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Flotter Sechser: Hans Ulrich Kempski (v.l.), Maya Jurt, Werner Höfer, Hella Pick, Vladimir Markow und Frederick Kempe trafen sich 1985 zum "Internationalen Frühschoppen". Der Wein fehlte selbstverständlich nicht.

© Phoenix

Internationaler Frühschoppen: Rauch und Relevanz

Der „Internationale Frühschoppen“ war die Blaupause für den Polittalk. Mit Wein, Zigaretten und sechs Journalisten aus fünf Ländern. Jetzt wird die Sendung 60.

Leer wurden die Gläser nie, dafür haben die Frauen gesorgt, die weiß beschürzt und mit Häubchen im Haar den Wein einschenkten. Mitreden durften sie nicht. Politik war Männersache, als der „Internationale Frühschoppen“ 1953 zum ersten Mal auf Sendung ging und für Millionen Zuschauer zum Sonntagsritual wurde zwischen Kirchgang und Mittagessen. Heute, 60 Jahre später, hat Deutschland eine Kanzlerin, Alkohol ist in TV-Studios eine Ausnahme und rauchen darf dort nur noch Helmut Schmidt – der „Internationale Frühschoppen“ aber ist geblieben.

„Die Sendung war die Blaupause für alle Talkshows, die danach kamen“, sagte Phoenix-Geschäftsführer Michael Hirz anlässlich des Jubiläums am Donnerstag in Berlin. „Sie war die Urmutter aller politischen Fernsehdebatten.“ Auch WDR-Intendant Tom Buhrow erinnert sich noch gut daran, wie er als kleiner Junge mit Spielzeugautos auf dem Boden saß und zwischen den Beinen der Erwachsenen das Geschehen auf dem Bildschirm – damals noch ein echter Kasten – verfolgte. „Ich habe mit dem ,Internationalen Frühschoppen‘ meine ersten politischen Prägungen mitbekommen“, erzählte Buhrow, und für Martin Schulz, Präsident des Europäischen Parlaments, war die Sendung sogar entscheidend für die Berufswahl. „Der ,Internationale Frühschoppen‘“ hat mich motiviert, eines Tages auch so über Politik mitreden zu dürfen.“ Wobei die Familie des SPD-Politikers offensichtlich fortschrittlich war. Statt in der Küche den Braten zu machen, verfolgte seine Mutter, eine Mitbegründerin der CDU, lieber die Debatte im Fernsehen.

Erfunden wurde der „Internationale Frühschoppen“ von Werner Höfer. Sechs Journalisten aus fünf Ländern ließ er in wechselnder Besetzung sonntags um zwölf über die Weltlage diskutieren, Höfer selbst saß mittendrin, auch wenn er vor lauter Quarzerei im Studio manchmal gar nicht mehr zu sehen war. Eine solche Diskussionssendung hatte es zuvor nicht gegeben, denn nach der NS-Zeit waren politische Debatten im Fernsehen verpönt, so Schulz. Doch in den Nachkriegsjahren wollten die Deutschen wissen, wie sie im Ausland gesehen wurden. Massentourismus in ferne Länder oder den Austausch übers Netz gab es damals nicht. Also mussten die Journalisten im „Frühschoppen“ als Kronzeugen dafür stehen, was die Welt über den Kalten Krieg oder die deutsche Teilung dachte. Offene politische Diskussionen wurden wieder zur Normalität. „In der demokratischen Entwicklung der BRD hat der ,Internationale Frühschoppen‘ einen entscheidenden Beitrag geleistet“, betonte Schulz.

Werner Höfer in der Kritik

Für Höfer war es allerdings nicht immer einfach, die ausländischen Namen der Journalisten auszusprechen. Also bat er Egon Hoegen, den Ansager der Expertenrunde und auch bekannt aus der Verkehrserziehungsserie „Der 7. Sinn“, um Hilfe. „Egon, wir haben da einen aus Kuala Lumpur. Sei doch so nett und frag ihn mal, wie man seinen Namen ausspricht. Dann flüsterst du ihn mir zu“, erinnerte sich Hoegen, 85, am Donnerstag. Höfer lenkte die Debatte und trieb sie an. Wenn es ihm zu viel wurde, rief er „Stopp“. Zehn Millionen Zuschauer hätten die Sendungen im Durchschnitt verfolgt, ein Erfolg, über den 1970 auch die „New York Times“ auf ihrer ersten Seite berichtet hatte. Zur 1000. Sendung kam Willy Brandt und gratulierte, Wein und Tabak gab es aus diesem Anlass selbstverständlich reichlich. Höfer wurde mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Grimme-Preis.

Doch im Dezember 1987 geriet Höfer in die Kritik. Der „Spiegel“ berichtete über seine Zeit als Pressereferent und Journalist in der NS-Zeit, in der er sich 1943 positiv über die Hinrichtung des jungen Pianisten Karlrobert Kreiten geäußert hat – zwar ohne Kreitens Namen zu nennen, doch offensichtlich mit deutlichem Bezug dazu. Höfer versuchte sich rauszureden, doch er musste gehen. Der WDR gab den „Internationale Frühschoppen“ auf, da Höfer die Rechte an der Produktion der Sendung hatte und sich nicht freiwillig zurückziehen wollte – ein dunkles Kapitel des „Frühschoppens“, das bei der Jubiläumsfeier am Donnerstag in Berlin allerdings verschwiegen wurde.

Der WDR ersetzte den „Frühschoppen“ mit dem „Presseclub“. 1997 starb Höfer, 2002 wurde der „Internationale Frühschoppen“ wieder ins Programm genommen. Er läuft jetzt immer dann auf Phoenix, wenn der „Presseclub“ im Ersten ausfallen muss – auch am 17. November, wenn die Jubiläumssendung ausgestrahlt wird. Moderiert von Fritz Pleitgen und mit Gästen wie Gerd Ruge und Peter Scholl-Latour, der französischen Journalistin Anne Mailliet und ihrer polnischen Kollegin Rozalia Romaniec. Ihre Gläser sind gut gefüllt. Mit Wasser.

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