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Klare Meinung. Jürgen Domian feiert am Freitag mit „Domian live“ (WDR, 23 Uhr 30) sein TV-Comeback. Bekannt wurde der 61-jährige Journalist und Moderator mit der nächtlichen Telefon-Talksendung „Domian“, die von 1995 bis 2016 im WDR ausgestrahlt wurde.

© imago images/Horst Galuschka

Interview mit Jürgen Domian: „Ich würde mich über AfD-Anhänger freuen“

Der Nachttalker Jürgen Domian über wichtige Gesprächspartner, Extreme, Nachtschichten und Lust auf Lappland.

Herr Domian, Sie wissen auch in Ihrer neuen Sendung nicht, mit welchen Gesprächspartnern Sie konfrontiert werden. Gibt es etwas, über das gerade dringend gesprochen werden müsste, das Ihnen besonders wichtig ist?
Wenn Sie so fragen, würde ich mich über einen Anhänger der AfD freuen.

Tatsächlich?
Ja, um Tacheles zu reden. Ich vertrete die Meinung, dass man mit denen reden muss, dass man sie nicht ausgrenzen darf. Sonst kommen sie in eine Opferrolle und werden noch interessanter.

Also hat Ihre neue Sendung auch einen journalistischen Ansatz?
Wir sind keine politische Talkshow, aber solche Gespräche haben wir in der alten Sendung auch schon geführt. Wir hatten damals als erstes elektronisches Medium ein Interview mit einem Pegida-Demonstranten. Die Leitlinie ist: Solange man mit jemandem reden kann, will ich auch reden. Wenn jemand plump ist oder Parolen verbreitet, natürlich nicht.

Sind alle Fragen erlaubt?

Ihr Motto lautet: „Ich frage die Leute alles, und die Leute können mich alles fragen“. Kann man die Menschen im Fernsehen live vor Publikum alles fragen?
Fast alles. Intime Gespräche im öffentlichen Format sind immer ein Drahtseilakt. Die Gäste werden von der Redaktion vorbereitet, aber es gehört auch zu meinen Aufgaben, darauf zu achten, dass sie nichts sagen, was sich hinterher zu ihrem Nachteil auswirkt. Egal, ob sie live auf der Bühne sitzen oder nach einem Telefonat an der Stimme erkannt werden könnten. Hinzu kommt, dass alle Talkgäste ja eigeninitiativ zu mir kommen. Wir haben keinen einzigen Gast recherchiert.

Kann eine Talk-Sendung noch auf das gesellschaftliche Klima Einfluss nehmen?
Ich glaube schon. Klassische Medien, auch das Fernsehen, können eine ganze Menge leisten, indem sie Themen aufgreifen und Angebote zum Sprechen und Zuhören machen. Dadurch entsteht Identifikation. Als wir als eine der ersten Sendungen ausführlich über sexuellen Missbrauch gesprochen haben, bekamen wir hunderte Briefe, in denen uns Menschen geschrieben haben: „Danke, dass ihr das endlich ansprecht.“

Menschen, die sich engagieren, erhalten allerdings auch Hassbotschaften oder werden sogar bedroht. Wie ist Ihre Erfahrung?
Natürlich habe auch ich Hassbotschaften bekommen, einmal aufgrund meiner sexuellen Orientierung, aber auch wegen zahlreicher Gespräche, die ich geführt habe, mit Nazis, Hooligans, auch mit Kommunisten, die das DDR-Regime verteidigt haben. Da kommen Sie nicht gut weg, das ist halt so. Ich nehme das nicht groß ernst und reagiere darauf auch nicht.

Also sind Sie von allen Seiten angegriffen worden?
Das ist immer so. Wenn Sie eine klare Meinung äußern, egal in welche Richtung, kriegen Sie von der anderen Seite in die Fresse.

