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Medien: Irrungen, Wirrungen

IM RADIO Tom Peuckert verrät, was Sie nicht verpassen sollten In einem Abrisshaus der Dresdener Altstadt finden Arbeiter ein paar alte Schulhefte. Säuberlich eingeschlagen in Blümchenpapier und voll geschrieben mit den Alltagsnotizen einer Unbekannten.

IM RADIO

Tom Peuckert verrät, was

Sie nicht verpassen sollten

In einem Abrisshaus der Dresdener Altstadt finden Arbeiter ein paar alte Schulhefte. Säuberlich eingeschlagen in Blümchenpapier und voll geschrieben mit den Alltagsnotizen einer Unbekannten. In akribischer Miniaturschrift hat eine Frau hier zwei Jahrzehnte lang ihre täglichen Erlebnisse vermerkt. Kleinste Aktivitäten, Vorkommnisse und Begegnungen sind mit exaktem Datum aufgelistet. Als die Hefte einem Künstler in die Hand fallen, erkennt er sofort Symptome einer dramatischen Zwangsneurose. Zumal die Notate der Frau mit den Jahren immer wirrer werden, sich in Geheimsprachen und fantastischen Ideen verlieren. „Kühe und Kälber ließ der Himmel herabfallen“ heißt das Hörstück Klaus Buhlerts nach den Texten der Unbekannten aus Dresden. Das faszinierende Dokument eines Bewusstseinszerfalls, die detailreiche Chronik eines Abstiegs in den Wahn, der sich in häuslicher Intimität scheinbar unbemerkt vollzieht (Deutschlandradio, 26. Januar, 0 Uhr 05, UKW 89,6 MHz).

Der Wahnsinn in Marius von Mayenburgs Drama „Das kalte Kind“ ist dagegen rasant und schrill. In einem Café namens „Polygam“ lässt Mayenburg kuriose Existenzen aufeinander treffen: ein verkrachtes Paar, einen melancholischen Exhibitionisten, eine missratene Tochter und ihre ratlosen Eltern. Auch ein kaltes Kind, dem weder Haare noch Zähne wachsen wollen, ist mit von der Partie. Die Analyse zeitgenössischen Familienlebens wird zur grotesken Höllenfahrt, zur irren Burleske. Mayenburgs Stück hatte im letzten Jahr an der Schaubühne Premiere, nun folgt eine schöne Radiofassung (SWR 2, 29. Januar, 21 Uhr 03, Kabel UKW 107,85 MHz).

„Der Mensch als Mängelwesen“ . Mit dieser schlagzeilentauglichen These wurde der Anthropologe Arnold Gehlen berühmt. Das Leben ist eine permanente Überforderung, die Kultur echte Sisyphosarbeit. Da scheint Flucht in den Wahnsinn wie eine denkbare Konsequenz. Vor genau hundert Jahren kam Arnold Gehlen in Leipzig zur Welt. Eberhard Sens präsentiert Ausschnitte aus Reden und Gesprächen des Gelehrten (Kulturradio, 29. Januar, 22 Uhr 05, UKW 92,4 MHz), während Ingeborg Breuer dessen philosophischen Pessimismus essayistisch erkundet (Deutschlandfunk, 29. Januar, 20 Uhr 10, UKW 97,7 MHz). Dass beide Sendungen Gehlens berühmtes Bonmot als Titel tragen, beweist, wie attraktiv es noch immer auf die Nachwelt wirkt.

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