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Hana und Hans W. Geißendörfer, die Produzenten der "Lindenstraße".

© WDR/Steven Mahner

Interview mit Hana und Hans W. Geißendörfer: „Mit Papa zusammenwohnen? Bloß nicht“

Wie übergibt man eine Serie? Hana und Hans W. Geißendörfer über WGs, Kampfkraft, Flüchtlinge und - 30 Jahre "Lindenstraße".

Frau Geißendörfer, welchen Klingelton haben Sie auf dem Handy?

HANA GEISSENDÖRFER: Ich habe das Handy immer auf stumm. Wieso?

In der neuen WDR-Sitcom „The Mockridges“ läuft Bill Mockridge I Ihr Herr Schiller aus der „Lindenstraße“ – mit dem „Lindenstraße“-Klingelton herum ...
HANA: Ah ja, die Melodie haben hier einige Schauspieler auf dem Handy.

Und Sie, Herr Geißendörfer? Die „Lindenstraße“ ist doch quasi Ihre Lebensaufgabe.
HANS W. GEISSENDÖRFER: Ich habe keine Melodie auf dem Handy. Und wenn, dann Blues.

Ich habe gedacht, das Identifikationspotenzial mit der „Lindenstraße“ ist auch bei den Machern der Serie so hoch.
HANA: Ich laufe immerhin mit Jutebeuteln, Schals, Aufklebern und Taschen der „Lindenstraße“ herum.

Es muss ja auch irgendwie im Blut liegen. Sie, Hana , waren ein Jahr alt, als die „Lindenstraße“ 1985 startete. 2008 kamen Sie als Praktikantin zur Serie und haben im Januar 2015 das Produktions-Zepter der „Lindenstraße“ von Ihrem Vater übernommen. Was haben Sie sofort umgekrempelt?
HANA: Na ja, noch sind wir beide die Produzenten.

HANS W.: Hana ist für den kreativen Teil verantwortlich, das bedeutet, sie ist für Drehbuch, Regie, Filmabnahme und Ähnliches verantwortlich – ich mache weiter die Verwaltung, die Finanzen.

HANA: Man sieht es ja jeden Sonntag in der „Lindenstraße“: Es ist ein bisschen dynamischer geworden. Ich wollte zunächst einen Einblick bekommen, bevor ich anfange, da groß herumzuschrauben. Der Kern der „Lindenstraße“, wie sie ist, soll weiterleben.

Was ist denn der Kern der „Lindenstraße“ im 30. Jahr ihres Bestehens?

HANA: Realitätsnähe, sozialkritisch, diskussionsanregend, politisch aktuell. Wir haben aber die Machart etwas verändert, zum Beispiel das Schnitttempo erhöht.

HANS W.: Die Hana hat schon einen anderen Blick. Das ist eine andere Generation. Bei mir war es von Anfang an so: So wenig wie möglich schneiden. Lange Einstellungen, ruhig erzählende Schauspieler, spazieren gehend. Die „Lindenstraße“ heute hat 200 Schnitte.

HANA: Nein, Papa, um die 350 pro Folge.

HANS W.: So viel? Sehen Sie. Früher waren es 90. Du musst aufpassen, dass das Schnitt-Tempo nicht zerstörerisch ist. Ich finde die Entwicklung mit Hana aber alles in allem wunderbar, es gab Dinge ...

… wo die Serie eingeschlafen war?
HANS W.: Ja. Nehmen Sie mal den Supermarkt. Der ist jetzt renoviert worden. Hana hatte gesagt, der sieht ja aus wie in den 70er Jahren, so einen Supermarkt gibt es in ganz Deutschland nicht.

Gibt es schon ein Feedback von Zuschauern, wie die das Bunte finden?
HANS W.: Die Quote ist auf jeden Fall stabil. Was viele übersehen: Wir haben in der ARD neben dem „Tatort“ die meisten Zuschauer bei den 18- bis 35-Jährigen – mit weitem Abstand. Mit Social Media und Mediatheken kommt da noch einiges hinzu. Wir erreichen diese Generation, glaube ich, weil wir ihre Themen bespielen, zum Beispiel das Thema Polyamorie.

HANA: Grundsätzlich glaube ich, dass die einzelnen Veränderungen dem Zuschauer gar nicht so auffallen. Er sieht’s und sagt sich, aha, das war eine schöne Folge. Was die Zuschauer am meisten bewegt, sind die Geschichten. Die Schicksale der Figuren, die müssen stimmen.

HANS W.: Die Figuren sind die Nummer eins.

Zurück noch mal zu Ihrem Einstieg, Frau Geißendörfer. Waren Sie gleich Feuer und Flamme? Das hätte großen Druck bedeuten können: in den Spuren des Vaters das Projekt zu verantworten, hinter dem ein Stab mit 75 Mitarbeitern steht.
HANA.: Zu viel Druck bedeutet das auf keinen Fall. Es ist eine Challenge, eine Herausforderung, sich mal außerhalb seiner Komfortzone zu bewähren. Ich lerne ja auch viel von meinem Vater.

