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Internet-Protest aus Kiew: Mit Gasmaske zur Arbeit

Via Podcast, Twitter und Youtube wird von den Unruhen in der Ukraine berichtet. Einige der Videos wurden fast 100 000 Mal angeklickt.

Ihre Waffen sind bunte Luftballons. Eine Frau mit Engelsflügeln auf dem Rücken läuft über den Unabhängigkeitsplatz in Kiew, der aussieht wie ein Schlachtfeld nach dem Kampf. Eine Gruppe Demonstranten sitzt vor einem blubbernden Suppentopf, eingepackt in fellgesäumte Winterjacken. Die Sonne scheint, es ist bitterkalt. Die junge Frau sucht Menschen, die sie bei ihrem Projekt unterstützen – ihren Wunsch für die Ukraine auf einen Luftballon schreiben und ihn dann, mit Helium gefüllt, in den Himmel steigen lassen.

Zu sehen ist der „Engel“ in einem Youtube-Video, gefilmt und online gestellt von einer Gruppe von 30 Filmemachern, die sich „Babylon 13“ nennt. „Cinema of civil protest“, „Kino des Zivilprotestes“ heißt deren Projekt. Mit ihren Filmen wollen sie die Stimmung vor Ort auffangen, Demonstranten porträtieren und Geschehnisse festhalten, die in den traditionellen Medien zu kurz kommen.

„Die ukrainische Medienlandschaft ist gespalten“, sagt Yaryna Grusha, die Koordinatorin der Gruppe. Die einen stünden aufseiten der Demonstranten, die anderen aufseiten der Regierung. Eines der größten ukrainischen Medienunternehmen, die UHM Group, sei zum Beispiel im Besitz der Regierungspartei. „Es ist schwierig, zu erkennen, welche Berichte wahr sind“, sagt Grusha. Die Unzufriedenheit mit der Berichterstattung ist einer der Gründe, warum sie sich bei „Babylon 13“ engagiert. 83 Filme hat die Gruppe während der Proteste bereits gedreht, die meisten von ihnen haben englische Untertitel. Sie sollen nicht nur in der Ukraine, sondern auf der ganzen Welt ein authentisches Bild der Proteste verbreiten, heißt es im Manifest der Gruppe. Ein Versuch, der aufzugehen scheint – einige der Videos wurden fast 100 000 Mal bei Youtube geklickt.

Ähnlich wie „Babylon 13“ haben sich seit Beginn der Proteste auf dem Maidan viele unabhängige Journalistenkollektive gebildet. Für ihre Arbeit bekommen sie meist kein Geld – außer kleinen Spenden, ein Mittagessen oder technische Unterstützung. Viele arbeiten deshalb nicht mit professionellem Equipment, drehen Filme und fotografieren mit dem Smartphone. Ihre Reportagen und Berichte veröffentlichen sie im Internet, auf ihren Homepages, auf Twitter oder Facebook. Und manchmal verschwimmt dabei die Grenze zwischen Journalismus und Aktivismus.

Die Facebook-Seite heißt "Euromaidan"

Auch Yulia Zakutnia arbeitet ehrenamtlich als Protestreporterin. Die 21-jährige Journalismusstudentin ist die Chefredakteurin von „Euromaidan“, einer Facebook-Seite mit Blog, auf der seit Ende November Nachrichten rund um den Maidan veröffentlicht werden. Da stehen Bilder von Verletzten unter Links zu Berichten ausländischer Medien. Dabei lässt die Gruppe keinen Zweifel, auf wessen Seite sie steht. „Unser Ziel ist es, die Situation in der Ukraine zu verändern“, so steht es auf der Facebook-Seite von der jungen Journalisten.

Zakutnia und ihre Kollegen sind deshalb oft selbst auf dem Maidan, ihre Berichte sind eine Art Liveticker des Protests. Mittlerweile haben sie 3000 Follower auf Facebook, die Kommentare zu den Artikeln kommen aus der ganzen Welt, sogar von den Cayman-Inseln.

Auch via Radio melden sich Augenzeugen des Protestes zu Wort. „Die Menschen werfen Steine. Ich kann kaum etwas sehen, der Rauch ist dick und schwarz“, sagt ein Radioreporter und klingt dabei ein bisschen wie ein Fußballkommentator. „Jetzt fangen die Leute an zu rennen, und ein Verletzer wird aus der Menge getragen.“ Man hört einen lauten Knall, kurz darauf Geschrei – eine Gasexplosion. Auf der Onlineplattform SoundCloud veröffentlicht Radio „Hromadske“, zu Deutsch Bürgerradio, Podcasts mit Berichten über die Demonstrationen auf dem Maidan.

Bei „Hromadske“-Radio arbeiten professionelle freie Journalisten, die sich für eine alternative Protestberichterstattung zusammengeschlossen haben. Aktuell gibt es den Radiosender nur online, Ziel ist es aber, bald eine Sendefrequenz zu bekommen. Neben Livereportagen und Kommentaren stellen sie auch Interviews online, zum Beispiel eines mit Štefan Füle, dem EU-Kommissar für Erweiterung und Europäische Nachbarschaftspolitik. Wie „Babylon 13“ und „Euromaidan“ wollen auch die Journalisten des Onlinesenders damit ihren Beitrag zum Protest leisten.

Eva Riedmann

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