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Interview: „Wir müssen den Fernsehzuschauer zurückerobern“

Am besten mit dem Krimi, also startet heute der „Radio Tatort“ der ARD. Ein Gespräch mit Koordinator Ekkehard Skoruppa.

Herr Skoruppa, im Fernsehen läuft der „Tatort“ seit Jahrzehnten. Die Hörfunker haben ganz schön lange gebraucht.

Stimmt. Dabei gibt es die Idee schon lange. Vor fast zwanzig Jahren habe ich sie erstmals den Hörspielchefs vorgestellt. Und schon vorher gab es ähnliche Versuche. Aber alle Pläne blieben Papier! Nie fanden sich genug Bündnispartner! Die Landessender kümmerten sich vor allem um ihre eigenen Programme. Es war nicht die Zeit für große Gemeinschaftsunternehmungen. Aber inzwischen ist das Interesse an sinnvollen Kooperationen im Radio deutlich gestiegen.

„Tatort“ ist Fernsehen. Ist ein Fernsehzuschauer für einen „Radio Tatort“ überhaupt geeignet?

„Tatort“ mag ja Fernsehen sein – aber nur als Marke! Der Krimi ist natürlich überhaupt nicht auf den Bildschirm fixiert. Im Radio waren Krimis schon erfolgreich, als noch kein Mensch ahnte, dass sich mal ein Schimanski über eine Mattscheibe prügeln würde. Auch wenn die ganz großen Quoten beim Fernsehen liegen: Der Radiokrimi bleibt beliebt. Kann aber schon sein, dass heute nicht mehr jeder Fernsehzuschauer weiß, dass man gute Storys auch über das Hören fesselnd erzählen kann. Das Radio muss die Fernsehzuschauer zurückerobern.

Was ist denn so spannend an Ihrer Krimireihe?

Dass sie von allen ARD-Redaktionen gemacht wird. Dass jede Redaktion Entwicklungsdramaturgie mit Autoren ihrer Wahl und Originalmanuskripten betreibt. Dass es gelungen ist, alle für ein Grundkonzept zu begeistern, das Fälle vorstellt, die aktuell sind und wirklichkeitsnah. Wir wollen keine völlig losgelösten Fantasien. Jede Geschichte muss ihre eigene Spannung erzeugen. Auch wenn das Muster uralt ist: Wer hat was getan und warum? In authentischen Stoffen, hochkarätig besetzten und aufwendig produzierten Stücken, die insgesamt mehr sind als die Summe der Einzelteile, liegt die Qualität.

Der Radiohörer macht sich beim Hören seine eigenen Bilder. Ein Vorteil, ein Nachteil?

Was die eigene Fantasie anregt und den Kopf aktiviert, kann eigentlich nicht von Nachteil sein. Aber die Frage stellt sich im Grunde nur, wenn man das Hörspiel etwa mit dem Film vergleicht. Dabei sind es unterschiedliche Kunstformen, die beide, auf je eigene Art, große Wirkung entfalten können. Die Beschäftigung mit dem Hörspiel kann eine sehr schöne, intensive und nachhaltige Sache sein, aber natürlich ist auch die Bilderwelt von Film und Fernsehen nicht nur eine Flut, der man hilflos ausgeliefert ist.

Die ARD-Reihe folgt bestimmten Gesetzmäßigkeiten: Jeder Fall ist ein klassischer Ermittlerkrimi, die Fahnder sind regional verwurzelt, im besten Falle ist der Fall ein Gesellschaftsfilm mit den Mitteln des Krimis. Was soll den „Radio Tatort“ zur unverwechselbaren Marke machen?

Die Figuren und Charaktere, die unsere Autoren entwickeln. Das Setting in erkennbaren Regionen des Landes, die authentische Sprache, die die Leute in unseren Krimis sprechen, und die Sorgfalt, mit der wir die Originalhörspiele umsetzen werden.

Sie sind der Koordinator für die beteiligten neun ARD-Sender. Was müssen Sie denn koordinieren?