Hat Ihnen Ihr Vater denn gute Ratschläge gegeben?
HANS W.: Ja, dass man beim Interview ruhig stehen bleibt.

HANA: Seine Kampfkraft, die imponiert mir. Dass er es sich erlaubt zu träumen, ehrlich zu sein, sich treu zu bleiben – nicht immer zum Gefallen seines Haussenders, der ARD, zum Beispiel.

Die „Lindenstraße“ ist eine der bekanntesten Marken der ARD. Trotzdem liefern Sie sich mit der ARD Ihre Scharmützel, seitdem es die Serie gibt.
HANS W.: Man kann zuhören, man kann auch eine Ergänzung akzeptieren, die vom Partner kommt. Aber man muss wissen, was man will. Das ist das A und O des Erfolgs.

ARD-Programmdirektor Volker Herres sagt, die „Lindenstraße“ sei ein Stück Sitten- und Sozialgeschichte der Bundesrepublik. So abgeneigt scheint er einer Fortsetzung nicht zu sein. Wie ist Ihre Vision: die „Lindenstraße“ in fünf oder zehn Jahren?
HANS W.:. Erst einmal müssen wir von der ARD wissen, ob es nach 2016 weitergeht. Die Signale sind gut.

HANA: Da gibt es keine feste Vision. Das entwickelt sich, auch als Reaktion auf die Wirklichkeit. Oder darauf, dass Geschichten anders funktionieren, als man erwartet hat. Die ganze TV-Landschaft verändert sich. Da kannst du nicht stur dein Ding durchziehen.

HANS W.: Okay, da gibt es aber auch diese Treue zu den Figuren. Wir wollen die nicht köpfen. Wenn Sie die „Lindenstraße“ anders machen wollen, müssen Sie Figuren austauschen. Aus einer Frau Beimer können Sie keine 22-jährige, alleinerziehende Mutter machen. Da liegen Zwänge, sicher. Andererseits bietet es Chancen, den Reichtum der Kontinuität. Die Zuschauer sind sehr dankbar, dass sie die Lebenslinien der Figuren in der „Lindenstraße“ verfolgen können.

Das klingt jetzt alles sehr harmonisch zwischen Ihnen beiden. Es muss doch mal gekracht haben, was die „Lindenstraße“, die Ausrichtung der Serie, betrifft.
HANA: Ehrlich, wir müssten da jetzt was erfinden. Wir haben immer Diskussionen, aber es kracht nicht.

Ich hörte, Sie wohnen zusammen in Köln.
HANA: Nein, das stimmt nicht. Das würde wohl auch nicht funktionieren.

HANS W.: Sie ist allerdings von meiner Wohnung aus gut zu Fuß erreichbar.

Gucken Sie zusammen Serien? Haben Sie Lieblingsserien?
HANA: „Top of the Lake“ von Jane Campion. „Orange Is The New Black“ – nur die erste Staffel. Außerdem „The Killing“. Und vor allem: „Transparent“ – ein Knaller! Da kann man sich was abgucken: tolle Dialoge, super Familienkonstellation!

HANS W.: Ich schaue keine Serien. Ich gucke Fußball und Nachrichten. Ich mache so viel Fernsehen, ich will mich in meiner Fantasie beeinflussen lassen, wenn ich sehe, was die anderen machen.

Stichwort Fantasie. Im Grunde sind doch in 30 Jahren „Lindenstraße“ alle Erfahrungen gemacht und ausgewertet worden.
HANS W.: Das sagen Sie.

Es ist sicher schwieriger geworden, provokante Themen zu finden, wie zuletzt die Geschichten um den Moscheebau, religiösen Extremismus oder Polyamorie. Was ist mit dem Thema Flüchtlinge? Wie schnell kriegen Sie das in die „Lindenstraße“?
HANS W.: Das findet sich in nächster Zeit groß in der Serie. Das geht gar nicht anders. 800 000 Flüchtlinge sollen alleine in diesem Jahr nach Deutschland kommen. Das Thema Flüchtlinge verändert die ganze Bundesrepublik.

Werden wir hier in zehn Jahren sitzen und 40 Jahre „Lindenstraße“ feiern?
HANA: Na klar!

HANS W.: Das ist ja die Schwierigkeit, aber auch das Besondere der „Lindenstraße“: Sie hat nur ein einziges Vorbild – und das ist die Wirklichkeit. Wir könnten Geschichten manchmal viel dramatischer erzählen, aber dann verlieren sie ihre Glaubwürdigkeit. Das gilt auch für das Thema Flüchtlinge.

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