Gesundes Mittelmaß zählt

Sie haben gesagt: „Wir sind alle gefangen im Korsett der politischen Korrektheit.“ Was meinen Sie damit?
Ich will Ihnen ein aktuelles Beispiel sagen, das mich sehr aufgebracht hat: Während des kanadischen Wahlkampfs ist Ministerpräsident Trudeau massiv angegriffen worden, weil er sich vor 20 Jahren als Student auf einem Kostümball als Aladdin verkleidet und schwarz angemalt hat. Geht’s noch? Wenn man die Leute sogar rückwirkend des Rassismus beschuldigt, treibt man sie in die Arme der Rechten.

Aber ist es nicht wichtig, sich damit auseinander zu setzen, wie das Menschen zum Beispiel mit einer anderen Hautfarbe empfinden?
Ich gehöre selbst einer Randgruppe an und weiß, dass es da ganz viele Empfindlichkeiten gibt. Die Kunst ist, glaube ich, ein gesundes Mittelmaß, geleitet vom gesunden Menschenverstand, zu finden.

Die Rechte schafft es, sich mit dem Begriff der „politischen Korrektheit“ als Opfer eines vermeintlichen Meinungsterrors zu inszenieren.
Ja, weil es in Teilen auch stimmt. Heute können Sie die Frauenfeindlichkeit und Homophobie des Islam benennen. Das durfte man vor zehn Jahren nicht so klar ausdrücken, dann war man schnell in der rechten Ecke. Und noch ein Beispiel: Ich komme aus einer Vertriebenen-Familie. Wenn ich als junger Mann, damals schon Mitglied der SPD, im Freundeskreis über die Ungeheuerlichkeiten gesprochen habe, die die Rote Armee den deutschen Flüchtlingen angetan hat, wurde ich gleich in die rechte Ecke geschoben. Aber das muss auch thematisiert werden. Dadurch leugnet man doch nicht die Schuld der Nazis und das Leid, das Deutsche anderen Menschen angetan haben.

Muss es nicht Grenzen des Sagbaren geben?
Das finde ich auch, aber dafür haben wir klare Gesetze. Wer zum Beispiel den Holocaust leugnet, überschreitet die Grenze des Sagbaren.

Menschen können erschreckend abgründig sein

Sie haben in fast 22 Jahren mehr als 20 000 Telefoninterviews geführt. Was lernt man dabei über die Menschen?
Dass sie erschreckend abgründig sein können. Das habe ich vorher nicht so gesehen. Auf der anderen Seite habe ich gelernt, wie großartig Menschen sein können. Mutig, tapfer, Vorbilder für andere. Ich habe die Extreme kennengelernt.

Sie hatten die Sendung vor allem aus gesundheitlichen Gründen beendet. Ist die Nacht jetzt wieder zum Schlafen da?
Ja, und mit großem Genuss. Es war wirklich höchste Zeit, mit der Nachtschicht aufzuhören.

Zuletzt hatten sie eine längere Auszeit in Lappland genommen. Wie ist es, nach der Abgeschiedenheit wieder in den deutschen Alltag zurückzukehren?
Ganz schwer. Ich brauche immer mindestens eine Woche, um hier wieder zu funktionieren, normal reden und die vielen Eindrücke, die auf uns einprasseln, verarbeiten zu können. Mir wird da oben immer klar, wie viel Input wir jeden Tag abkriegen. Wie viele Bilder und Informationen das Gehirn verarbeiten muss. Was für eine irre Fülle.

Wäre das Leben in Lappland eine dauerhafte Alternative?
Mein Leben ausschließlich in der Wildnis und der Einsamkeit zu verbringen, erscheint mir nicht erstrebenswert. Ein paar Monate nach dem Ende meiner alten Sendung habe ich schon gemerkt, wie gerne ich diese Arbeit gemacht habe. Die Erfolgserlebnisse, und damit meine ich keine Einschaltquoten, sondern die menschlichen Rückmeldungen, sind etwas so Schönes und Wertvolles.

Das Gespräch führte Thomas Gehringer.

"Domian", WDR Fernsehen, Freitag, 23 Uhr 30

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