Bei der Koordination geht es um Doublettenprüfung, Überlegungen zu Besetzung und Regie, Sendeplanungen und Internet, Presse- und Marketingarbeit, Abwicklungs-, Archivierungs- und Rechtefragen, um alle Aspekte der Kommunikation untereinander. Eher lauter organisatorische Dinge. Aber Koordination schafft Transparenz. Vor allem auch dramaturgische Fragen werden unter den beteiligten Redakteuren diskutiert, und die Koordination schafft den Raum dafür: Jeder will gute Produktionen abliefern. Das Feedback untereinander, die Perspektiven der Weiterentwicklung sind uns wichtig. Untereinander gibt es spielerischen Wettbewerb, aber keine Konkurrenz.

Ein „Radio Tatort“ dauert nur 55 Minuten. Macht es das einfacher?

Nicht unbedingt. Sehr große Stoffe sind in dieser kurzen Zeit nur mit Mühe zu erzählen. Aber das Format ist durchaus bewährt, da geht eine Menge an spannenden, temporeichen Geschichten.

Beruhen alle Produktionen auf Originalbüchern, oder werden auch Buchkrimis vertont?

Buch-Adaptionen werden wir nicht einsetzen. Damit wäre keine Entwicklungsarbeit möglich. Wir gäben uns ganz in die Abhängigkeit von bereits fertigen Werken. Der „Radio Tatort“ wird hingegen das Originalhörspiel beleben. Wir arbeiten in erster Linie mit radiofonen Mitteln, mit Sprache, Stimme, Geräusch und Musik. Der Erzähler wird eine viel geringere Rolle einnehmen als in Bearbeitungen. Ich glaube, das tut dem Hörspiel insgesamt gut: Wir sind zu oft Zweitinstanz und klappern den Bucherfolgen hinterher.

Was unterscheidet die einzelnen Stücke eigentlich vom klassischen Krimihörspiel?

Wir erfinden den Krimi nicht neu. Es gibt längst eine Vielzahl von Formen und nicht nur „den“ klassischen Radiokrimi. Der „Radio Tatort“ wird erkennbar machen, dass er eine gemeinsame Basis hat, er wird aktuelle Themen aufgreifen, wird deutlich machen, woher er kommt, und damit die Regionen und ihre Mentalitäten spiegeln. Natürlich wollen wir spannend sein, aber dabei die Wirklichkeit nicht aus den Augen verlieren. Damit ist immerhin ein Unterschied zum klassischen englischen Landhauskrimi angesprochen: Zwei Damen, zwei Herren und eine Tote vor dem Kamin – das dürfte es bei uns kaum geben.

Im heutigen Auftaktfall ermittelt Kommissar Nadir Taraki, ein Deutschafghane, gegen einen libanesischen Menschenhändler. Tarakis Freundin ist Palästinenserin, beide leben in Duisburg. Hört sich an wie ein „Schimanski“ mit Migrationshintergrund. Ist „Der Emir“ typisch für den „Radio Tatort“?

Nein, ist er nicht. Andere Häuser wählen komplett andere Hauptfiguren. Da ist jeder Produzent frei, sich die Charaktere zu wählen, die ihm die spannendsten und entwicklungsfähigsten scheinen. Der WDR hat sich natürlich eine tolle Ausgangssituation geschaffen. Mit Taraki sind bestimmte Fälle von Schlepperkriminalität oder auch Terrorhintergrund besonders gut zu erzählen.

„Der Emir“ wird zeitgleich in allen neun ARD-Sendern ausgestrahlt. Schon mit „Tatort“ Nummer zwei ist Schluss damit – neun Sender, acht Sendezeiten. Das läuft doch konträr zur Absicht, das Interesse eines großen Publikums auf das Medium Radio zu bündeln.

Nein, wieso? Wir senden innerhalb eines kurzen Zeitraums, auch damit lässt sich bundesweite Aufmerksamkeit erzeugen. Wollten wir uns komplett bei den Sendeterminen angleichen, wären sehr erhebliche Veränderungen in den Sendestrukturen aller beteiligten Häuser notwendig. Das muss aber gar nicht sein für einen gemeinsamen, starken Auftritt.

Das Interview führten Thomas Eckert und Joachim Huber.

Ekkehard Skoruppa ist Hörspielchef des Südwestrundfunks und Koordinator des „Radio Tatorts“ der ARD.

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