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Band der Erinnerung. Dr. Eva Maria Prohacek (Senta Berger) gedenkt der auf dem Weg nach Europa umgekommenen Flüchtlinge. Foto: ZDF

© Matthias Fleischer bvk

Interview: „Senta Berger nimmt die Zuschauer mit“

Aelrun Goette inszeniert das Flüchtlingselend an Europas Küsten als Krimi in der ZDF-Reihe "Unter Verdacht". Ein Gespräch mit der Regisseurin.

Frau Goette, was verstehen Sie unter einer eleganten Lösung?

Eine Lösung, die keine ist. In unserem Fall: Europa schickt die illegalen, afrikanischen Einwanderer in den Tod und wahrt dabei trotzdem sein Gesicht. Politik, wenn Sie so wollen.

Ihr Film „Die elegante Lösung" behandelt das Thema illegale Einwanderung. Boote mit afrikanischen Flüchtlingen werden vor der Küste Italiens von Grenzpolizisten zum Kentern gebracht. Halten wir uns als Deutsche bei diesem Konflikt raus?

Deutschland grenzt nicht wie Italien ans Mittelmeer. Deshalb stehen wir auch nicht vor der konkreten Herausforderung, wie wir mit den sogenannten „Illegalen“, die übers Meer kommen, umgehen sollen. Die „Drecksarbeit“ machen andere für uns. Dafür beteiligen wir uns finanziell an den Abschiebungen der Menschen, indem wir mit unseren Steuergeldern die Machenschaften der europäischen Grenzschutzagentur „Frontex“, die wir in unserem Film beschreiben, mitfinanzieren. Die Fakten in unserer Geschichte sind alle recherchiert. Da haben wir uns nichts ausgedacht.

Das klingt nach einem ungewöhnlichen Stoff für einen Samstagabendkrimi.

Ja, aber der Samstagabend bedeutet eine große Chance: Senta Berger ist ein Liebling des Publikums. Zuschauer schalten den Fernseher ein, um sie zu sehen. Unsere Hoffnung ist: Wenn Senta Berger als Eva Prohacek den Zuschauer an die Hand – und in eine spannende und berührende Geschichte mitnimmt, lässt er sich auf ein Thema ein, das er sonst vermutlich abgewehrt hätte.

Senta Berger alias Eva Prohacek ermittelt zum ersten Mal im Ausland...

Zwei Gründe, warum ich den Film gern gemacht habe: mit Senta Berger arbeiten zu dürfen und im Ausland zu drehen. Eine andere Kultur, ein anderer Rhythmus und die Arbeit auf dem Meer – das wollte ich ausprobieren. Sie können sich nicht vorstellen, wie wunderbar es sein kann, eine Szene zu drehen, in der man die meisten Darsteller nicht versteht. Nur wenige der Komparsen sprachen englisch. Die Schauspieler mussten sich zum Teil in das leidenschaftliche Spiel der Afrikaner einfädeln und sich gegen sie durchsetzen. Daraus sind großartige Momente entstanden. Mir war es sehr wichtig, für die Komparsenrollen Menschen zu finden, die die Erfahrung der illegalen Einwanderung selbst gemacht haben. Plötzlich wurden die Momente real, der Mensch, der vor uns stand, kannte das alles, der Schmerz in seinem Gesicht war nicht gespielt, sondern Ausdruck persönlicher Erfahrung.

Hat dieses Thema der illegalen Einwanderung Sie schon länger beschäftigt?

Nein. Ich kannte es, wie die meisten in Deutschland, nur aus den Medien. Es schien mir sehr weit weg. Doch als ich das Angebot bekam und mich tiefer mit dem Thema beschäftigt hatte, war klar: Das ist mein Stoff. Es gibt ja diesen Satz: Man sucht sich das Thema nicht aus, sondern das Thema findet einen. So ist es bei mir; es muss mich anspringen.

Was hat Sie denn bei diesem Thema angesprungen?

