie funktionieren sehr gut bei Themen, bei denen jeder mitreden kann. Die E-Petition „Gegen die Tarifreform 2013 – Gema verliert Augenmaß“ hat 300 000 Unterstützer gefunden und eine öffentliche Diskussion mit angeschoben. Wenige Tage nach der Übergabe der Unterschriften an Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger im Dezember 2012 legte die Gema die Reform für 2013 auf Eis. Auch lokale Themen laufen gut. Zum Beispiel „Gegen überzogene Kitagebühren in Erfurt“ hatte in sechs Tagen fast 6000 Unterstützer mobilisiert. Der Bürgermeister nahm eine Vorlage für eine Gebührenordnung daraufhin zurück.

Erstaunlich, wofür um Zustimmung geworben wird: Das ZDF soll „Die Anstalt“ nach „heute“ um 19 Uhr senden, das „Bild“-Girl verschwinden, Bundespräsident Gauck die Studentin Tugce A. posthum mit dem Bundesverdienstkreuz auszeichnen. Lässt sich trotzdem eine Generallinie erkennen?

Nein. Es geht um alles und jedes. Politisches und absolut Unpolitisches.

Gibt es das eigentlich: Eine Petition gegen die Flut an Petitionen?

Wir nehmen die Frage mal ernst: Sie würde vor allem diejenigen erreichen, die sich gerne an Petitionen beteiligen. Das kann nicht erfolgreich sein…

Die Fragen stellte Joachim Huber.

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