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Achtung, Kamera. Ende März kannte der Pastor Terry Jones kein Halten mehr und führte seine Idee aus, den Koran in Florida öffentlich zu verbrennen. Wenn nicht ein Praktikant davon berichtet hätte, hätte die Welt von der Aktion aber wohl nicht erfahren. Foto: AFP

© AFP

Interessant heißt nicht relevant: Was müssen wir wissen?

Koran-Verbrennung, Missbrauch, Sarrazin: Medien können der falschen Sensation den Sauerstoff entziehen.

Von Caroline Fetscher

Obskur, sektiererisch, fanatisch. So wurde jener Pastor charakterisiert, der seine Mission in einem kleinen Provinznest im US-Bundesstaat Florida darin sah, ein Exemplar des Koran, des heiligen Buchs der Muslime, zu verbrennen. Seine Tat kündigte der Pastor Anfang September 2010 öffentlich an, und weil sie so obskur, sektiererisch und fanatisch klang, stürzten die Medien sich auf Mann und Mission, als gelte es, ein wichtiges Weltereignis zu dokumentieren. In Gainesville, Florida, drängte sich die Meute mit Mikrophonen und Kameras, aus dem Inland, aus dem Ausland reisten sie an, um über den Skandalkleriker Terry Jones und seine winzige Gemeinde zu berichten, alle, ganz offensichtlich, in Erwartung der züngelnden Flammen. US-General David Petraeus beschwor den Pastor, Hand und Feuerzeug vom Koran zu lassen, US-Außenministerin Hillary Clinton mischte sich warnend ein, ebenso der Generalstaatsanwalt Eric Holder. Ein hochrangiger Imam versuchte zu vermitteln, in Teilen der islamischen Welt waren Aufruhr und Empörung groß, es gab Tote und Verletzte, darunter Mitarbeiter der Uno in Afghanistan.

Aber auch in der westlichen Welt waren viele entsetzt. Auf der renommierten Internetplattform Huffington hieß es, die hingerissenen Medien ließen sich vom Anführer einer „mikroskopisch kleinen Idiotengemeinde“ zum Narren halten, indem sie seine Pressekonferenz als Amerikas wichtigste Tagesmeldung verkauften, die Medien seien zur Geisel eines terroristischen Wirrkopfs geworden. Es beschwerten sich Bürger wie Joni L. Reynolds, eine fromme, farbige Amerikanerin, die in einem Blog fragte, wie es denn sein könne, dass ein solcher Zelot so viel Aufmerksamkeit auf sich ziehe, während sich die Presse für große Gemeinden, die sinnvolle soziale Arbeit leisten, kaum je interessiere.

Seinerzeit ließ Pastor Obskur schließlich von dem Plan ab, das von ihm bereitgelegte Buch blieb unverbrannt. Ende März 2011 jedoch kannte der Mann kein Halten mehr und führte seine Idee aus. Amerikanische Medien allerdings spielten diesmal nicht mit, der Medienrummel blieb aus, das Ereignis blieb, neben Fukushima, neben dem Umbruch in der arabischen Welt, so marginal, wie es in Wahrheit war. Der Chefredakteur der lokalen „Gainesville Sun“ Jacki Levine, hatte sich entschlossen, dem Feuer des Pfarrers „den Sauerstoff zu entziehen“, indem seine Tat schlicht publizistisch ignoriert wurde, und Muhammed Musri, einflussreicher Imam aus Orlando, Florida, wandte sich mit einem Plädoyer zur Zurückhaltung angesichts der erneuten Pläne des Pastors an alle Medien, die zuvor dabei gewesen waren. Bewusst beschloss die Mehrheit der Verantwortlichen von Presse, Radio und Fernsehen diesmal einen gezielten „media black out“, um Gewalt zu verhindern. Nur weil Andrew Ford, ein 22-jähriger Student der Universität Florida und Praktikant bei Agence France Press (AFP), einen kleinen Bericht aus Florida geschickt hatte, der dann um die Welt ging, sickerte die Kunde von der Tat durch. Pakistans Präsident nutzte daraufhin die Gelegenheit, sich öffentlich zu entrüsten, in Afghanistan entlud sich, zehn Tage nach der Tat, die Wut in erneutem Aufruhr. 24 Tote waren die Folge. Vielleicht jedoch weniger als im andern Fall, wenn die Medien erneut massenhaft zum Komplizen des Provinzpastors geworden wären.