Der Kern des Themas ist die Frage nach den Werten in unserer Gesellschaft. Während der Recherche bin ich auf folgendes Youtube-Video gestoßen: Ein Strand im italienischen Sommer, Menschen auf Badetüchern, die sich entspannen. Im Hintergrund sieht man, wie ein Afrikaner ans Ufer gespült wird. Man weiß nicht genau: Lebt er noch; ist er tot? Plötzlich stehen einige Urlauber auf und gehen. Sie gehen einfach weg. Diese Situation erschien mir so einfach, wie bemerkenswert: Warum reagieren wir so?

Was glauben Sie?

Eine Antwort darauf habe ich nicht gefunden, die gibt auch der Film nicht. Aber ich halte es für wesentlich, sich mit der Frage auseinanderzusetzen: Wie will ich im Leben sein? Welchen Wert, den mir die Gesellschaft als Maßstab anbietet, will ich mit tragen und wo steige ich aus? In unserem Film gibt es eine Situation, in der italienische Fischer plötzlich den in Seenot geratenen Flüchtlingen begegnen. Sie müssen sich entscheiden: Retten sie die Menschen und riskieren damit ihre Verhaftung sowie den Entzug der Fischereilizenz, also ihrer Lebensgrundlage, oder drehen sie ab und überlassen die Fremden ihrem vermutlich tödlichen Schicksal? Diese Situation hat es in der Realität gegeben. Fischer haben Flüchtlingen geholfen und diese Konsequenzen getragen. Warum tun Menschen so etwas?

Was würden Sie denn tun?

Schwer zu sagen, ich war noch nie in einer solchen Situation. Ich hoffe, ich wäre stark genug.

Mangelt es unserer Gesellschaft mittlerweile an Werten?

Anders gefragt: Sind die Werte, die heutzutage als Maßstab durch unsere Gesellschaft geistern, erstrebenswert? Oder wenigstens sexy? Wenn ich mich an ihnen orientiere, hilft mir das dabei, ein offener, neugieriger oder leidenschaftlicher Mensch zu sein?

Haben Sie eine Antwort darauf?

Naja, ich meine, sie hilft mir nicht. Es gibt so viel Angst. Vor Wohlstandsverlust, vor Verantwortung. Man fügt sich, kann ja eh nichts machen. Schuld sind sowieso immer die anderen. Ich habe noch nie in einer so reichen Zeit gelebt, aber diese Zeit scheint uns irgendwie unglücklich zu machen. Das ist furchtbar, finden Sie nicht?

Im letzten Jahr haben Sie den Grimme-Preis für Ihren Film „Keine Angst“ bekommen. Der Film spielt im Milieu von Alkohol, Gewalt und Armut. Zuvor haben Sie eine Dokumentation über eine Mutter gedreht, die für den Tod ihrer Kinder verantwortlich ist. Man sagt Ihnen nach, dass Sie das Abgründige lieben.

Ach ich weiß nicht, das klingt nach Schwert schwingender Frau. Ich sehe mich nicht so. Abgründe gehören zum Sein dazu. Mich interessiert immer das Dahinter. Was macht uns zu dem, was wir sind? Diese Frage empfinde ich als das eigentlich Spannende. Die Bewertung in Gut oder Böse, Richtig oder Falsch interessiert mich weniger.

Zweifeln Sie an den Menschen?

Ich zweifle ebenso, wie ich glaube und hoffe. Ich habe meine dunklen Phasen, in denen ich vieles infrage stelle. Vor allem mich selbst. Aber ebenso bin ich eine gnadenlose Optimistin. Ich liebe mein Leben und will es mit Menschen teilen. Ich will, wenn ich irgendwann mal „Tschüss“ sagen muss, gelebt haben. Ich will etwas „verstanden haben“. Auf keinen Fall will ich mein Leben angstvoll oder Bedenken tragend verpassen.

Das Interview führte Katja Hübner.

„Unter Verdacht: Die elegante Lösung“, ZDF, 20 Uhr 15

Aelrun Goette, 45, ist Autorin und Regisseurin. Mit dem Dokumentarfilm „Die Kinder sind tot“ gewann sie 2004 den Deutschen Filmpreis, ihr Spielfilm „Unter dem Eis“ ist Grimme-gekrönt.

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