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Wikipedia

© Kitty Kleist-Henrich

Internetmanipulation: Schönschreiber, Übelkrähen

Der Wikiscanner zeigt an, wer bei der Wikipedia-Enzyklopädie manipuliert. Und der Scanner scheint bitter nötig. In Deutschland wird parteiübergreifend an der Darstellung bestimmter Politiker herummanipuliert.

Das deutsche Wikipedia verzeichnet monatlich etwa 300 Millionen Seitenaufrufe. Das anfangs belächelte Selfmade-Enzyklopädie-Projekt zählt längst zu den wichtigsten Quellen des Internet. Wikipedia hat zur Wahrung der Objektivität strenge Regeln aufgestellt. Zumindest auf dem virtuellen Papier. Einer der Hauptkritikpunkte am Konzept ist, dass die Anonymität der Beiträger die strengen Qualitätsmaßstäbe permanent unterlaufe. Die Interessenlage der Autoren werde nicht offensichtlich.

Bisher konnte immer nur vermutet werden, dass Einträge gezielt manipuliert, sprich geschönt oder negativ eingefärbt werden. Gelegentlich wurden Einzelfälle belegt. Im Februar etwa machte der Fall „Münstersche Zeitung“ Schlagzeilen. Wikipedia gab bekannt, dass die Löschung von Informationen über die Art und Weise der Freisetzung einer ganzen Redaktion vom Verlag der Zeitung selbst veranlasst worden war.

Seit August ist nun möglich, mit Hilfe des Wikiscanners zu ermitteln, welche Organisationen, Unternehmen oder Personen das Objektivitätsgebot der Online-Enzyklopädie unterlaufen haben. Der außerhalb der Wikimedia entwickelte Wikiscanner ist eigentlich ein klassisches Hackerprodukt und vermittelt dem Nutzer durchaus das Gefühl, selbst Eindringling zu sein. Das von einem 24-jährigen Studenten entworfene Tool ermöglicht, Artikel zu finden, die von nicht angemeldeten Personen aus Netzwerken „interessanter“ Organisationen stammen. „Interessant“ sind all jene, denen an einer positiven Selbstdarstellung und der Unterdrückung imageschädigender Informationen liegt.

Ein technisch denkbar einfaches Verfahren

Der Scanner zeigt ein aktuelles Abbild zahlreicher Manipulationen. Das Verfahren ist technisch denkbar einfach. Jeder Eintrag und jede Veränderung von Wikipedia wird dem jeweiligen Autor zugeordnet. Werden Änderungen von unangemeldeten Autoren verfasst, speichert und veröffentlicht das System deren IP-Adressen. Per Datenbankanalyse werden diese IP-Adressen nun mit einem Verzeichnis der Eigentümer von IP-Netzen verglichen.

Wie vermutet, lassen sich zahlreiche Eingriffe nachweisen. In den USA taten sich besonders CIA und FBI hervor, aber auch Shell und Exxon. Zumeist ist das Stückwerk. Mal entfernt ein Chemieunternehmen Informationen über einen Giftunfall, mal der PR-Berater eines Politikers die etwas unangenehmeren Details. Scientology ist auch hier Beispiel für eine ganzheitliche Strategie. Zahlreiche Eingriffe und Änderungen bis hin zu Diffamierungen unliebsamer Kritiker gingen von den Rechnern der Sekte aus.

Auch in der deutschen Wikipedia wurde fleißig manipuliert. Kurt Beck, Johannes Rau und Markus Söder zählen zu den prominentesten deutschen Opfern. Die Täter kommen aus SPD, CDU und CSU. Ein SPD-Eintrag zu den politischen Aktivitäten Markus Söders legt nahe, dass der CSU-Generalsekretär sich vorwiegend mit Mainzelmännchen, Kruzifixen und Hausarrest für Jugendliche beschäftigt. Von einem Rechner bei Hessens Junger Union wurde das Familienleben des SPD-Vorsitzenden ein wenig ins rechte Licht gerückt. Kurt Beck lebt getrennt! Kurz nach dem Tod von Johannes Rau wurden von einem CSU-Rechner der Biografie des Altbundespräsidenten mit dem Menüpunkt „Kritik und Misserfolge“ zahlreiche Vorwürfe gegen Person und Amtsführung hinzugefügt.

Alle Manipulatoren sind unschuldig

Friedbert Pflügers Eintrag wurde just an dem Tag, als sein Blog online ging, vom Berliner Abgeordnetenhaus aus um eine Eloge auf den CDU-Politiker ergänzt. Wenig später war der Eintrag allerdings schon wieder gelöscht. Von einem Mitglied der Jungen Union aus Lüchow-Dannenberg, wegen Lobhudelei. Die meisten Organisationen, denen nun Eingriffe nachgewiesen werden können, verweisen darauf, dass die Änderungen unautorisiert erfolgten. Zudem könnten sich auch Fremde über ihre Firmenrechner Zugang verschafft haben.

Bei Wikimedia Deutschland sieht man die Ergebnisse der Kontrollen mit Genugtuung. Der Scanner beweise, dass das System funktioniere, sagt Pressesprecher Arne Klempert. Meist seien die Manipulationen von anderen Wikipedianern umgehend gelöscht worden. Die angestrebte größtmögliche Objektivität der Beiträge sei trotz der Anonymität der Autoren gesichert. Allerdings zeigen Stichproben, dass das Tool nicht alle Manipulationen erfassen kann.

Der „Sydney Morning Herald“ berichtet, das australische Verteidigungsministerium habe für sämtliche Mitarbeiter den Schreibzugriff gesperrt. Der Deutsche Bundestag, Lufthansa und Axel Springer sollten das vielleicht schon allein deshalb tun, weil möglicherweise wertvolle Arbeitszeit beim Redigieren der Wikipedia-Artikel verloren geht. Der Bundestag führt rein quantitativ die deutschen Wikiscanner-Listen mit 2800 Einträgen vor der Lufthansa mit 2500 und Axel Springer mit 2200.

Sabine Pamperrien

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