In bestimmten Fällen, so die Lektion dieser Geschichte, ist es klüger, ethischer, besser, nichts zu berichten. Obgleich seriöse, auf Nachrichten spezialisierte Massenmedien Chronistenpflicht besitzen, gibt es Begebenheiten, denen gegenüber Abstinenz, Distanz oder Detailverweigerung zum verantwortlichen Umgang mit der Wirklichkeit gehören. Zentral dabei ist an erster Stelle die Einordnung eines Ereignisses als repräsentativ. Fangen Tausende an, fanatische Taten zu begehen, dann muss berichtet, analysiert und nach Hintergründen gefragt werden.

Handelt es sich um wenige Einzelne, die Medien dazu bewegen, manipulieren wollen, große Gruppen anderer in Unruhe zu versetzen, ist das Berichten unter Umständen sogar fahrlässig und gefährlich. Längst gelten bei seriösen Medien gewisse Standards der Zurückhaltung in der Berichterstattung über kriminelle Taten, etwa im Bereich des Kindesmissbrauchs. In akuten Ermittlungen, etwa bei Entführungsfällen, darf die Exekutive vorübergehende Publikationssperren verhängen, um Menschenleben nicht zu gefährden.

In den meisten Fällen, bei den meisten „Ereignissen“, liegt es jedoch im Ermessen der Medien, ob, wie und wann sie berichten. Oft ist es ein Cocktail aus Zufall und Zeitgeist, der „Sensationen“ produziert, meist auch eine Kettenreaktion innerhalb der rivalisierenden Medienlandschaft: „Die anderen hatten das schon, das müssen wir auch haben!“, heißt es dann in Redaktionen. Inhalt und Wirkung sind dabei nicht selten zweitrangig.

Ein Beispiel dafür bot das Buch des Thilo Sarrazin. Mediokre Thesen zur „angeborenen Intelligenz“ von Zuwanderergruppen avancierten allein durch mediale Verbreitung zu heißem Stoff, ganz gleich, wie ablehnend oder abwägend die Medien ihrerseits mit den Thesen umgingen. Hundertfache Berichte und zusätzlich Talkshows hatten, teils – wie im Fall des Pastor Jones – durch Warnungen, das Sujet erst produziert. Im Fall Sarrazins war das Resultat 2010 ein Bestseller, in den die teils im Lesen ungeübten Konsumenten ihr jeweils favorisiertes Ressentiment hineinprojizieren konnten: „Der ist gegen Ausländer“, „gegen das marode Schulsystem“, „der beschimpft die blinden Eliten“, „der ist für mehr Nationalismus“, „tritt gegen die Politik an“, „will mehr deutsche Disziplin“ und so fort. Zum Bestseller konnte ein argumentativ krauses Buch nur werden, weil nervöse, unsouveräne Medien die Verlagswerbung tausendfach unterstützten.

Das weitaus relevantere, praxisnahe Buch des Jahres 2010, das der Berliner Jugendrichterin Kirsten Heisig, hingegen fand zwar mediale Resonanz, doch fixierte sich die Presse bald eher auf den Freitod der Autorin als auf den Inhalt ihrer Analysen und Reformvorschläge.

„Was können wir wissen?“ „Was sollen wir tun?“ „Was dürfen wir hoffen?“ Die drei berühmten Fragen Immanuel Kants zur Geschichtsphilosophie sind an ethisch orientierte Medien ebenso zu stellen, die erste allerdings neu formuliert: „Was müssen wir wissen?“ Wir müssen es absolut nicht wissen, auf exakt welche Weise einer einem Kind Gewalt angetan hat. Wir müssen nicht wissen, ob irgendwo in einem Hinterhof ein Irrer ein Buch verbrennt, oder dass ein frustrierter Politiker verworrene Gedanken zur Genetik entwickelt hat. Klare, ethische Codices in den Medien bieten Medienmachern selbst eine gute Antwort auf die Frage: „Was sollen wir tun? Was sollen wir lassen?“

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